Mit Tom Schwarz vom SES-Stall hat Deutschland den ersten Junioren-Weltmeister im Schwergewicht.
Von Rudi Bartlitz
Liebevoll, beinahe zärtlich streichelte und küsste Tom Schwarz den superbreiten Gürtel mit den eingesetzten billigen Kunst-Edelsteinen und den blitzenden Metallplatten – wahrlich kein Zeichen erhabener Sattler-Kunst. Doch dem 21-jährigen Boxer aus Magdeburg war das in dem Augenblick schnurzegal, als ihm das schwere Ledermonstrum in der Dessauer Anhalt-Arena um die Hüften gelegt worden war. Dem 1,97 Meter großen Koloss (106 Kilo schwer) liefen ungehemmt Tränen übers Gesicht. „Freudentränen“, wie er später, fast ein wenig erschrocken über seine eigene Reaktion, erklärte. Da war es endlich, das Ding! Von dem er so lange geträumt, für das er schon einen Platz in seiner kleinen Stadtfelder Wohnung reserviert hatte („Im Regal über dem Fernseher“) und das ihn jetzt als ersten deutschen Box-Junioren-Weltmeister im Schwergewicht überhaupt auswies.
Jener 14. November, der wird sich wahrscheinlich für die Ewigkeit in den Erinnerungen des Tom Schwarz festsetzen. Über ein Jahr hatte er seinen Promoter Ulf Steinforth, Chef des Magdeburger Profiboxstalls SES, regelrecht angebettelt: „Bitte, Herr Steinforth, lassen Sie mich um die Junioren-WM boxen. Ich kann das, ich will das.“ Doch der ließ, gemeinsam mit Trainer Dirk Dzemski, das junge Box-Juwel zappeln: „Du hast alle Zeit der Welt, wir wollen Schritt für Schritt gehen, dich systematisch aufbauen.“ Es half auch nichts, wenn Schwarz immer wieder auf seine makellose Ringbilanz verwies – dort standen nämlich nur Siege im Kampfbuch, zwei Drittel davon durch Knockout. Die Gegner fielen zuweilen wie Bahnschranken.
Spätestens dann, als ihr Schützling bei 14 Erfolgen in 14 Begegnungen angelangt war und auch Experten wie Axel Schulz sich für anspruchsvollere Aufgaben für den Haudrauf von der Elbe aussprachen, da wiesen die Daumen von Promoter und Coach nach oben. Sollte heißen: Jetzt können wir es wagen. Aber dann, so die Überlegungen, soll der Jungspund ein richtig dickes Brett zu bohren bekommen. Und das hieß Ilja Mezencev (20), war im Alter von vier Jahren mit der Familie aus Kasachstan nach Hamburg übergesiedelt und übertraf Schwarz in der Kampfbilanz sogar noch: Alle seine zehn Gefechte hatte der pfiffige Bursche (Sieger bei der Schach- und Mathe-Olympiade in Hamburg) durch K.o. gewonnen.
Was beide dann in Dessau zeigten, gehört in Bezug auf Dramatik, Intensität und Unterhaltungswert zum Besten, was der Boxsport in Deutschland in den letzten Jahren zu bieten hatte – da kann man solche Namen wie Abraham, Sturm, Stieglitz, Brähmer und selbst Klitschko ruhig einschließen. Der Ausgang ist bekannt. In Runde sieben schoss der SES-Modellathlet seinen Kontrahenten regelrecht aus dem Ring. Mit dem Magdeburger war ein neuer Star der Boxszene geboren. Wer ist nun dieser Tom Schwarz, den plötzlich nicht mehr nur einige wenige Fachleute kennen? Magdeburg Kompakt begab sich auf Spurensuche.
Schon als er am 29. Mai 1994 in Halle zur Welt kam, deutete sich an, dass da ein ziemlich strammer Junge heranwachsen könnte. „Tom wog bei der Geburt 4.095 Gramm und war 54 Zentimeter groß“, berichtet Mutter Daniela. Der Umfang seiner Brust und seines Bizeps aus jenen Tagen ist leider nicht überliefert … Doch wie es so spielt im modernen Leben: Klein-Tom hockte in Naundorf, einem kleinen Ort nördlich von Halle, als Kind meist zu Hause, von Herumtoben oder gar Sport hielt er nicht allzu viel. Und wenn sich mal tatsächlich etwas Sportliches anbot, wollte kein Trainer den kleinen Dicken so recht haben. Irgendwann erzählte Mutter Daniela einer Kollegin von dem bewegungsfaulen Filius daheim. Die wiederum war, so spielt der Zufall, die Gattin von Boxtrainer Dittmar Dzemski im benachbarten Görzig. „Schick Tom doch einfach mal zu meinem Mann“, riet sie. „Der hat noch keinen weggeschickt.“ Gesagt, getan. Mit neun Jahren schlug Schwarz erstmals in der Trainingsgruppe Görzig/ Fuhneland auf. Es sollte der Start einer bemerkenswerten Karriere sein.
