Ein Leben für die Literatur

141115PG_Mitschke8Reiten, reiten, reiten, durch den Tag, durch die Nacht, durch den Tag. Reiten, reiten, reiten. Und der Mut ist so müde geworden und die Sehnsucht so groß …“ Wolfgang Mitschke rezitiert diese Worte aus seinem Lieblingsbuch. Rainer Maria Rilke: „Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke“.

Er hat davon eine Feldpostausgabe. Ja, im Krieg wurde gelesen, auch an der Front, weiß er von seinem Vater. Der nämlich wurde als Buchhändler zu den Soldaten geschickt. Literatur brachte ein Stück Heimat.
Wolfgang Mitschke wurde 1933 geboren, im damaligen Schlesien, als Sohn einer Buchhändlerfamilie. Direkt hinein ins Leben der gedruckten Worte und Geschichten. So prägte Literatur sein Leben von der Geburt an. Aus Wissbegier und mit Hilfe der Großmutter lernte er früh lesen, mit gerade mal fünf Jahren. Bücher lassen ihn bis heute nicht los. Und er sie nicht. Wie „ Die Abendburg“, die der Knabe einst in Trümmern fand. Mit der Schwester auf der Suche nach Essbarem, hatte er dieses Buch entdeckt. Der Autor: Bruno Wille, ein Magdeburger. Wolfgang war fasziniert von der Geschichte und hütete die Ausgabe, selbst als die Familie 1945 bei der Flucht gen Osten ihr Hab und Gut zurücklassen musste. Auf dem Weg kam er übrigens ein zweites Mal mit Magdeburg in Berührung: Hier stoppte der Zug, der Junge stieg kurz aus, um sich umzusehen – und war entsetzt über die zerbombte Stadt. „Da lebt kein Mensch mehr“, erzählte er seiner Mutter. Dass es ihn viele Jahre später genau in diese Stadt verschlagen würde, konnte Wolfgang Mitschke nicht ahnen. Dass es seine Heimat werden wird, in der er sich wohl fühlt. Zunächst landete die Familie in Malchin, Mecklenburg. Wolfgang machte eine Ausbildung in einer Privatbuchhandlung in Güstrow, und als der Volksbuchhandel Ende der 1950er Jahre aufgebaut wurde, gewann man den damals 25-Jährigen, der in Wismar und Rostock wirkte, bevor es ihn 1979 nach Magdeburg verschlug. Als Regionalleiter hatte er 46 Buchhandlungen unter sich, mit 300 Mitarbeitern und der Weinert-Buchhandlung im Zentrum der Stadt als „Flaggschiff“. Er lernte Schriftsteller kennen, organisierte Lesungen und holte sogar Bücher nach Magdeburg, die eigentlich gar nicht verkauft werden sollten. Wie „Der sechste Sinn“ von Wolfgang Schreyer. Eine Geschichte, die sich mit der Beeinflussung des Liebeslebens befasst – und zunächst im Westen Deutschlands gedruckt wurde, sogar im Playboy. In der DDR wurde der Roman abgelehnt; allerdings „war die Druckerei schneller als die Zensur“, erzählt Mitschke. Er kannte das Manuskript und setzte sich für die Veröffentlichung ein. Schreyer erfuhr davon bei Einsicht in seine Stasi-Akte und dankte später in einem anderen Buch dem Mann, der noch heute zu seinen Freunden zählt. Viele Freundschaften haben sich über die Jahre entwickelt, halten bis heute. Mit Brigitte Reimann trank er Rotwein („Sie trank mich unter den Tisch!“), mit Bestsellerautor Dietmar Grieser feierte er 70. Geburtstag in Wien, plauderte mit Günter Grass über Kunst …
Längst ist er kein Buchhändler mehr, doch die Liebe zur Literatur ist geblieben. Er gehörte zu den ersten Mitgliedern der Literarischen Gesellschaft Magdeburg (LGM), die im Januar 1991 auf Initiative von Dr. Gisela Zander gegründet worden ist. Ab 1994 war Wolfgang MItschke zunächst kommissarisch, dann als gewählter  Vorsitzender aktiv, 18 Jahre lang. Heute ist er Ehrenvorsitzender. Die Gesellschaft organisiert eine Vielzahl von Veranstaltungen wie Autorenlesungen, Vorträge, literarisch-musikalische Abende vorrangig im Literarturhaus, ebenso wie Publikationen und einmal im Jahr eine literarische Reise. Sie engagiert sich für Magdeburger Autoren, die auch Wolfgang Mitschke am Herzen liegen. Dazu gehören Erinnerungen an Heinrich Zschokke oder Johannes B. Brennecke und natürlich Bruno Wille, Autor der „Abendburg“.
Auch mit 82 Lenzen kann Wolfgang Mitschke nicht ohne Literatur. Ein Buch in der Hand zu halten, sich seine Geschichte zu erschließen, das macht ihm Freude. Wie das Reden darüber. In der „Schmökerkiste“ beim Offenen Kanal beispielsweise, immer am ersten Mittwoch des Monats. Oder bei Veranstaltungen im Literatur-haus. Dort findet am 27. Januar 2016 die Festveranstaltung „25 Jahre Literarische Gesellschaft“ statt und Wolfgang Mitschke wird gemeinsam mit Gründungsmitglied Hanns H. F. Schmidt über Literatur und deren Gesellschaft plaudern. Wer dabei sein möchte:  Nachfragen bei Britta Roders, E-Mail: ligemag@gmail.com
Birgit Ahlert