1. FCM: Angekommen

160815PG_FCM_HFC35Magdeburg ist endlich raus aus der Fußball-Diaspora. Worauf sich der Start nach Maß des FCM gründet.

Von Rudi Bartlitz

Zeigt’s uns.“ Mit diesem,  bei  manchem möglicherweise leicht  missverständlichen Slogan ist  die 3. Fußball-Liga ganz offiziell angetreten.  So viel versteckte Frivolität traut man dem ansonsten eher stocknüchternen und betulichen DFB (Deutscher Fußball-Bund) gar nicht zu. Was diese Liga allerdings seit ihrem Saisonstart  Ende Juli tatsächlich zeigt, macht deutlich, dass mit dem Eigenwerbe-Slogan  nicht zu viel versprochen wurde. Die dritthöchste deutsche Spielklasse  wird nach den ersten vier Wochen von vielen Seiten, darunter sogar aus der 1. Bundesliga, geradezu mit Lob überschüttet. Und das Allerschönste daran: Der 1. FC Magdeburg ist nicht nur dabei, sondern mittendrin.
Als die Blau-Weißen sich im Mai mit zwei grandiosen Siegen in der Relegation gegen die Offenbacher Kickers durchgesetzt hatten, gelang ihnen damit endlich der langersehnte Sprung in den Profifußball. Zuvor waren sie ein Vierteljahrhundert durch den Amateurbereich getingelt. Den meisten hiesigen Fans kam es seinerzeit vor, als lebten sie in einer  Kicker-Diaspora. Das ist nun vorbei: Magdeburg war in Sachen Fußball immer ein schlafender Riese. Nun ist er erwacht.
Das sehnsüchtige Schielen nach Rostock, Dresden oder Cottbus ist, Gott sei Dank, vorbei.  „Der Verein ist dort, wo er hingehört – diese Stadt lebt und liebt Fußball“, sagt Cheftrainer Jens Härtel.  „Magdeburg ist eine Fußballstadt und musste lange auf Profifußball verzichten. Viele Menschen definieren ihr Selbstwertgefühl auch über den Erfolg ihrer Mannschaft“, ergänzt Sportchef Mario Kallnik. Im Osten bildet sich auch durch Sport und Fußball ein neues Selbstbewusstsein, eine starke regionale Identität.  Das ist etwas, was weit über das rein Sportliche hinausgeht. Und nicht nur für Soziologen interessant sein dürfte.
Der Club befindet sich heute wieder dort, wo sich der einzige Europapokal-Gewinner der DDR (Pokalsieger-Cup 1974) zur Wendezeit  verabschiedet hatte: in einer neuen Art DDR-Oberliga. Mit acht Vereinen ist die „Dritte“ zu einem Sammelbecken der Ost-Clubs geworden. Oder, um mit den Worten des ehemaligen Dresdner Sturm-Stars Ulf Kirsten zu sprechen: „Die Dritte Liga ist die Bundesliga des Ostens.“ Allein 56 Ost-Derbys versprechen einen besonderen Reiz. Mit Magdeburg, Dynamo Dresden, Hansa Rostock, Rot-Weiß Erfurt, Energie Cottbus, dem Chemnitzer FC und dem Halleschen FC sind allein sieben Teams  dabei, die in der Saison 1990/91 quasi das Licht im DDR-Fußball ausknipsten. Hinzu kommt Erzgebirge Aue, damals zweitklassig.
Doch es sollte noch besser kommen: Der FCM legte in neuen  Gefilden einen nicht einmal von den kühnsten Optimisten vorausgesagten Start nach Maß hin. Nach vier Runden ist die Härtel-Truppe  noch ohne Niederlage (2 Siege, 2 Remis) und hat sich erst einmal im Spitzenquartett  festgesetzt. In sechs Punkten versucht  Magdeburg Kompakt, den Ursachen des Aufschwungs nachzuspüren (siehe Übersicht) – es kann sich dabei allerdings um nicht mehr als eine reizvolle Momentaufnahme handeln.
Das Team
Mit zwei Siegen und zwei Unentschieden rangiert der FCM nach vier Spieltagen (die Heimpartie gegen den Chemnitzer FC fand nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe statt) auf einem für einen Neuling ausgezeichneten 3. Platz. Dabei ist noch zu berücksichtigen, dass die Magdeburger mit Ausnahme des erst nach dem zweiten Spieltag geholten kanadischen Nationalspielers Andre Hainault  (früher VfR Aalen) keine Akteure aus Zweit- oder Drittligaklubs verpflichtet haben.  In den ersten vier Begegnungen bewahrheitete sich, was Trainer und Manager gebetsmühlenartig verkünden: Dieser FCM des Jahres 2015 definiert sich, mehr noch als vorangegangene Jahrgänge, über die Mannschaftsleistung. Trainer Jens Härtel: „Leidenschaft und Herz, dies macht den heutigen Magdeburger Fußball aus.“ In den 360 Minuten, die bislang auf den Rasen absolviert wurden, war unübersehbar:  Ist die Teamleistung gut, stimmt in der Regel auch das Ergebnis. Kämpferisch stach zu Saisonbeginn vor allem Neuzugang Jan Löhmannsröben (früher Wacker Nordhausen) heraus. Ein echter Gewinn. Der eigentlich als Königstransfer angesehene Stürmer Manuel  Farrona-Pulido (kam gleichfalls aus Nordhausen) konnte sich bislang nicht durchsetzen, der Deutsch-Spanier wurde ein Opfer seiner schwachen Defensivleistungen. Zweimal gelang es dem Team, dank nimmermüden Einsatzes Rückstände (jeweils 0:1 in den Heimspielen gegen Erfurt und Halle) noch in Siege umzumünzen. Auffällig aber auch: Dem FCM fehlen herausragende Individualisten. In der spielgestaltenden Zone agiert zudem mit Ausnahme von Lars Fuchs niemand, der dem Spiel der Blau-Weißen überraschende Akzente zu geben vermag.  Hier besteht bei künftigen Neuverpflichtungen sicher Handlungsbedarf.