„Vom ersten Tag an war Tom mit Feuereifer bei der Sache“, erinnert sich Dittmar Dzemski. Mehrmals in der Woche radelte der Junge nun nach Görzig zum Training. „Er hatte nicht nur Talent, das sah man sofort. Viel mehr haben mich sein Ehrgeiz und sein Siegeswille beeindruckt. Ich merkte, das konnte was werden. Zumal ich auch seine Eltern kannte, beide waren sehr groß gewachsen.“ Bald gab es kaum noch Gegner für Tom. Und Dittmar Dzemski, ganz alte DDR-Schule, empfahl den jungen Kerl („Er ist sehr bodenständig und schaut auch heute als Profi noch häufig bei uns im Verein vorbei. Die Kids lieben ihn.“) an die Sportschule nach Halle. Bei den Amateuren stehen 53 Kämpfe zu Buche, von denen er nur acht verlor und es bis zum deutschen Juniorenmeister brachte. Doch die Amateur-Karriere stockte plötzlich. Und endete abrupt, die Hoffnungen auf Olympia waren zerstoben. Weil, so erinnert sich Schwarz, „die Trainer im Nationalteam wohl etwas, was auch immer, gegen mich hatten“.
Also fügte es sich, dass Dittmar Dzemski seinen Sohn Dirk, seit Jahren Cheftrainer bei SES, auf den „Fall Schwarz“ aufmerksam machte. Der sah sofort, was für ein ungeschliffener Rohdiamant da vor ihm stand. Mit 19 unterschrieb Schwarz einen Profivertrag. Wenn es um junge Leute geht, reicht Boxen allein im Magdeburger Team von Ulf Steinforth nicht aus. „Unser Manager will ein Lehrabschluss-Zeugnis sehen, bevor wir einen Profivertrag unterschreiben dürfen“, so der Schwergewichtler. „Ich habe deshalb vorher noch meine Ausbildung als Facharbeiter für Lagerlogistik abgeschlossen.“
Mittlerweile ist Dzemski so etwas wie eine Leitfigur für den Jungen geworden, der mit drei Jahren bei einem Verkehrsunfall auf tragische Weise seinen Vater verloren hat. „Ich bin sehr viel mit Dirk zusammen, das ergibt sich schon aus den ungezählten Stunden im Gym“, erklärt Schwarz. „Er sagt mir, wo es langgeht, nicht nur sportlich. Ihm verdanke ich sehr viel.“ Neben der Mutter („Sie ist meine engste Vertraute. Sie unterstützt mich, wo sie kann. Früher hat sie mich oft zum Training gefahren, heute kümmert sie sich um meine Geldsachen, Steuererklärung und so. Denn ich bin ja als Box-Profi ein selbständiger Unternehmer.“) und der Großmutter ist der Trainer – der seinen Schützling weiter „Dicker“ nennt – eine der wichtigsten Bezugspersonen im Leben des Neu-Weltmeisters geworden.
Zwei Dinge müssen künftige Kontrahenten im Ring bei dem Mann aus Magdeburg vor allem fürchten: dessen enormen Siegeswillen und die hammerharten Schläge. „Wenn der zuhaut“, merkte ein Sportblatt an, „ist es, als ob dich ein Mühlstein trifft“. Stolz erzählt Schwarz, dass er mittlerweile den internen SES-Schlagstärke-Rekord hält, trotz der Konkurrenz eines Francesco Pianeta (31), immerhin Ex-Europameister und Klitschko-Herausforderer. Noch wichtiger als ein richtiger Bums im Arm, so erklärt der schwere Junge, „ist die Sache im Kopf. Im Boxen gewinnt der, der gewinnen will. Und ich will. Immer. Viele Boxer belassen es, selbst wenn sie führen, beim reinen Faustkampf, setzen kaum nach. Da bin ich anders. Ich gehe hinterher. Ich will den K.o.“ Dafür schindet er sich im Training. Im Sparring prügelt sich das Schwergewichts-Juwel („Ich ernähre mich schon gesund. Nur auf Fleisch könnte ich nicht verzichten.“) nie weniger als zehn Runden, macht zudem Intervallläufe von zehnmal 800 Metern.
