Bei Liebeskummer sollte man Hochhäuser meiden. Zu schnell kommt man auf dumme Gedanken – und es ist wenig romantisch, wenn dann der Körper des Verzweifelten vom Beton gelöst werden muss. Was bleibt als Ausweg in Magdeburg?
Einst war der Stadtpark gegenüber Buckau der Ort einer großen Liebe, und wie zu erwarten, auch der Ort eines gewaltigen Kummers. Ein in Buckau ansässiger Ritter ließ sich des öfteren auf die Insel inmitten der Elbe übersetzen, um zur Jagd zu gehen. Ritter Wilfried galt als entschlossener Jagdgenosse und verbrachte viel Zeit, den armen Rehlein und Hirschlein aufzulauern. Eines Tages begegnete er dort der Nixe Elwine, die, blondgelockt, aus einem Nachen vor den Ritter sprang und noch im Sprunge sein Herz eroberte. Beide entbrannten in großer Liebe, Wilfried schwor Bein und Stein. Frauen sind da ja ein wenig nüchterner und behalten die Alltagsgefahren stets im Blick, was eine Liebe auch schnell mal abkühlen lassen kann.
Jedenfalls warnte Elwine ihren Ritter, dass er alles dürfe, aber um Gottes Willen dürfe er ihr gegenüber nicht misstrauisch sein und ihr nachspüren. Das verspricht sich leichter als es gehalten werden kann, so ein Treuegelöbnis. Natürlich durchaus ernst gemeint. Aber Treue ist ein leicht abnutzbarer Rohstoff. Verheiratete wissen das. Elwine jedenfalls flüsterte ihrem Wilfried, dass sie bald Besuch aus der Saale in die Elbe bekäme, ihre Cousinen, die Saalenixen. Unserem Buckauer Wilfried klingelten die Ohren. Was, wenn die Nixen Nixeriche wären? Wilfried hockte sich hinter den Busch und beobachtete die wässrige Verwandtschaft. Es war nichts auszusetzen. Da aber bemerkte eine der scheuen Saalenixen den im Busch lauernden Jäger. Ehrlich gesagt, wäre ich auch erschrocken gewesen. Die Wasserverwandschaft tauchte ab. Elwine tat, wie versprochen: Bei Misstrauen ist Schluss. Sie kam nie wieder.
Ritter Wilfried, tieftraurig über seine Missetat, hockte sich ans Ufer und weinte und weinte und weinte. Er baute irgendwann an dieser Stelle ein kleines Häuschen, um beim Weinen nicht nass zu werden von oben. Er weinte einen ganzen Brunnen voll und verstarb. Wahrscheinlich dehydrierte er. Fortan fand sich ein Blumenstrauß an dieser Stelle. Elwine weinte auf ihre Weise. Wo der Wilfried das Salz in der Erde versenkte, gebunden in seine Tränen, entstand auf der Rotehorn-Insel, die so hieß, weil der Ritter mit Elwines rotem Horn den Nachen rufen konnte, auf dem Elwine auf die Elbe fuhr, eine Salzquelle.
Die im Süden des Magdeburger Stadtparks gelegene Quelle, die bis 1933 sprudelte, wurde mit einer Mauer eingefasst. Mittels einer kleinen Treppe kann man zum Wasser herabsteigen. Es handelte sich bei der Quelle um eine artesische, deren Salzgehalt wahrscheinlich aus dem Schönebecker Salzvorkommen stammte. Aber das ist ja schon wieder der technische Teil der Geschichte. Nein, mit der Sage von Elwine und Wilfried im Hinterkopf, eben den aus Liebeskummer geweinten Tränen, ist das ein ganz romantischer Flecken, die Liebste bei den Händen zu fassen und sich von der wunderbaren Geschichte, aber auch von der schönen Umgebung verzaubern zu lassen. Sozusagen ein Ort zum Träumen ins Leben mitten in Magdeburg. Otto, wie er träumt und lacht. Ludwig Schumann