Buchpremiere mit Renate Sattler
1961 in Magdeburg geboren, studierte Renate Sattler Angewandte Kulturwissenschaft. Sie war als kulturpolitische Mitarbeiterin sowie als Koordinatorin für entwicklungspolitische Bildung tätig. Seit 2007 ist sie freiberufliche Autorin und seit 2011 Vorsitzende des Verbandes deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller – Landesverband Sachsen-Anhalt.
Am Donnerstag, 14. April, lädt Renate Sattler um 19.30 Uhr zur Premiere ihres autobiographischen Romans „Risse im Gesicht“ in die Stadtbibliothek Magdeburg ein. Der Eintritt ist frei.
Unerträgliches Schweigen
Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. Die alte Spruchweisheit erhebt die Schweigsamkeit ins beste Licht. Zurückhaltung kann geboten sein. Verletzungen gilt es zu vermeiden. Aber Schweigen ist eben nicht immer Gold, vor allem dann nicht, wenn es verordnet wird, ideologisch, politisch oder im vorauseilenden Gehorsam. Schweigen ist die Antwort, die man nicht geben will. Es hält Menschen im Wartestand, im Ungewissen, und solche Zustände führen unweigerlich in eine Unterträglichkeit des Seins. Renate Sattler kennt das Schweigen aus der eigenen Familiengeschichte. Über den Großvater und sein plötzliches Verschwinden hatte sich Schweigen gelegt, angeordnetes und selbstauferlegtes. In „Risse im Gesicht“ erzählt sie das Geheimnis ihrer Familie zugleich stellvertretend für viele andere. Marion erzählt von ihrer Kindheit und Jugend in den sechziger und siebziger Jahren. Mit sechzehn beginnt sie zu schreiben und wird zum Bezirkspoetenseminar delegiert. Dort wird ihr der Zirkel “Schreibender Studenten” an der damaligen Technischen Hochschule Magdeburg empfohlen. Dort liest sie ein Gedicht über das Grab des Großvaters. Durch das Verhalten der Poeten und des Zirkelleiters wird ihr deutlich, dass sie ein Tabu gebrochen hat und eine Veröffentlichung nicht einmal in der begrenzten Reichweite des “Lesebogens” der Zirkelmitglieder möglich ist. Ein zweiter Versuch, das Schweigen zu brechen, scheitert beim Zentralen Poetenseminar. Das Kriegsende. Das Kriegsende bleibt der Dreh- und Angelpunkt, die Familiengeschichte spannt sich generationenübergreifend jedoch über annähernd einhundert Jahre von den 1920er Jahren bis in die Gegenwart. Rund zehn Jahre hat sich Renate Sattler ausgehend von ihrem Großvater mit dem Schicksal von Männern auseinandergesetzt, die kurz nach Ende willkürlich von den sowjetischen Behörden verschleppt wurden. In Archiven gab es kaum Antworten. Deshalb ist sie den Zeitzeugen dankbar, die nach Zeitungsaufrufen mit ihr sprachen, als Betroffene oder als Angehörige. Auf diese Weise gelingt es Renate Sattler, die Zusammenarbeit zwischen der sowjetischen Kommandantur und den provisorischen Verwaltungen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) sowie die Bedingungen im Lager Fürstenwalde offen zu legen, wohin auch ihr Großvater kam. (tw)