Auszug/Leseprobe: Die Adlereltern mussten sich noch zwei Tage gedulden, dann erst drangen auch Laute aus dem zweiten Ei. Die Mutter hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, als sich ein hübsches, zartes Adlermädchen aus der Schale befreite. „Mein kleiner Schatz, willkommen in unserem Nest.“
Überglücklich war die Mutter und schrie ihr Glück in den blauen Himmel. „Tara, ja Tara sollst du heißen. Genau wie meine Mutter, deine Großmutter. Komm kleine Tara, schlüpfe unter mein warmes Gefieder.“
Aber einer war damit gar nicht einverstanden. Theo hatte sich absichtlich aufgeplustert und ganz breit gemacht. „Hier ist nicht genug Platz für zwei“, rief er laut. „Na, na“, sagte die Mutter: „es wird schon gehen, schau wie zart deine kleine Schwester ist.“ Leise murmelte Theo: „Ja eben, zart ist sie, aber ein Adler sollte nicht zart, sondern stark und kräftig sein, so wie ich.“ Aber das hatte seine Mutter nicht gehört. Sie wartete sehnsüchtig auf ihren Mann, um ihm seine neue Tochter vorzustellen. Bald darauf gruben sich seine gelben Krallen in den Nestrand.
„Psst, leise, die beiden schlafen.“
„Die beiden?!“, fragte der Vater.
„Ja mein Schatz, du hast nun auch eine Tochter. Sie heißt Tara.“
„Zeige sie mir“, bat der Vater, „ist sie auch gesund?“ Vorsichtig hob die Mutter ihre Flügel. „Da, schau – wie schön sie ist.“
„Ja, sie ist schön, aber …“
„Was – aber“, fragte die Adlerin und ihre Augen fingen gefährlich an zu funkeln.
„Ich meine nur“, stammelte der Vater verlegen, „vielleicht ist sie zu schwach für das harte Leben hier in den Bergen. Außerdem gibt es in diesem Jahr nicht so viel Wild wie sonst, manchmal brauche ich viele Anflüge, ehe ich mal ein mageres Kaninchen erbeute.“
„Ich werde dir helfen“, sagte die Mutter, „in einigen Tagen kann ich die beiden schon eine Weile allein im Nest lassen, gemeinsam werden wir genug Beute schlagen.“
„Gut“, meinte der Vater, aber so richtig sicher war er sich nicht.
….
Waren die Eltern lange fort, fing Theo an, mit seiner Schwester zu streiten. Dabei konnte er richtig gemein sein. Tara war sehr traurig darüber, dachte aber – wenn wir erst einmal eine richtig große Beute bekommen und Theo ordentlich satt ist, wird er schon friedlicher. …
Irgendwie hatte sie ihn trotzdem lieb. Vielleicht lag es daran, dass sich Theo – wenn er gut gelaunt war – herrliche Geschichten ausdenken konnte. Er erzählte, wie es wäre, wenn er erst einmal so groß und stattlich wie der Vater in einem eleganten Gleitflug über die Berge segeln würde. … Das Fliegen übte er schon fleißig. Immer wieder stelzte er mit seinen Beinchen durch das Nest und flatterte mit seinen Flügeln. „Schau Tara, was für starke Flügel ich schon habe. Es dauert nicht mehr lange, dann kann ich schon auf den Nestrand fliegen. Ich werde schon lange aus dem Nest fort sein und um die Welt fliegen, wenn du noch mit deinen Beinen kämpfst.“
Tara seufzte dann immer, steckte den Kopf unter ihre kleinen Flügel und träumte davon, wie sie eines Tages der Sonne entgegenfliegen würde. …
Was ich brauche, ist nur etwas Übung, dachte Theo. Gesagt, getan. Er begann mit den Flügeln zu schlagen und tatsächlich … Nur einen Moment später saß er auf dem Nestrand. Und dann? Es wurde ihm ganz schwindelig als er herab blickte. Verflixt, dachte er. Das kann doch wohl nicht wahr sein. Ich habe Höhenangst, ich ein Adler! …
Dann war Tara dran. Immer häufiger schwang sie ihre zierlichen Flügel und dann kam der Moment, als sie, ziemlich unerwartet, auf dem Nestrand stand. Einfach so. Theo traute seinen Augen nicht. Seine Schwester, seine zarte, kleine Schwester – stand – wie selbstverständlich dort oben und schaute furchtlos auf die Weite der Landschaft. … Die Eifersucht stieg gefährlich in ihm auf …
Textauszüge aus:
„Theo“ von Katrin Lacina.
Kinderbuch
Illustration: Waldemar Hofman
Herstellung und Verlag:
BoD – Books on Demand, Norderstedt
ISBN 978-3-7386-5989-4
Es war der Blick aus dem Küchenfenster, der Katrin Lacina zur Geschichte über den Adlerjungen Theo inspirierte. Der hohe Wipfel einer Tanne bewegte sich im Wind und sie hat sich vorgestellt, wie es sich dort als Vogel leben würde. Und was ist eigentlich, wenn der nicht schwindelfrei ist? Aus diesem ersten amüsanten Gedanken entstand eine Geschichte über einen Adlerjungen, der stark sein will und doch seine Schwächen hat. Die möchte er nicht eingestehen, vor allem nicht vor seiner kleinen Schwester. Wie das bei Geschwistern eben manchmal so ist, gibt es zwischen ihnen Reibereien, Eifersüchteleien und Kräftemessen. Bis letztlich die kleine Tara aus dem Nest fällt, woran Theo nicht unschuldig ist. Als sie von wilden Tieren angegriffen wird, muss sich der Bruder beweisen und seine Angst überwinden, um ihr zu helfen. Weil Geschwister eben auch füreinander da sind. „Du hast doch wohl nicht uns gemeint“, soll einer ihrer Söhne gesagt haben, als er die Geschichte hörte. Doch beide Jungs waren sich sofort einig: „Das solltest du aufschreiben, damit auch andere die Geschichte lesen können.“ Gesagt, getan. Nach längerer Suche hat sie das Buch unter dem Titel „Theo“ über den Internetverlag BoD (Books on Demand) veröffentlicht. Es ist eine zu Herzen gehende Geschichte über Familie, Herausforderungen und Liebe. Wunderbar erzählt und mit beeindruckenden Illustrationen versehen. (ab)
Der Illustrator
Die wunderbaren Illustrationen zur Geschichte über die Adlerjungen stammen aus der Feder von Waldemar Hofmann. Er studierte Pädagogik und Kunst und ist derzeit als Mediendesigner bei einer Werbeagentur tätig. Der in Helmstedt ansässige Künstler hat einige Jahre in Magdeburg gelebt, war u.a. am hiesigen Theater als Bühnenbildner tätig und arbeitete beim Fraunhofer Institut. Mit der Autorin verbindet ihn eine langjährige Bekanntschaft. Er ist Maler, Zeichner, Grafikdesigner und seine Illustrationen für „Theo“ sind zwar nicht die ersten, aber doch erstmals für ein Kinderbuch. „Die Geschichte ist so schön“, begründet er, „es freut mich, dass ich einen Beitrag zum Buch leisten durfte.“