Dirk Roswandowicz, Präsident des Sportclub Magdeburg, über die Chancen der Athleten bei den Olympischen Sommerspielen 2016 in Brasilien. Noch bleiben knapp 230 Tage bis zur Eröffnung der Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro. Wie stehen die Chancen der Athleten des SC Magdeburg, sich für das deutsche Team zu qualifizieren, wie sieht es eventuell mit Medaillenchancen aus? Magdeburg Kompakt sprach darüber mit SCM-Präsident Dirk Roswandowicz.
2012 in London waren sieben SCM-Athleten am Start, ein weiterer war als Reservekandidat nominiert. Hinzu kamen mit den Handballern Bartosz Jurecki und Björgvin Gustavsson zwei ausländische Sportler, die für Ihren Klub spielten. Wie sieht es diesmal aus? In den meisten Sportarten ist das System, sich für Rio zu empfehlen, sowohl national als auch international ziemlich kompliziert und undurchsichtig, für den Außenstehenden nur schwer nachzuvollziehen.
Dirk Roswandowicz: Dazu muss man generell sagen, die Qualifikationen für Olympia beginnen ja erst im nächsten Jahr so richtig. Das Bild ist also noch sehr unscharf. Mit Stand heute kann man festhalten, dass von den Spitzenathleten des SCM etwa ein Dutzend zumindest die Chance besitzt, sich für Rio beziehungsweise das schwarz-rot-goldene deutsche Team zu qualifizieren. Alles andere werden wir dann im Frühjahr oder Frühsommer sehen. Wie schon gesagt, das Qualifikationssys-tem ist nicht einfach.
Lassen Sie uns die fünf Bereiche, in denen der SC Magdeburg Höchstleistungssport bestreitet, einmal im Detail durchgehen. In London stellten die Leichtathleten mit fünf Startern das mit Abstand stärkste Kontingent.
In Rio wird es nicht so gut aussehen, so viel lässt sich schon einmal festhalten. Wir rechnen ganz fest damit, dass Diskuswerfer Martin Wierig in Brasilien dabei ist. Ob es seine Diskus-Kollegin Anna Rüh schafft, die sich erst vor kurzem dem SCM angeschlossen hat, muss man sehen. Selbst wenn sie die Normweite erreicht, gibt es in Deutschland noch weitere drei starke Werferinnen, die mit ihr um die Plätze in der Mannschaft streiten. Chancen besitzen unserer Meinung nach auch die beiden 400-Meter-Läufer Thomas Schneider und Eric Krüger in der Staffel. Doch das Quartett muss sich international noch die Teilnahmeberechtigung erlaufen. Für den lange verletzten Ex-Weltmeister im Speerwerfen Marco de Zordo und den ebenfalls lange ausgefallenen 400-Meter-Hürdenläufer Varg Königsmark wird es sicherlich ganz schwer.
Wie sieht es bei der zweiten olympischen Kernsportart, den Schwimmern, aus?
„Schmetterling“ Franziska Hentke sollte nach ihren tollen und konstanten Leistungen 2015 gesetzt sein. Wenn sie gesund bleibt, sehe ich sie auf jeden Fall im Team. Freiwasser-Spezialist Rob Muffels muss noch schwierige nationale und internationale Ausscheide bestreiten. Seine Chancen dürften bei 50:50 stehen.
Zum Rudern – einer Disziplin, in der der SCM bei Olympia die größten Triumphe feierte.
Da ist Marcel Hacker von allen unseren Olympia-Anwärtern die sichers-te Bank. Ihn kann nur eine langwierige Erkrankung oder eine Verletzung aus der Bahn werfen. Sein Boot ist auf jeden Fall schon für Rio qualifiziert. Für den jungen Philipp Syring, der es vom Potenzial her drauf hat, kommen die Spiele sicher ein Jahr zu früh.
Zur anderen Wassersportart, den Kanuten.
Hier rechnen sich mit Yul Oeltze, Erik Leue und Michael Müller drei unserer Athleten etwas aus. Wir wissen aber bereits heute, dass es aufgrund der unterschiedlichen Positionen unserer Jungs in den Booten und der zur Verfügung stehenden Plätze im deutschen Team am Ende maximal nur zwei von ihnen schaffen können.
Bleibt da noch der Handball.
