Mit den Händen gesprochen

Stefanie SensStefanie Sens gestikuliert. Automatisch und scheinbar ununterbrochen fliegen ihre Hände vor ihrem Körper auf und ab. Ein heilloses Durcheinander für den ahnungslosen Betrachter. Ihre Lippen bewegen sich dabei unentwegt, doch kein Ton ist zu vernehmen. So verdient die Wahl-Magdeburgerin ihr Geld – mit Gestik und Mimik, mit einem Hand-Werk im wahrsten Sinne des Wortes. Stefanie Sens ist Gebärdensprachdolmetscherin.

Sie verleiht den Menschen eine Stimme, die nicht sprechen können und hört für diejenigen genauer hin, die nicht hören können. Sie ist der sprachliche Mittler zwischen hörgeschädigten Menschen und all denen, die die gesprochene Sprache verwenden. Nach Schätzungen des Deutschen Schwerhörigenbundes leben derzeit in Deutschland mehr als 80.000 Gehörlose und etwa 16 Millionen Schwerhörige.
Dass sich die 32-Jährige für diese berufliche Laufbahn entschieden hatte, ist eher dem Zufall geschuldet. „Häufig ist es so, dass man in der Familie oder im Freundeskreis hörgeschädigte Personen kennt oder auf andere Weise mit Hörgeschädigten in Kontakt kommt und sich deshalb entscheidet, Gebärdensprachdolmetscher zu werden“, erzählt Stefanie Sens. Bei ihr sei das jedoch nicht der Fall gewesen. Die gebürtige Sächsin hatte nach dem Abitur eine Vorlesung zu diesem Thema an der Fachhochschule in Zwickau besucht und sich dann für das Studium entschieden. „Mich hat diese Form der visuellen Sprache einfach sehr fasziniert und deshalb besuchte ich einen vorbereitenden Volkshochschul-Kurs und bewarb mich in Magdeburg.“ Erst seit Anfang der 1990er Jahre ist es möglich, eine Ausbildung in diesem Bereich zu absolvieren, da die Gebärdensprache lange Zeit nicht als vollwertige Sprache anerkannt und zeitweise in fast allen Schulen verboten wurde. Erst seit 2002 ist in Deutschland mit dem Inkrafttreten des Behindertengleichstellungsgesetzes der Anspruch hörgeschädigter Menschen auf Gebärdensprachdolmetscher und andere Kommunikationshilfen gesetzlich geregelt.
Der Studiengang Gebärdensprachdolmetscher wird neben Magdeburg, Zwickau oder Hamburg nur an wenigen weiteren Universitäts- bzw. Hochschulstandorten angeboten. Stefanie Sens begann ihr Studium 2003 und machte sich nach dem Erhalt ihres Diploms selbständig. „Das Studium war zum Glück sehr praktisch aufgebaut. Natürlich wurden uns auch theoretische Grundlagen vermittelt, aber der Fokus lag auf dem Erlernen der Gebärden … also im Prinzip auf dem Erlernen einer Fremdsprache“, schildert die 32-Jährige. Eine Fremdsprache, die über eine komplexe Grammatik und ein umfassendes Vokabular verfügt. Realisiert wird die Gebärdensprache auf visuell-motorische Weise (anders als bei den akustisch-auditiv verfahrenden Lautsprachen). „Dabei wird das gesamte Ausdrucksrepertoire des Oberkörpers ausgeschöpft“, erklärt die Fachfrau. „Natürlich spielen die Hände und die Arme eine wichtige Rolle, aber auch die Mimik, also Gesicht und Kopf, sind essentiell, um sich verständigen zu können. Zudem sind die tonlos gesprochenen Wörter von großer Bedeutung.“ Als Beispiel führt Stefanie Sens an, dass am Ende einer Frage die Augenbrauen nach oben gezogen werden, um die Satzart kenntlich zu machen. Oder bei der Steigerung von Adjektiven wird nicht nur mit den Händen angezeigt, dass etwas nicht groß, sondern größer ist, es muss auch mimisch markiert werden. Von den Nuancen ganz zu schweigen! „Man muss darauf achten, ob man die Hände zum Körper hin oder vom Körper weg führt. Auch die Krümmung der Finger kann unter Umständen eine andere Bedeutung haben, als wenn die Bewegung mit ausgestreckten Fingern vollzogen wird“, gibt Stefanie Sens weitere Einblicke in die Gebärdensprache.
Um Missverständnissen vorzubeugen, ist also Akkuratesse vonnöten. Und der Wille, sich ständig weiterzubilden. „Sprache unterliegt einem steten Wandel. Außerdem lernt man immer wieder etwas Neues kennen und muss sich dann die entsprechenden Gebärden aneignen“, so die Dolmetscherin. Ob beim Arzt, bei einer Behörde, bei Betriebsversammlungen, beim Elternabend, beim Studium, bei Vorträgen, bei Diskussionsrunden, bei Hochzeiten oder bei Beerdigungen – manchmal reicht die Alltagssprache nicht aus. Fachwissen muss her. „Das stellt mich natürlich hin und wieder vor Herausforderungen, vor allem, wenn es um Bereiche geht, die mir nicht so vertraut sind – wie beispielsweise bei einer Mathematikvorlesung an der Uni. Aber das macht auch den Reiz des Berufs aus – die Vielseitigkeit, sich ständig weiterzuentwickeln und mit Menschen zu interagieren.“
Die meiste Zeit ist Stefanie Sens glücklich mit ihrer Berufswahl. Doch ab und zu gibt es schwierige Momente. Beispielsweise bei einer Trauerfeier oder wenn sie beim Arzt eine negative Diagnose dolmetschen muss. Schlimmer sind nur bürokratische Streitereien. „Es frustriert mich, wenn Anträge für die Bestellung eines Gebärdensprachdolmetschers abgelehnt werden oder finanzielle Leistungen nicht übernommen werden. Schließlich hat jeder ein Recht auf Kommunikation.“ Auch aus diesem Grund ist die Freiberuflerin Mitglied im Berufsverband der GebärdensprachdolmetscherInnen in Sachsen-Anhalt (Infos unter www.begisa.de). „Der BeGiSA versteht sich als Interessenverband seiner Mitglieder, als Sprachrohr für Hörgeschädigte – und besonders die politische Arbeit des Vereins ist von großer Bedeutung.“
Tina Heinz