Alle sind willkommen, nur nicht die, die schon da sind

LebenshilfeDie Lebenshilfe Magdeburg plant an der Leipziger Straße / Ecke Hellestraße seit über zwei Jahren den Bau eines barrierefreien Wohnheimes für Menschen mit Behinderung.

Aus Sicht der Geschäftsführerin Heike Woost steigt der Bedarf für ein solches Angebot, weil mehr behinderte Menschen älter werden und sie in vielen Fällen durch den Tod betreuender Eltern auf anderweitige Hilfen angewiesen sind. Obwohl die Planungen fertig sind, seit dem 16. Juni eine Baugenehmigung vorliegt und ein sofortiger Baustart möglich wäre, verweigert die Sozialagentur Sachsen-Anhalt die vertragliche Zusage für die Leistungsübernahme des Bauvorhabens.
Das Projekt soll aus eigenen Mitteln finanziert werden. Der Sozialhilfeträger würde nur mit einem Inves-titionskostenzuschuss für die Miete zur Refinanzierung gefordert sein. Die bisherige Kritik der zuständigen Behörde bezieht sich auf angeblich zu hohe Baukosten und Standards. Der Träger soll weniger Einzelzimmer bauen und Gemeinschaftssanitäreinrichtungen realisieren. Vereinsvorsitzender Dr. Klaus-Dieter Pantke kann die Einwände des Sozialhilfeträgers nicht nachvollziehen. Die ermittelten Baukosten liegen im unteren Bereich des bundesdeutschen Durchschnitts und die Vorgaben zur Senkung von Wohnstandards hält er für unzumutbar. Während einer Pressekonferenz am 12. Oktober fand er gegenüber der Staatssekretärin des Sozialministeriums, Anja Naumann, deutliche Worte: „Es sind weder eine konsensfähige Verständigung, noch fachliche Einsichten in die Realität der zuständigen Behörden erkennbar.“ Auf mehrere Anfragen bei Sozialminister Norbert Bischoff hätte man bisher keine Reaktion erhalten. Die Staatssekretärin fühlte sich während der öffentlichen Darstellung der Sachlage aus Sicht der Lebenshilfe unter Druck und verwies auf die Rechtslage. Klaus-Dieter Pantke und Heike Woost zeigten jedoch, dass Annahmen der Sozialagentur – beispielsweise bei den Baukosten – auf Vergleichsdaten aus dem Jahre 1996 beruhen. Außerdem würde seitens des Landes der aktuellen Entwicklung für die Zahl sowie die Lebens-und Wohnbedingungen behinderter Menschen nicht ausreichend Rechnung getragen. Barrierefreiheit und angemessene Lebensbedingungen würden zwar allerorts gefordert, aber im konkreten Fall laufe man gegen eine Mauer.
Für die verantwortlichen Sozialpolitiker mögen die Vorhaltungen der Lebenshilfe zur Unzeit kommen. Während es derzeit möglich ist, aufgrund der Flüchtlingsströme Unterkünfte, Integrations- und Sozialleis-tungen in neuen Dimensionen bereitzustellen, müssten sich Behinderte mit rechtlichen Standards aus den 50er Jahren zufrieden geben. Ein Mitglied des Bewohnerbeirats der Lebenshilfe brachte seinen Unmut gegenüber der Staatssekretärin auf den Punkt: „Sie wohnen doch bestimmt schön. Wir sind auch Menschen und wollen schön wohnen.“ Der Behindertenbeauftragte des Landes, Adrian Maerevoet stellte den Beteiligten Fachbeamten ein desaströses Zeugnis aus: „…Auch hier ist erkennbar, dass dieser Verwaltung der fachpädagogische Sachverstand völlig fehlt.“
Anja Naumann sicherte die weitere Gesprächsbereitschaft der verantwortlichen Stellen zu. Doch daran will Pantke nach den bisherigen Verhandlungen nicht mehr glauben. Mit der Sozialagentur seien keine sachlich-fachlichen Gespräche mehr möglich. Deshalb suche der Verein auch die Unterstützung der politischen Ebene. SPD-Landtagsabgeordneter Andreas Steppuhn versprach der Lebenshilfe, den Fall in der SPD-Fraktion diskutieren zu lassen und gegebenenfalls auf den Minister einzuwirken. Sachsen-Anhalt ist laut Sozialgesetzbuch für die rechtzeitige und ausreichende Verfügbarkeit erforderlicher Diens-te und Einrichtungen verantwortlich. Der erforderlichen Unterbringung und Betreuung Behinderter käme das Land jedoch nicht nach. Während man Menschen in Not als Flüchtlinge willkommen heißt, fühlen sich auf Unterstützung angewiesene Behinderte wenig willkommen. (tw)