Hatte die Konzert- und Gastspieldirektion der DDR keinen Duden oder gab es ein geheimes Einverständnis? Klar, es gibt in Magdeburg den gleichnamigen Stadtteil. Aber konnte das in der DDR als Begründung reichen, den Bandnamen durchgehen zu lassen? Im noch zu DDR-Zeiten erschienenen Synonymwörterbuch steht als Synonym für Reform, durchaus sachgemäß, „Umgestaltung“.
Mastermind und Unruhegeist dieser Magdeburger Kultband mit dem hinterfotzigen Namen um den Sänger Stephan Trepte war der Gitarrist Jörg „Matze“ Blankenburg, ehemals Quintett 66, danach Klosterbruder, schlussendlich eben „Reform“. Endlich die eigene Band. Drei Langspielplatten spielten sie bei AMIGA ein und wurden hier auch veröffentlicht. Seit einiger Zeit treffen sich die Klosterbrüder mit „Matze“ immer mal wieder zu Auftritten an früheren Kultorten. Und wieder sind die Säle voll. Kürzlich erst hatte er seine Premiere als Sänger. Das war ihm ungewohnt: Zur Buchpremiere von „Das kleine Liverpool – Geschichten aus dem Café IMPRO“ im MDR-Landesfunkhaus sang er zur Gitarre. Ich dachte dabei: Warum macht er das nicht öfter? Das klingt doch! Der Mann hat Seele in der Stimme. Aber „Matze“ ist in seinem Selbstverständnis nicht der Frontmann. Er war der Mann hinter Trepte, aber der, der für das erfolgreiche Line-up der Band sorgte, für die Kompositionen, für den Sound. Und er war, das bestätigen seine Kollegen, im „IMPRO“ derjenige, dem man eine Liste mitgab, was man aus dem nichtsozialistischen Ausland an Instrumenten oder Technik brauchte. „Matze“ besaß die Gabe, solche Dinge zu „besorgen“. Und immer, wenn die Puhdys in die Stadt kamen, war deren erster Weg nach dem Aufbau in die Bäckerei von Vater Blankenburg zum fröhlichen und intensiven Pflaumenkuchenessen. Mit Harry Jeske verbindet ihn bis heute eine tiefe Freundschaft.
Seine Innovationslust speiste ihre Wurzeln aus seiner musikalischen Neugier. Er hörte nicht nur, was Rock-Kollegen spielten. „Baby Sommer, Ulli Gumpert, Conny Bauer, Hermann Anders, diese Jazzmusiker waren mir immer Vorbilder. Deren Improvisationskunst hat mich fasziniert. Von denen habe ich mir das abgeguckt. Und meine Bekanntschaft mit Conny Bauer, die verdanke ich natürlich auch dem IMPRO.“ Das machte ihn aus: Das ständige Schauen über den Tellerrand der Rockmusik. Das machte auch die Platten aus. Die Karriere endete mit dem Ausreiseantrag. Blankenburg ging in die Schweiz. Nach der Wende ließ er sich in seiner geliebten Idylle Heinrichshorst bei Colbitz nieder. Heinrichshorst, das ist ein altes Jagdschloss mitten im Wald, mehrere Höfe, einer davon der Blankenburgs, Wald, Vogelgezwitscher. Heinrichshorst ist da, wo die Welt zu Ende ist und das Paradies beginnt. Noch. „Ich wohne in einem Naturschutzgebiet“, sagt er. „Ein Bruch. Ursprünglich und Heimat für alles mögliche Getier. Das soll jetzt vorbei sein.“ Der Ur-Reformer Blankenburg kann gar nicht in Rente gehen, weil er nun verhindern möchte, dass das Kaliwerk Zielitz seine Halde in den Bruch erweitert. Sie haben eine ökologische Widerstandsgruppe gegründet. „Weißt du“, sagt er, „ ich habe ja jahrelang in der Schweiz gelebt. Man kann über die Schweiz ja gerne lästern. Aber was die Natur angeht, da sind die Schweizer wenig kompromissbereit.“ Da sind sie für ihn Vorbild geblieben. „Man muss schützen, was ursprünglich ist. Wir haben nicht so viele solcher ursprünglichen Bruchlandschaften. Da kann man nicht einfach mit der Arbeitsplatzkeule kommen und alles plattmachen. Da muss man eben über Initiativen nachdenken.“ Daran arbeiten sie hier in Heinrichshorst. „Matzes“ Renten-Reform heißt: „Neue Beweglichkeit gegenüber althergebrachtem Denken“. Er ist nach wie vor der Unruhegeist.
Ludwig Schumann