Nino Sardellas Erfahrungen und der lange Reifeweg.
Als Beobachter mit nüchternen, deutschen Wesenszügen erwartet man von einem Vollblut-Italiener vielleicht eine ausschweifende, theatralische Selbstdarstellung.
Doch Nino Sardella wirkt eher ruhig, nachdenklich und besonnen, fast schon wie ein Vertreter des hiesigen Menschenschlags. Immerhin schnuppert er die Magdeburger Luft schon seit 18 Jahren und mag sich einiges angenommen haben, was hier für die Mentalität typisch erscheint. Ursprünglich 1959 in Canosa di Puglia in der italienischen Region Apulien geboren, wächst er später in Turin auf. Sein Vater fand bei einem Zulieferbetrieb von Fiat Arbeit und konnte seiner achtköpfigen Familie damit ein besseres Leben bieten, als zuvor als einfacher Landarbeiter. „Wir schliefen damals zu Acht in einem Zimmer. Die Vier-Zimmer-Wohnung mit Bad in Turin war für uns echter Luxus“, erinnert sich Nino Sardella.
Es war auch der Vater, der ihn zu einer Lehre bei Fiat bewegen wollte. Doch der Sohn hatte seinen eigenen Kopf und andere Pläne. Mit 10 Jahren war er seiner Mutter, die als Küchenhilfe in einer Schule arbeitete, zur Hand gegangen. Seither reifte der Wunsch, Koch zu werden. Trotz des anfänglichen Widerspruchs des Vaters, ließ dieser ihn schließlich ziehen und erlaubte ihm den Weg zum Abitur sowie eine Ausbildung an der renommiertesten Hotelschule Turins. Damit begann für Nino Sardella ein unstetes Leben durch Italiens Küchen. Der einstige Chefkoch eines Fünf-Sterne-Hotels auf Elba war ihm ein wertvoller Lehrer. 1978 kam der junge Gastronom dann doch noch zu Fiat. Allerdings nicht in die Werkhallen des Fahrfzeugherstellers, sondern als Privatkoch für die Eigentümer-Familie Agnelli. Eine seiner Schwestern hatte für die Empfehlung gesorgt. „Ich zitterte vor Angst beim Vorstellungsgespräch beim Patriarchen Giovanni Agnelli“, erzählt Sardella. Nun war er stets dort im Einsatz, wohin die berühmte italienische Familie reiste. Sein Leben war ein ständiges Pendeln zwischen Rom, St. Moritz und Turin oder durch die ganze Welt. Die erste Berührung mit Deutschland hatte er zu diesem Zeitpunkt auch schon hinter sich. Sein Vater und der elf Jahre ältere Bruder Piedro waren fünf Jahre lang in Braunschweig als Gastarbeiter tätig. Nach zwei Jahren musste er den Industriellenhaushalt verlassen. Ein Kollege hatte ihm politische Sympathien für linksextreme Kreise unterstellt. Als sich nach Jahren aufklärte, dass die Behauptung falsch war, sollte er zu den Agnellis zurückkehren. Doch da war Nino Sardella längst verheiratet und wollte für seine Familie da sein. Ein Reiseleben mit den Fiat-Eignern hätte dies nicht erlaubt. Allerdings war ein existenzieller Heimathafen in dieser Zeit auch nicht in Sicht. Nino Sardella kochte in Luxus-Ferienanlagen, machte ein Restaurant in Turin auf, ging wieder zu seinem Bruder nach Braunschweig und wagte auch in Hannover die Eröffnung eines Gasthauses.
1993 – als Bruder Pietro Sardella längst in Magdeburg die Koffer ausgepackt hatte – setzte er erstmals seinen Fuß auf den Bördeboden. Es dauerte allerdings noch bis 1997 bis er endgültig in die Elbestadt übersiedelte. Vom italienischen Restaurant in der Klausener Straße konnte er seine mittlerweile vierköpfige Familie nicht ernähren. In der Lüneburger Straße eröffnete er schließlich das „Dolce Vita“ in den Räumen, die älteren Magdeburgern noch als „Blaue Kachel“ bekannt sein dürften. Ohne Komplikationen war diese Zeit auch nicht. 2004 zog er mit dem Restaurant in die Ernst-Lehmann-Straße. Heute führt dort sein Sohn Giuseppe das Geschäft. Aber der erfahrene Koch hat immer ein Auge auf das Geschehen. Sein Sohn soll zwar seine eigenen Wege gehen, doch vor mancher schmerzlichen Erfahrung möchte er ihn gern bewahren. „20 Jahre lang habe ich wohl viel falsch gemacht und 20 Jahre lang habe ich darüber nachgedacht, was falsch war. Jetzt erst profitiere ich von der langen Erfahrung“, gesteht Nino Sardella.
Erfahrung – das muss für den Magdeburger Italiener die gute Schule in zahlreichen europäischen Küchen, die Summe einiger Rückschläge und die tiefe Verwurzelung im Sein eines Gastronomen sein. An sieben Tagen in der Woche verlangt das Geschäft Einsatz und Lebenskraft. Wenn andere Feiertage genießen, ist für einen Wirt Hochbetrieb im Service und in der Küche. So ein Leben frisst sich jeden Tag ein wenig mehr in die Persönlichkeit eines Menschen. Man muss das Leben lernen, wie es sich täglich anfühlt. Nino Sardella hat gefühlt – die Berge und Täler des Lebens und dabei begleitete ihn immer wieder eine Vision, noch einmal etwas Besonderes zu schaffen. So suchte der heute 56-Jährige lange ein passendes Konzept und einen Standort.
