Volk hin, Volk her

Gerald Wolf 2Kein Volk hat so schwer an sich selbst zu tragen wie das der Deutschen. Von dessen ehemaligen Stolz ist gerade mal das Bekenntnis übriggeblieben, besonders gründlich zu sein. Und tatsächlich, im Größenwahn waren die Deutschen viel gründlicher als alle anderen, und so gründlich auch wurden in der Nazi-Zeit die Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt. Seitdem sind wir Deutschen im Selbsthass besonders gründlich und bekennen, dass wir Auschwitz sind und sonst fast nichts.

Aus Sicht der anderen Völker stehen wir Deutschen allerdings besser da. Überhaupt, auch im Irrtum sind wir schon immer besonders gründlich gewesen, in der Akkuratesse z. B., mit der wir die politische Einfalt betreiben und nun auch noch die treuherzige Fremdenfreundlichkeit. Sollten wir uns am Ende trotzdem noch als ein Volk verstehen dürfen? Immerhin, die Giebelinschrift am Parlamentsgebäude geht wie bisher von „Dem Deutschen Volke“ aus, das Grundgesetz auch. Was aber passiert mit uns, wenn wir Deutschen die Reproduktion zunehmend den anderen überlassen? Heute sind es 30 Prozent der Kinder und Jugendlichen, deren Eltern von Anderswo stammen. Morgen werden es mehr sein. Zeit, dass die Inschrift ausgewechselt wird, z. B. in: „Deutschlands Bevölkerung“. Oder wie wär’s mit „Denen, die ihren eigenen Verstand verwenden“? – Oh nein, für die haben wir ja die Extremismus-Keule. Besser vielleicht sollte da oben im Giebel prangen: „Mir und meiner Partei!“? Einfach, weil es ehrlich ist. Rundum besehen, tragen die anderen Völker kaum weniger schwer an sich selbst. Überall die Tendenz, sich in Untervölker aufzuspalten. Weder „den“ Spanier und „den“ Belgier gibt es, noch „den“ Franzosen oder „den“ Inder. Noch nicht einmal „den“ Bayern, wo doch der Oberbayer wer ganz anderes ist als der da in Unterfranken. Die Sprache sei‘s, heißt es, sie würde die Nation, das Volk ausmachen. Wenn es das Deutsche sein sollte, dürfen wir das aber nicht den Österreichern sagen, oder den Schweizern gar. Wieso überhaupt sind die Schweizer ein Volk, die mit ihren vier Sprachen? Und wenn es die Sprache gar nicht ist, was soll das dann mit der Integration durch die Sprache, dem Deutschsprechenlernenmüssen? War da nicht noch mehr, was ein Volk ausmacht, etwas, was es von der schieren Bevölkerung unterscheidet?

Gerald Wolf