Die Fans und Zuschauer
Um diese Fans beneidet den FCM ganz Fußball-Deutschland. Mit ihrer Stimmung und ihrer Euphorie peitschen sie das Team nach vorn; auch auswärts. Beispielhaft war ihr Verhalten im Sachsen-Anhalt-Derby gegen den HFC – gerade hier hatte es in den zurückliegenden Jahren in beiden Städten oftmals richtig gekracht. Man spürt in Magdeburg: Die Fans halten die Füße still. Sie wollen dieses Geschenk, denn nichts Anderes ist diese Saison, nicht zerstören. Offen ist noch, ob die bemerkenswerte Offerte der  blau-weißen Clubführung, bei Gewaltexzessen der eigenen Fans nicht aufs Spielfeld zurückzukehren und damit die Punkte herzuschenken, je die Probe aufs Exempel über sich ergehen lassen  muss. Manager Kallnik kündigte jedenfalls an: „Wir ziehen das gnadenlos durch. Bei uns hat Kriminalität keinen Platz.“ Auf jeden Fall hat man mit diesem Projekt deutschlandweit erst einmal für Aufsehen und Anerkennung gesorgt. Mit einem Schnitt von 21.000 Besuchern in den ersten beiden Heimspielen etabliert sich der Klub nicht nur als Nummer zwei in der 3. Liga (hinter Dresden), sondern lässt sogar viele Zweitligisten hinter sich. Geplant hat der Aufsteiger sehr konservativ, geht in den Wirtschaftsunterlagen  von einem Zuschauerschnitt von 10.500 aus. Und noch etwas nicht Unwichtiges: Bei Zuschauerzahl und Stimmung in den jeweiligen Arena hat der Neuling FCM den alteingesessenen Erzrivalen HFC schon um Längen hinter sich gelassen.

Der Trainer
Mit Jens Härtel, 2013 nach Magdeburg gekommen,  ist dem FCM wahrhaft ein Glücksgriff allererster Güte gelungen. Schien es anfangs noch so, als würde der zuweilen introvertiert wirkende Fußballlehrer seine Spieler nicht erreichen, über ihre Köpfe hinwegreden, so ist das längst Vergangenheit. Heute ist der akribische Arbeiter und Taktik-Tüftler unumstritten und einer der Väter des Aufstiegs.  Wie er aus einer Schar fast namenloser Viertliga-Kicker ein Team formte –  das beeindruckte. Er lässt, das wurde in den ersten Partien sichtbar, ein aggressives Pressing spielen, bei dem jeder seine ganz genau formulierten Aufgaben hat.  Manager  Kallnik in einem Boulevard-Blatt: „Jens Härtel ist genau unser Mann. Er wird seinen Weg im Profigeschäft gehen. Ich gehe davon aus, dass er das Zeug sogar für zwei Ligen höher hat. Ob er das mit dem FCM schafft, ist eine andere Frage.“  Trotz der Anfangserfolge bleibt Härtel  Realist: „Wir dürfen uns nicht die Augen verkleistern lassen. Jetzt von irgendwelchen Dingen zu träumen, ist total unrealistisch. Es geht einzig und allein um Punkte, um in der Liga bestehen zu können.“

Stadion und Service
Bei der derzeitigen Begeisterung und dem Zuschaueransturm läuft es manchem kalt den Rücken runter, wenn er sich ausmalt, es hätte den (lange Zeit umstrittenen) Stadionneubau nicht gegeben. Da die Arena verkehrstechnisch (nur zwei Elbbrücken, und die nicht einmal voll belastbar)nicht gerade günstig liegt, sind bei Zuschauerzahlen über 15.000 Staus und manchmal stundenlanges Warten eine Kröte, die wohl geschluckt werden muss. Die angekündigten Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit im Stadion (Plexiglaswände zwischen einigen Blocks) sind zweifellos nötig, denn durch die geschaffenen zuschauerfreien Zonen gehen einige Tausend Plätze verloren. Dass der Service im Stadion auf jeden Fall verbesserungsbedürftig ist und die LED-Anzeigetafeln seit Jahren blinde Flecken aufweisen, haben lokale Blätter gerade nach dem Auftaktspiel gegen Erfurt aufgezeigt. Die neue  LED-Bandenwerbung ist hingegen einmalig in der 3. Liga.

