Geboren 1990. Die erste Generation nach der Wende ist erwachsen. 25 Jahre Leben, 25 Jahre Einheitsdeutschland. Was weiß die Generation „Wendekind“ über die DDR, wie lebt sie heute? Ein Beispiel.
Von Birgit Ahlert
Sandra ist in diesem Jahr 25 Jahre geworden – und Mutter.
Als sie das Licht der Welt erblickte, befand sich der Osten Deutschlands im größten Umbruch nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Land DDR hörte auf zu existieren, das Wort des Jahres hieß Wiedervereinigung, Deutschland wurde eine gemeinsame Bundesrepublik. Das Land DDR hat Sandra nie erlebt, und wenn Ältere darüber erzählen, ist es wie aus einer anderen Welt. „Was ich darüber weiß, kenne ich nur aus dem Geschichtsunterricht“, sagt sie. Diskussionen über Ost und West kann sie nicht nachvollziehen. „Ich besuche Freunde in Dresden wie in Hannover, da gibt es keinen Unterschied.“
Als Sandra Block 1990 geboren wurde, gab es keine Mauer mehr, keine unüberwindbare Grenze, die ein ganzes Volk einsperrte, um es am Weglaufen zu hindern. Plötzlich standen alle Wege offen. Multioptionsgesellschaft nennt man das heute. Ein Paradies? Die junge Frau muss nicht lange überlegen, um zu antworten: „Natürlich haben wir viele Möglichkeiten, doch welche soll man ergreifen?“ Die Auswahl macht es nicht leichter, sondern schwerer, seinen Weg zu finden. Wie früher in Firmen gehen, zum „Probearbeiten“, ist kaum möglich wie in der Generation ihrer Eltern. Da hieß das „Produktive Arbeit“ und war Teil des Unterrichts. Heute geht das Ausprobieren erst nach der Schule los.
Sandra interessierte sich für Soziales. „Menschen helfen“. So begann das 1,50 m große Mädchen nach dem Abitur ein freiwilliges Soziales Jahr (FSJ), arbeitete in der Behindertenhilfe der Pfeifferschen Stiftungen. Das brachte sie zum Entschluss, Bildungswissenschaften zu studieren. Um das Studium zu finanzieren, suchte sie sich Arbeit. Sie zog aus dem Umland nach Magdeburg, jobbte in Gaststätten und fand Spaß daran. Gastronomie heißt aber auch: Arbeit, Arbeit, Arbeit. „Das macht mir nichts aus“, sagt sie überzeugend, „das mache ich gern.“ Ihre Augen glänzen als sie davon erzählt. Ihre Eltern machten angesichts dieser Entscheidung eher besorgte Gesichter. „Mach lieber etwas Vernünftiges!“ rieten sie ihr. Doch die Tochter wählte ihren eigenen Weg und der führte in die Selbständigkeit. Warnungen der älteren Generation zum Trotz: „Da hast du keine Sicherheit!“
Früher war vieles einfacher, hört Sandra öfter. Nach der Schule bekam jede/r einen Ausbildungsplatz, eine Arbeit. Und zwar meist in derselben Firma, bis zur Rente. Mehr Sicherheit, ja, jetzt als Mutter versteht sie besser, was die Elterngeneration damit meint. In der Schwangerschaft hieß das: Arbeiten bis zum letzten Moment. Dennoch sagt sie: „Sicherer muss nicht heißen, dass man damit glücklicher lebt.“ Eins wünschte sich die 25-Jährige allerdings: Studieren zu können, unabhängig vom Geldbeutel. „Ich hätte gern Psychologie studiert“, erzählt sie, doch das ist teuer und es dauert zudem lange, bis man wirklich Geld verdienen kann. Manchmal schaut sie etwas beneidend auf ehemalige Klassenkameraden, die nach der Schule ins Ausland reisten. „Die Frage ist doch: Was will ich tun?“ Das muss jeder für sich beantworten. Sandra hat sich für einen anderen Weg entschieden. Manchmal fragt sie sich, welche Möglichkeiten es sonst noch gäbe… Arbeiten wie ein Zimmermann? Ihr Vater hat das gelernt, sie findet das spannend. Doch mit 25 ist die Zeit des Probierens begrenzt. Ihre Entscheidung jetzt: Mutter sein. „Das ist wunderbar!“, schwärmt sie. Dafür möchte sie noch einmal den Beruf wechseln. Um mehr Zeit für ihren Sohn zu haben. Bankkauffrau wäre ihr Traum. Der zwei Monate alte Knirps lächelt sie an. Ihr Glück strahlt aus.
So glücklich sind andere ihrer Gleichaltrigen nicht, weiß die junge Frau. Ihre Generation ist so gespalten wie kaum eine andere: In jene, die sich alle Träume verwirklichen können, und jene, denen der Boden unter den Füßen weggerutscht ist. Auch diese Freiheit ist heute stärker: ins Bodenlose zu fallen. Wer in der DDR Fehler machte, wurde aufgefangen. „Im Sozialismus wird niemand allein gelassen“, hieß das damals. Das hieß aber auch: in die „sozialistische Spur“ gebracht. Es gab neue Aufgaben, neue Chancen. Aber auch politische Haft und Zwangsadoptionen bei politisch Unerwünschten. Ein gruseliger Gedanke, bei dem die junge Mutter ihren Sohn sichernd an sich hält.
Mütter früher hatten keine Waschmaschine, mussten Stoff-Windeln im Topf auskochen. Sandra weiß das. Hörte es von den Älteren. „Topf ist wieder in“, erzählt sie dann. Vielleicht wegen der Umwelt, meint sie. Vor allem aber sind Windeln teuer. Dass die Generation ihrer Eltern Baumwollwindeln kaum kaufen konnte, und wenn, dann rationiert oder auf ärztliches Attest, kann sie sich nicht vorstellen. Glück war damals, wenn Oma noch ein paar der „guten Stücke“ im Wäscheschrank aufbewahrt hatte. Früher heiß begehrt, nimmt man Baumwollwindeln heute als „Spucktücher“ für die Babys. So ändern sich die Zeiten. Ihr Sohn Maximilian wird wieder andere erleben. Mit ihm beginnt bereits die zweite Generation im Einheitsdeutschland. Und in 25 Jahren hat er wieder ganz andere Geschichten zu erzählen …