Die Welt durch ein Objektiv

JanaRichter_3Von Tina Heinz

Wer nicht aufsteigt, kann nicht runterfallen. Mit diesem Satz könnte man Jana Richters Lebenseinstellung beschreiben. Die Magdeburgerin geht einem Beruf nach, der sie vor Herausforderungen stellt, nicht zuletzt auch finanziell, und der sie stets mit neuen Erfahrungen bereichert. Doch es ist eben nicht nur ein Beruf. Es ist Leidenschaft. Es ist ihr Leben. Dokumentarfilme sind ihre Welt.

„Ich kann mir nicht vorstellen, etwas anderes zu tun“, sagt die 37-Jährige. „Auch wenn es zeitaufwendig ist, viel Organisationstalent erfordert und – in Bezug auf finanzielle Mittel – manchmal nervenaufreibend ist.“ Um Fördermittel muss sich gekümmert, Drehgenehmigungen müssen eingeholt und Visa, falls für das jeweilige Land erforderlich, müssen beantragt werden. Was Jana Richter als Produzentin, Regisseurin und Kamerafrau bei ihren Reisen fernab der Heimat erlebt, entschädigt jedoch für das Erledigen des öden und lästigen Papierkrams.
Wer nicht aufsteigt, kann nicht runterfallen. Das gilt sicher auch für die Entscheidungen, die die Magdeburgerin als Studentin getroffen hat. An der Kunsthochschule Kassel studiert sie zunächst Produkt-Design. Doch bald entdeckt sie die Fotografie für sich. „In den Ferien habe ich mich mit Dokumentar-Fotografie beschäftigt“, erinnert sich Jana Richter. „In New York absolvierte ich ein Praktikum in diesem Bereich.“ Und weil New York nur das erste einer langen Reihe von ausländischen Abenteuern werden sollte, geht sie für ein Jahr nach Mexiko. „Dort merkte ich, dass mich das Filmemachen in seinen Bann zog. Also tauschte ich die Spiegelreflexkamera gegen eine Bewegtbildkamera.“ Nebenbei lernt Jana Richter Spanisch, was sich später als sehr nützlich erweisen sollte. Das Studium im Bereich Produkt-Design schließt sie trotz diverser Exkurse 2003 mit dem Diplom ab und beginnt danach ihr Film-Studium. „Dafür hat es mich nach Prag gezogen, weil ich neben Kassel noch Erfahrungen an einer anderen Universität sammeln wollte. Die Prager Film-Schule ist eine renommierte Einrichtung, die auch Programme auf Englisch anbietet“, erzählt die gebürtige Magdeburgerin.
Zwei Menschen, die ihre Filmkarriere bis heute prägen, sie in allem unterstützen und denen sie – wie sie selbst sagt – viel zu verdanken hat, sind ihre Mentoren Yana Drouz und David Safarian. „Von den beiden habe ich nicht nur alles über Film, sondern auch viel über das Leben gelernt und immer wertvolles Feedback erhalten.“ Jana Richter schließt sich deshalb der NUR-Filmgruppe an – ein Team internationaler Studenten, das von Drouz und Safarian unterstützt wird. „Die Zusammenarbeit zeichnet sich vor allem durch professionelle Ratschläge und unterschiedliche Blickwinkel aus, da Filmemacher aus allen Ecken der Welt beteiligt sind“, erzählt die 37-Jährige. „Wenn ich einen Rohschnitt fertig habe, bekommen ihn alle zu sehen. Anschließend wird lebhaft diskutiert. Das ist mir sehr wichtig.“
„Salam Aleikum Allemagne“ ist einer der wenigen Filme, die Jana Richter als Kamerafrau – gemeinsam mit ihrem Kollegen Behrooz Karamizade – in ihrem Heimatland gedreht hat. Regisseur Karamizade thematisiert darin das Leben von Flüchtlingen in Deutschland. 2012 wird die Dokumentation bei der Berlinale gezeigt… Häufiger ist die Magdeburgerin allerdings im Ausland unterwegs. In von Touristen nicht so stark frequentierten Ländern wie Armenien, Mongolei, Bolivien, aber auch in Kuba, Tschechien, Vietnam, Myanmar und Argentinien.
JanaRichter_VietnamWer nicht aufsteigt, kann nicht runterfallen. Das ist der Untertitel eines preisgekrönten Dokumentarfilms über Gauchos. Es sei ihr Kindheitstraum gewesen, das Leben der südamerikanischen Cowboys kennenzulernen. „Nach meinem Diplom in Produkt-Design habe ich eine Südamerika-Rundreise gemacht. Da hielt ich mich auch in dem argentinischen Bergdorf Chicoana auf, knüpfte erste Kontakte zu Gauchos und ihren Familien“, erinnert sich die 37-Jährige. Dabei sei die Idee gereift, das Leben dieser Menschen im Film aufzuarbeiten. Bis Förderanträge gestellt und genehmigt sowie die Vorbereitungen getroffen sind, vergehen Monate. „Im November 2005 konnte ich mich schließlich mit meiner Kameraausrüstung auf den Weg nach Chicoana machen.“
Neun Monate verbringt sie bei den Gauchos. „Eine intensive Zeit“, wie Jana Richter heute sagt. Von Beginn an sei sie in die Gemeinschaft integriert worden. „Vorurteilen bin ich dabei nicht begegnet. Ich habe viel Unterstützung seitens der Einheimischen erfahren, war aber auch mit den Schwierigkeiten ihres Lebensstils konfrontiert.“ Keine Heizung im Winter, kein fließendes warmes Wasser, keine Elektrizität. Die Verlassenheit und Ruhe der argentinischen Berge. „Ich habe mich in dieser Zeit so lebendig wie noch nie gefühlt“, erzählt die Magdeburgerin. „Und natürlich habe ich durch den Verzicht gewisser Dinge auch vieles zu schätzen gelernt, was bei uns in Deutschland als selbstverständlich gilt.“
Dass sie nach den neun Monaten in Chicoana auf einem Pferd reiten kann, ist eine Zugabe zu all den positiven Erfahrungen. „Wie sonst hätte ich einen Film über das Leben der Gauchos drehen können?“ Stundenlang seien sie zu Pferd unterwegs gewesen, die mehr als zehn Kilogramm schwere Kamera-Ausrüstung stets auf dem Rücken. „Manchmal konnte ich mich nach solch einem Ausritt kaum noch bewegen. Aber mitzuerleben, wie die Gauchos – fast unbemerkt und beiläufig – ein Pferd zähmen, wie sie mit den Tieren umgehen, hat all die Unannehmlichkeiten und Erschwernisse wieder wettgemacht.“
Runtergefallen ist Jana Richter bei keinem ihrer Abenteuer. Lediglich eine Typhus-Erkrankung in der Mongolei und andere kleine Hürden muss sie hin und wieder überwinden. „Anfangs dachte ich, dass ich aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse in gewissen Ländern Probleme bekommen könnte. Aber inzwischen weiß ich, dass man sich mit Menschen verständigen kann, ja sogar Freundschaften schließen kann, selbst wenn man ihre Sprache nicht spricht.“
Dass die 37-Jährige immer wieder in ihre Heimat zurückkehrt, liegt an der Familie. Ihre Mutter hatte sie viel zu früh verloren – umso wichtiger sei ihr die Zeit, die sie mit ihrem Vater und ihren Geschwistern verbringen kann. „Doch ich werde wohl immer wieder zu neuen Abenteuern aufbrechen, um weitere Dokumentarfilme zu drehen“, sagt die Magdeburgerin und in ihrem Blick ist dabei ein wenig Fernweh zu erkennen.