Nach dem Triumph von Dessau steht für den harten Burschen mit dem Jungengesicht auf jeden Fall die Box-Welt weit offen. Und er will sie im Sturm nehmen. Mit dem Juniorentitel hat er sich, wenn alles normal läuft, schon einmal unter die ersten 15 der „Erwachsenen“-Weltrangliste katapultiert und hätte damit, zumindest theoretisch, das Recht, einen Weltmeister herauszufordern. Aber da sitzen Promoter Steinforth und Trainer Dzemski – siehe Junioren-WM – erneut hart auf der Bremse. Dzemski: „Er braucht mehr Abgezocktheit. Er will zu viel kämpfen, läuft noch zu enthusiastisch in die Aktionen rein.“ Steinforth meint: „Wir werden definitiv nichts überstürzen. In fünf, sechs Jahren könnte er, wenn alles nach Plan läuft, vielleicht so weit sein, ganz oben anzuklopfen.“
Wären da nicht der Ehrgeiz und die Ungeduld des Heißsporns! Schwarz‘ eigener (schaumgebremster) Plan sieht so aus: „Als erstes hole ich mir die Junioren-WM-Gürtel der anderen Verbände, sofern es sie gibt.“ Quasi auf den Weg dahin soll ihn symbolisch ein kleiner possierlicher Insasse aus dem Zoo in Halle begleiten: ein, wie könnte es anders sein, Gürteltier. Der Himmelsstürmer weiter: „Und mit 24, 25 greife ich ganz oben an.“ Dann lässt er die Bombe platzen und verkündet, als sei es bereits ausgemachte Sache: „Mit 26, 27 bin ich Weltmeister.“ Er zuckt nicht einmal bei diesem Satz. „Ich will Superchamp werden. Das ist mein ganz großes Ziel. Dem ordne ich alles unter.“ Nur eines bedauert er: „Wirklich schade, dass ich wahrscheinlich nicht mehr auf Wladimir Klitschko treffen kann. Wenn ich so weit bin, hat er bestimmt schon aufgehört.“
Auf jeden Fall hat Schwarz seinen Vertrag bei SES jetzt erst einmal um drei Jahre verlängert: „Mir gefällt es in Magdeburg sehr gut, und von dem Geld, das ich verdiene, kann ich gut leben.“ Die zurückliegenden eineinhalb Jahre stand der Sunnyboy („Ich bin ein lustiger Typ und lache unheimlich gern“) nicht nur im Seilgeviert auf der Sonnenseite des Lebens. Privat hatte er, so schien es jedenfalls, sein Glück mit Ex-DSDS-Sternchen Annemarie Eilfeld gefunden. Kennengelernt hatten sie sich bei einem seiner Fights. Seinerzeit diktierte der AC/DC-Fan – der bei seinem WM-Triumph in Dessau zu „Thunder“ einmarschiert war – dem Reporter noch einen Satz in den Block, auf den er offenbar großen Wert legte: „Schreiben Sie unbedingt, dass ich auch ihre Musik liebe.“ Die hübsche Blondine, die in Berlin lebt und derzeit bei einer Musical-Aufführung in Oberhausen gastiert: „Ich singe vor den Hauptkämpfen bei SES manchmal die deutsche Nationalhymne, und so ist man sich dann eben begegnet.“ Auch beim WM-Triumph im Anhaltischen sang sie im Ring und fiel ihrem Heroen anschließend in die Arme. Gut eine Woche später plötzlich das Aus. „Über die Gründe dafür möchte ich in der Öffentlichkeit nichts sagen. Was in der Tratschpresse steht, stimmt jedenfalls so nicht“, erklärte Schwarz gegenüber Magdeburg Kompakt. „Für mich bleibt: Es war eine schöne Zeit.“
Auf die Frage, wo er sich nach dem Ende seiner Karriere sieht, überlegt der ansonsten so schlagfertige und um kaum eine Antwort verlegene „Mister Cool“ etwas länger: „Das weiß ich wirklich noch nicht.“ Um dann ehrlich zuzugeben: „Ich möchte als Profi so viel verdient haben, dass ich mir um Geld keine Sorgen mehr machen muss und mir irgendwo ein schönes großes Haus am Meer leisten kann, auf jeden Fall mit Pool.“ Eines steht ziemlich fest: In den Warenlagern dieser Republik wird man ihn wahrscheinlich kaum noch antreffen …
Beim Modeln, so sagen Beobachter, habe Schwarz zuletzt eine richtig gute Figur gemacht –wie wär’s denn da mit der Schauspielerei? Zumal sich in diesem Genre bereits einige prominente Faustkämpfer versucht haben. Da ist es wieder, dieses spitzbübische Lächeln: „Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Aber ja, ich denke, das könnte ich. Das würde mir gefallen …“