Vor 25 Jahren wurde alles anders. Aus der sozialistischen Einheitsfrisur mit brettharter Mauerwelle, wurde die gesamtdeutsche Fönwelle. Die neu gewonnene Reisefreiheit machte auch vor dem Frisiersalon nicht halt.
Auf einmal sollte alles nach Westen riechen und schmecken, oder wenigstens nach Rudis Reste-Rampe. Männer und Frauen wollten mindestens so aussehen wie Modern Talking klang. Schön war das zwar nicht, aber auch Helmut Kohl hatte ja nicht durch seine Pfälzer Haarkranzgefäße überzeugt, sondern dadurch, dass seine Frisur auf so hilflose Weise den Weg vom Mittelscheitel zur Mittelmäßigkeit angetreten hatte, dass man ihm einfach alles glaubte. Jede Glatze träumte von blühenden Landschaften auf der eigenen Omme und vergaß dabei regelmäßig, dass das Geld für den Dünger fehlte. Aus dem Haarschnitt wurde ein Haircut und spätestens als die D-Mark eingeführt wurde, wuchsen die Preise schneller und höher als die Haare. Waren wir dafür bei den Montagsdemos auf die Straße gegangen, fragten sich die Bürgerrechtler, deren Bärte so ausufernd wuchsen, als hätten sie nie einen Rasierer aus der Nähe gesehen. Der Bart ist ab, sagten sich diejenigen, deren Frisuren sich windschnittig jeder Situation anzupassen vermochten. Immerhin konnten jetzt alle so aussehen, wie sie es selber wollten. Keine Partei mehr, die immer Recht hatte, sondern der eigene Geschmack entschied. Wenn ich meine Kunden fragte, was sie wollten, dann erklärten sie mir, dass es vor allem individuell werden solle, anders als die anderen eben. Also machte ich mich ans Werk, und wenn ich fertig war, dann sahen sie genau so anders aus wie alle, weil ja alle anders aussehen wollten. Kurz, die Konformität nannte sich einfach nur freie Wahl und schon sah der neue Einheitsschnitt nach Freiheit und Abenteuer aus. So wurden mit Haargel, Schaumfestiger und Heckenschere aus Mauerblümchen Schnittblumen, die als Nelken in Aspik auf das Verblühen der Versprechen warteten. In diesem Sinne: Der Nächste bitte.