Die Finanzen
Der FCM ist laut Präsident Peter Fechner mit einem Etat von 5,4 Millionen Euro in die Saison gestartet. Damit hat sich das Volumen gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt. Wer sich auf den Werbebanden im Stadion umblickt, erkennt schnell: Der Club wird weiterhin von Firmen des Mittelstands getragen. Durch die TV-Übertragungen des MDR (Live-Spiele) und der ARD (Sportschau) erhält der Verein pro Saison jetzt 750.000 Euro.  Steffen Heidrich, ehemaliger Manager bei Erzgebirge Aue und Energie Cottbus, freut zwar die Entwicklung der Ost-Clubs, schränkt  aber ein: „Ich bedaure es, dass man sich in der 3. Liga trifft. Die hat sportlich zwar ordentlich Niveau, finanziell lohnt sie sich bei  750.000 Euro TV-Geld im Vergleich zu vier bis acht Millionen in der 2. Liga aber nicht.“ Neue Finanzquellen erhoffen sich die Clubs der Liga mittelfristig vom zuletzt mehrfach geäußerten Interesse des Pay-TV-Kanals Sky. Sollte es hier zu einer Vereinbarung kommen (allerdings frühestens 2017), von der dann auch der FCM profitieren könnte (den Klassenerhalt einmal geflissentlich vorausgesetzt),  wäre das nach Ansicht des Präsidenten des Nordostdeutschen Fußballverbandes (NOFV), Rainer Milkoreit , „eine gute Sache“. Denn, so Milkoreit: „Die (finanzielle, d. Red.) Schere zwischen der Zweiten und Dritten Liga wird immer größer. Das tut dem deutschen Fußball nicht gut.“

Die Liga
Diese Liga ist die vielleicht spielstärkste dritthöchste Spielklasse in ganz Europa, mithalten kann – auch wenn Quervergleiche oft hinken – höchstens die dritte englische Division. Die deutschen Spitzenclubs der „Dritten“ dürften sich schon heute mit einigen Zweitligisten auf einem Level bewegen (Beispiel Dynamo Dresden). Das Niveau der Liga macht FCM-Coach Jens Härtel am Beispiel Darmstadt 98 fest: „Die haben vor zwei Jahren noch in Liga 3 gespielt und dann den Durchmarsch in die Bundesliga geschafft. Das zeigt, welches Potenzial in dieser Spielklasse liegt.“  Sieben Jahre nach ihrer Gründung steht die „Dritte“ besser da denn je. Mehr als 2,5 Millionen Zuschauer kamen in der vergangenen Saison – neuer Rekord. „Das ist ein Wert“, so unterstreicht DFB-Vizepräsident Peter Frymuth, „ der sogar mit den zweiten Ligen in Italien, Spanien und Frankreich konkurrieren kann.“ Jetzt mit den acht Ost-Clubs wackeln die Bestmarken erneut. Alle acht setzten jeweils über 2.000 Dauerkarten ab, auch hier bildet der FCM mit 5.900 Tickets hinter Dresden (12.700) die Nummer zwei.  Man spricht schon von einer Ostalgie des Fußballs. Schöner wäre es allerdings noch, wenn aus der Masse der Ost-Clubs auch neue Qualität entspränge. Soll heißen: einigen von ihnen müsste demnächst den Sprung in die 2. Liga gelingen.

Die Prognose
Noch hat niemand das wahre Gesicht der Elbestädter gesehen; wahrscheinlich  nicht einmal der Trainer. Will heißen, das Team ist, bei allen Anfangserfolgen, nur schwer einzuordnen. Es ist völlig offen, wohin der Weg des FCM über die lange Distanz von 38 Spieltagen führt. Wird der gegenwärtige Weg beibehalten, sollten die Magdeburger mit dem Abstieg jedoch nichts zu tun haben.

170814PG_Kruegel_Denkmal15„Da kann viel passieren“ Interview mit FCM-Präsident Peter Fechner

Beim Blick auf die Tabelle muss Ihnen das Herz übergehen. Haben Sie sich die Rangliste ausgeschnitten?
Peter Fechner: Das nicht, aber ich habe sie, das gebe ich zu, fotografiert. Für einen Tag waren wir ja sogar Spitzenreiter. Dennoch, das alles ist nur eine Momentaufnahme.

Worum geht es also in der Sache?
Eine erste Bilanz kann man frühestens nach acht Spieltagen ziehen. Trotzdem, wir sind gut aus den Startlöchern gekommen und müssen nun die Euphorie der Anfangsphase nutzen und Punkte sammeln, um rechtzeitig aus dem Abstiegsbereich herauszukommen.

Ich weiß nicht so recht, 40 Punkte sind sicher gut. 43 wären besser. Man muss bedenken, dass die Serie mit 38 Partien sehr lang ist. Da kann viel passieren, gerade für uns als Aufsteiger.