Das kleine große Parlament

thomas_editorialWunder von Sachsen-Anhalt oder wie aus weniger mehr wird.

Die Bevölkerung von Sachsen-Anhalt schrumpft. Soweit die Theorie vor Monaten. Inwieweit die Flüchtlinge den Prozess mal umkehren könnten – das steht in den Sternen. In einer Parlamentsreform steht aber geschrieben, dass Sachsen-Anhalt aufgrund der gesunkenen Einwohnerzahl auch weniger Abgeordnete im Landtag unterhalten soll.

Von derzeit 91 auf 87 Mandate würde sich das Parlament nach der Landtagswahl am 16. März 2016 verkleinern. Klingt eigentlich gut, ist aber eher unwahrscheinlich. Man weiß ja, wie das mit politischen Reformen ist: am Ende verkehren sie sich oft ins Gegenteil ihres ursprünglichen Anliegens. Also die Landtagsverwaltung hat schon einige mögliche Varianten an Wahlergebnissen durchgespielt und ermittelt, dass aufgrund des komplizierten Verhältniswahlrechts eher 108 Landtagssitze wahrscheinlich sind. Derzeit gibt es übrigens 105. Je mehr Direktmandate eine Partei gewinnt, umso mehr Ausgleichsmandate müssen vergeben werden. Das Spitzenszenario prognostiziert gar mögliche 115 Mandate im künftigen Landesparlament. Die Abgeordneten, die eine Verringerung der Sitze beschlossen haben, zucken mit der Schulter: Das deutsche Wahlrecht hätten sie schließlich nicht erfunden. Wahlrecht hin oder her – was soll eine Reform, die weniger will und am Ende doch mehr schafft? Hier muss Mephistopheles seine Hand im Spiel haben oder es waren doch die Schildbürger. Schulterzucken hilft nicht. Lassen wir es also auf uns zukommen. Immerhin gibt es da noch den Unsicherheitsfaktor Bürger. Der könnte mit seinem Wahlverhalten verhindern, dass eine Partei besonders viele Direktmandate erhält und zusätzlich Ausgleichsmandate vergeben werden müssen. Den Schwarzen Peter haben ergo wieder wir. Entscheiden sich die Wähler mehrheitlich für eine Partei und Direktkandidaten einer politischen Farbe, huc-ken sie sich gleichzeitig höhere Kosten fürs Parlament auf. Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht. Solche kuriosen Konstrukte sind geeignet, bei Bürgern Kopfschütteln zu produzieren. Da nutzt auch kein politisch unschuldiges Schulterzucken. Im Übrigen sollten solche Wunder, wie aus weniger mehr wird, touristisch vermarktet werden. Es scheint auf den ersten Blick so, als wäre das Zauberwerk eine sachsen-anhaltische Eigenart. Ist es bei genauerer Betrachtung jedoch nicht. Das können andere Bundesländer nämlich aufgrund des Wahlrechts auch. Auf jeden Fall würden wir bei entsprechendem Wahlausgang als Flächenland eines der größten Parlamente haben. Das wäre endlich mal eine Spitzenleistung aus dem Frühaufsteherland.
Thomas Wischnewski