Wolfs Redlichkeiten: Auf den Hund gekommen

Gerald Wolf 2Ein kleines, beeindruckendes Experiment: Junge Wölfe, gemeinsam mit Hunden gleichen Alters aufgezogen und allesamt hungrig, bekommen von ihrem Betreuer ein Gefäß mit Leckerbissen vorgesetzt. Anders als sonst ist der Deckel fest verschlossen. Während die jungen Wölfe stur vor sich hin probieren, blicken die Hundchen immer wieder zu ihrem Betreuer hin, von wegen: „Ich krieg das hier nicht auf, hilf mal!“


Vor etwa 10.000 Jahren war der Hund noch ein Wolf. Nicht nur seine Vielgestaltigkeit ist Ergebnis der Züchtung, auch das jeweils rassetypische Verhalten. So verschieden die Rassen sind, allen gemeinsam ist ihnen die Ergebenheit gegenüber Frauchen bzw. Herrchen. Deren Stimmung erfahren sie über den ständigen Blickkontakt. Und genau das ist es, was dem Wolf fehlt. Auch wenn er von Hand aufgezogen  wird, bleibt er ein Wolf. Dafür sorgt sein Erbgut, das sich unter anderem eben in dem Punkt Menschbezogenheit von dem der Hunde unterscheidet. Zwar ist das Verhalten höherer Tiere durch Lernprozesse mehr oder weniger modifizierbar, immer aber in den Grenzen ihrer Natur.

Im Prinzip gilt das auch für uns Menschen. Neben unserer individuellen Biografie und der jeweiligen Kulturgeschichte sind wir über das Erbgut tief in unserer Naturgeschichte verwurzelt. Vieles ist uns angeboren, ohne von Geburt an kenntlich zu sein. Die Welt der Gefühle gehört dazu, ebenso die damit zusammenhängenden Bedürfnisse. Sie kommen erst im Laufe der Kindheit durch Hirnreifungsprozesse ins Spiel und sind deshalb leicht mit Lernprozessen zu verwechseln. Zudem variieren die dafür zuständigen Gene individuell. Alles zusammen macht aus dem Menschen das, was er nun mal ist: ein ganz und gar einzigartiges Geschöpf. Schwer zu begreifen. Und ohne die eine Faktorengruppe wie auch die andere überhaupt nicht. Das allerdings wird nicht von allen so gesehen. In den Humanwissenschaften (Geistes-, Sozial-, Kultur-, Erziehungswissenschaften) gibt es Studienrichtungen, bei denen die Natur des Menschen schlichtweg ignoriert wird.

Da möchte man empfehlen, doch wenigstens versuchsweise auf den Hund zu kommen (wie überhaupt auf das Tier), um eben auch auf dieser Schiene, nämlich auf der der Verhaltensbiologie, zum Menschen zu gelangen. Bekanntlich sieht man den Wald nicht, wenn man mittendrin steht.