Da ist abzuwarten, ob die deutsche Mannschaft im Frühjahr 2016 bei einem der drei Qualifikationsturniere das Ticket für Rio lösen kann. Die zweite Hürde für unsere beiden Kandidaten Matthias Musche und Finn Lemke besteht darin, sich am Ende auch im Wettbewerb der deutschen Spieler für das Nationalteam zu empfehlen.
Dann gäbe es noch die ausländischen Sportler. Sie halten, wie vor vier Jahren, daran fest, sie ins Rio-Team des SCM einzubeziehen?
Natürlich. Warum denn auch nicht? Sie spielen und trainieren bei uns, tragen unser Trikot und werden von uns bezahlt. Sie sind Teil des SCM.
Und ihre Chancen?
Da muss man ebenfalls abwarten, welche Spieler national nominiert werden. Und zweitens muss man sehen, welche Teams sich in den Vorturnieren durchsetzen. Dänemark ist dafür, wie die Deutschen, als WM-Fünfter auf jeden Fall startberechtigt. Mit Yannick Green, Jacob Bagersted und unserem Sommer-Neuzugang Mads Christiansen hätten wir drei Kandidaten im Rennen. Bei den Slowenen und Marko Bezjak ist noch offen, ob sie vielleicht über eine Hintertür noch den Sprung nach Rio schaffen.
Strich drunter. Wie sieht es mit den Medaillenchancen aus?
Alleiniges Bewertungskriterium bei uns im Klub ist die Qualifikation. Wer das schafft, hat unser Ziel erreicht. Wenn am Ende noch eine Medaille herausspringt, egal in welcher Farbe, wäre die Zielstellung zu 100 Prozent erfüllt.
Das klingt stark nach einem Sinneswandel.
Richtig, bei uns im Verein, konkret im Präsidium, hat, auch noch im Vergleich zu London 2012, ein Umdenken stattgefunden. Sportler und Trainer dürfen enttäuscht sein, wenn die eventuell anvisierte Medaille oder die erhoffte Endkampfplatzierung nicht herausspringt. Wir als Präsidium werden es nicht sein. Wir erkennen allein die Leistung eines jeden einzelnen an, die er erbringen muss, um sich überhaupt fürs Olympia-Team zu qualifizieren.
Was liegt Ihren Überlegungen dabei zugrunde?
Wir haben in den letzten Jahren registriert, regis-trieren müssen, wie sehr sich der sportliche Wettbewerb weltweit verschärft hat. Immer mehr Länder streben Weltklasse im Sport an. Eine ganze Reihe von ihnen tut das mit sehr viel Geld, anderswo geschieht das unter Anwendung illegaler Mittel. Bei manchen kommt sogar beides zusammen. Bei uns hingegen steht nicht mehr Geld für den Hochleistungssport zur Verfügung als vor acht oder zwölf Jahren. Ein anderer Aspekt: Die Welt ringsum hat sich verändert. Bei uns kommen weniger hochtalentierte Kinder und Jugendliche zum Sport, sie sind an anderen Dingen interessiert. Zudem haben wir es in Deutschland in den letzten zehn Jahren verschlafen, Nachwuchs intensiv zu fördern. Die Folgen bekommen wir jetzt zu spüren. Noch etwas: Die reiche Bundesrepublik hat es nicht vermocht, ein System zu installieren, in dem die Hochleistungssportler finanziell abgesichert sind. Viele entscheiden sich, wenn die Frage Sport oder Job steht, heute für die berufliche Laufbahn.
Dennoch, wenn wir auf den SCM nicht allein durch die Brille Hochleistungssport schauen, präsentiert sich da ein Verein, der 2015 nicht nur sein 60-jähriges Bestehen feiert, sondern nach eigener Darstellung auch eine erfolgreiche Entwicklung nimmt.
Ja, ich denke, wir haben in den zurückliegenden Jahren die für die Zukunft wichtigen Strukturen geschaffen, stehen finanziell stabil da. Bei uns ist alles ordentlich gegenfinanziert. Wir sind, obwohl wir diese große Breite besitzen, im Verein noch enger zusammengerückt. Stolz sind wir ebenso darauf, dass von unseren 2500 Mitgliedern über 90 Prozent aktiv im Klub Sport treiben. In einigen Bereichen gelangen wir sogar an Kapazitätsgrenzen was die Zahl der zur Verfügung stehenden Sportstätten und Übungsleiter betrifft.
Fragen: Rudi Bartlitz