Im vergangenen Jahr eröffnete sich eine Chance. Am Schleinufer 50, unmittelbar an der Elbe, inmitten des städtebaulich erschlossenen Elbebahnhofs waren entsprechende Räumlichkeiten frei. „Für ein italienisches Restaurant war die Fläche viel zu groß“, sagt der Fachmann. Und Nino Sardella machte sich auf die Reise um die Welt, zumindest im Internet, um Anregungen zu finden. So stieß er auf die aufwendige Art, Fleisch Wochen lang reifen zu lassen und es dadurch im Geschmack veredeln zu können. „Dry aged“ bezeichnet man das Verfahren der Fleischtrocknung in speziellen Kühlschränken. Um diese Reifeschränke zu bekommen, musste Nino Sardella zurück nach Italien. Nur dort gibt es einen Produzenten dafür. Ein Export nach Deutschland existiert nicht. Sie werden hauptsächlich in die USA und Südeuropa verkauft. Der Wahl-Magdeburger nahm in Kauf, dass er seine Schränke ohne Garantie- und Servicedienstleistungen ordern musste. „In der Aufbauphase arbeitete ich 26 Stunden am Tag“, verkündet Nino Sardella ironisch. Zwei Stunden rechnete er als reine Lernzeit pro Tag hinzu und bekennt außerdem: „Alles, was ich bisher über Fleischzubereitung wusste, musste auf den Prüfstand. Ich habe ganz viel Neues dazugelernt.“
Von Kollegen wurde er zunächst skeptisch beäugt. In Magdeburg würde so etwas nicht funktionieren. Zu hohe Investitionen, zu wenig Gästepotenzial schätzten andere und irrten sich. Weil sich Nino Sardella in seinen Ideen nicht beirren lässt, weil er auf das Fundament von Erfahrungen baut und die Risiken kennt, nahm er die Mühen auf sich, die der Aufbau des Steakhauses abverlangten. Seit Oktober 2014 gibt es das Restaurant „Toro Grosso – Steaks & more“ und zieht Gäste an. Der geschäftliche Neustart hatte seine Schwierigkeiten, erzeugte Schweiß und Stress. Das Team für Service und Küche musste sich erst finden. Abläufe, Atmosphäre und Qualität sind eben keine Selbstläufer. Man könnte das mit einer Fußballmannschaft vergleichen, die erst im langen Zusammenspiel reift.
Die kalte Jahreszeit war noch nicht zu Ende, da ließ Nino Sardella die Terrasse zum Elbufer hin erneuern und möblieren. Schließlich soll man hier, unterhalb des Domes, nach einem Spaziergang entlang des Stromes einkehren können. Jetzt, da Nino auf die vergangenen Monate zurückblickt, blitzt sein mediterraner Charme auf. Sein Konzept ist bisher aufgegangen und es gibt Tage, an denen man ohne Vorbestellung keinen Platz bekommt. Das malt dem Elb-Wirt ein Lächeln aufs Gesicht und die tief dunkelbraunen Pupillen funkeln im eigenen Glanz.
Als Nino Sardella über die Reife unterschiedlichster Rindfleischsorten referiert, bricht sein italienisches Temperament durch. „Fleisch wird bald nach der Schlachtung zäh und hat wenig Geschmack. Erst durch eine fachgerechte Lagerung und Reifung wird es zart, aromatisch und bekömmlich. Lang gereiftes Fleisch hat eine größere Wasserbindungsfähigkeit, es gart schneller und bleibt saftig. Die Fleischreifung spielt sich innerhalb der Muskelfasern ab und beginnt bereits beim Abkühlen des noch warmen Fleischs direkt nach der Schlachtung…“ Nino Sardella kann im Fachsimpeln über das richtige Reifen ausschweifend sein. Im September will sogar der Reifeschrank-Hersteller nach Magdeburg kommen, weil Nino in den Schränken mit Sorten experimentiert und zu pikantem Geschmack bringt, was den Italienern selbst noch nicht gelang. So trägt er den Namen Magdeburgs weit über die Stadtgrenzen hinaus. Selbst Berliner folgen mittlerweile dem Ruf des Steakhauses, weil das trockene Reifen selbst in der Millionen-Metropole eine seltene Ausnahme ist.
Nino Sardella hat seit den 90er Jahren zunächst ein wenig italienische Lebensart nach Magdeburg gebracht und vor 18 Jahren konnte er keinesfalls sehen, was er hier finden würde. Er fand Erfahrungen und einen Magdeburger Lebensweg. Wenn sein Deutsch auch von einem starken italienischen Akzent geprägt ist, so bekennt er, ein Magdeburger geworden zu sein. Und er ist einer, der mit Besonnenheit und Ruhe, aber ebenso mit südländischer Leidenschaft seiner gastronomischen Passion als Koch nachgeht – täglich, an sieben Tage einer Woche und wenn es sein muss, auch mehr.
Thomas Wischnewski