Ich bin ein langsamer Leser. Möglicherweise bleiben mir aus diesem Grunde immer mal wieder auch Textzeilen Herman van Veens haften, obwohl ich beim Gedicht aufsagen in der Schule immer versagt habe. Auf seiner Tour 2010 war er noch mit Eric van der Wurff, dem alten Freund und „Spielgefährten“ am Klavier unterwegs.
Van Veen ohne van der Wurff? Das war 49 Jahre undenkbar. Van Veen hatte in jener Zeit viel über das Altwerden und das Sterben nachgedacht. Die Sorge um den Freund durchzog auch unser damaliges Gespräch. Und da waren immer wieder Texte wie dieser: „Als Oma damals starb aus Kummer weil Opa gestorben war, fragte das kleine Mädchen: „Mama, wo ist Oma?“ „Schatz, Oma ist ein Engel geworden“ Worauf das Mädchen fragt: „Mama, wann wird der Engel wieder eine Oma?“
Dieser Text ging mir im Kopf herum, als mich die Nachricht vom Tod Eric van der Wurffs erreichte, zufällig, als ich einmal nachschauen wollte, wann er geboren war. Als ich Eric das erste Mal im Fernsehen sah, lebte er in Hermanns Mühle im Schrank. Wie froh war ich, dass ich ihm wenigstens einmal begegnen durfte und auf seiner CD nun sein Autogramm steht. Es ist, als hielte ich damit ein Stück Eric für mich fest. Also ein Stück „heile Zeit“. Dabei hatten wir uns gar nicht mehr zu sagen, als dass ich ihm sagen konnte, dass ich sein Album mit den kleinen klassischen Stücken liebe und er sich dafür bedankte. Aber was soll man einander auch sagen, wenn man dem Anderen auf so feine Weise zuhören kann.
„Wenn du jung bist, weißt du nicht,
dass du jung bist.
Genau so, wie das Meer nicht weiß,
dass es weit ist.
Und das Schiff, dass es fährt.
Und der Stuhl, dass er hält.
Wenn du mutig bist, weißt du nicht,
dass du mutig bist …
Wenn du tot bist,
Weißt du dann?“
Auch so ein Lied aus dieser Tournee. Irgendwann strich Hermann Eric über den Kopf, ein bisschen war das schon wie Abschied. Vielleicht war es aber auch nur das fröhliche Gefühl, dass er noch da war, der stille, der lyrische Clown unter den beiden, der wunderbare Arrangeur, der musikalische Meister der fröhlichen Melancholie. Herman van Veen hat es verstanden, wieder ganz wunderbare Musiker um sich zu scharen. Die kongeniale Edith Leerkes, die ihn singend und auf der Gitarre bereits seit Jahren begleitet und es versteht, sich auf ganz eigene Weise einzubringen. Das Durchschnittsalter des Tourneeensembles ist, eingerechnet den siebzigjährigen Hermann, 29 Jahre, „Saß letztens bei einer Probe und schaute unserem Juniormusikanten zu und fühlte einen kleinen Stich von Eifersucht auf all das, was er noch mitmachen wird …“
Und natürlich ist das Ende des Lebens auch auf der neuen, sehr jung klingenden Scheibe ein Thema: „Fallen oder Springen“: Erst wird die Welt größer, vom Zimmer zum Haus, zur Straße … Und im Alter auf dem umgekehrten Weg wieder kleiner, bis sie im Zimmer endet. Van Veen hat die Tour Eric van der Wurff gewidmet. Es ist gut, dass die Musik jetzt wieder so frisch klingt, ein wenig an den unbeschwerten Anfang erinnernd, und doch nicht ohne Altersweisheit. Aber, ich gebe zu, für mich wird er am 5. März in der Magdeburger Stadthalle immer noch am Flügel sitzen. Warum wir ihn dann nicht sehen? Weil er vermutlich wieder in der Mühle im Schrank hockt. Er hat sich ja Strom hineingelegt. Freilich, die Frage bleibt: Wann wird aus dem Engel wieder Eric?
Fallen oder springen
Herman van Veen gastiert mit seinem neuen Programm am 5. März in der Stadthalle. Mit seinen 70 Jahren fühlt er sich zwar „im Winter seines Lebens angekommen“, ist aber nach wie vor voller Tatendrang und spielt regelmäßig über 100 Konzerte pro Jahr, die zudem mit dem einen Wort „Konzert“ im Grunde nur unzulänglich beschrieben sind. Und nach wie vor ist van Veen in seinem Genre einzigartig. Die Kreativität des Sängers, Liedermachers, Geigers, Clowns, Kabarettisten, Komponisten, Poeten und Malers ist unerschöpflich. Mit leisen Tönen und geistreichen, rätselhaften und verrückten Worten verzückt er sein Publikum seit Jahrzehnten. „Fallen oder Springen“ heißt das neue Programm, und der Künstler selbst findet: „Dieses Motto passt außergewöhnlich gut zu meinem Alter. Es war und wird auch immer die wichtigste Entscheidung meines Lebens bleiben, ob ich mich einfach nur fallen lasse oder aktiv springe. Bei Problemen habe ich mich immer dafür entschieden, zu springen und eine Lösung zu finden“.