Das Raubein und der Schreibtisch

240416PG_Franz2Der frühere Fußball-Bundesliga-Profi Maik Franz kehrte zu seinem alten Verein 1. FC Magdeburg zurück. Als Assistent der Geschäftsführung ist er unter anderem für den Aufbau eines Scouting-Systems zuständig.

Von Rudi Bartlitz

Wie er da so sitzt an seinem Schreibtisch, den Laptop vor sich aufgeklappt, würde wohl kaum jemand vermuten, einem der härtesten Abwehrspieler gegenüber zu sitzen, die die Bundesliga in ihrer über 50-jährigen Geschichte je hervorgebracht hat.

Kompetent, eloquent, humorvoll – wenn Maik Franz über Fußball redet, ist er in seinem Metier. Kaum etwas erinnert dann an den Mann, der einst wegen seiner knallharten Spielweise „Iron Maik“ (eiserner Maik) genannt wurde; seine direkten Gegenspieler hatten in der Regel weit weniger nette Namen für ihn. In Zahlen liest sich das so: In 191 Bundesliga-Einsätzen für den VfL Wolfsburg, den Karlsruher SC, Eintracht Frankfurt und Hertha BSC kam Franz auf  99 gelbe und sechs rote Karten.  Eine wahrlich ansehnliche Bilanz.
„Es stimmt, auf dem Spielfeld habe ich schon hingelangt“, sagt heute der Mann, der seit einigen Monaten beim Drittliga-Aufsteiger 1. FC Magdeburg als Assistent der Geschäftsführung tätig ist. „Ich bin oft ans Limit gegangen, an die Grenzen. Aber dafür gab es immer nur ein Motiv: Ich wollte unbedingt gewinnen.“  Gegen den Namen „Iron Maik“, der ihn einst ebenso berühmt wie berüchtigt machte, hatte er eigentlich kaum etwas einzuwenden: „Ich wollte mich nie verstellen. Ja, vor brisanten Begegnungen oder Derbys habe ich den einen oder anderen Spruch rausgehauen, noch einen draufgesetzt. Nach der Partie war das für mich schnell vergessen. Doch wenn du in den Medien erst einmal einen Namen weg hast, verfolgt dich das. Ich selbst hatte damit keine Probleme,  meine Familie und die Freunde dafür umso mehr. Das war zuweilen heftig, was da auf sie einprasselte. Wenn die Familie plötzlich angegriffen wird, tut das sehr weh. Das hat mich mehr beschäftigt als die persönlichen Anfeindungen.“
Von Franz stammen auch Sätze wie diese: „Wenn ich in Dortmund oder Hamburg aus dem Bus gestiegen bin und mir noch auf dem Parkplatz die ersten Beschimpfungen anhören durfte, dann wusste ich: Heute wird es geil. Dann nach ein paar Minuten die erste Grätsche auspacken, die Leute auf den Rängen ausflippen lassen und am besten noch drei Punkte mitnehmen. Dann gehst du wie ein Gladiator vom Platz.“
Inzwischen, darauf legt der 34-Jährige wert, sei er „wesentlich diplomatischer“ geworden.  „Als Spieler bist du fast nur für dich allein verantwortlich, da wird der eine oder andere emotionale Ausrutscher verziehen. Heute muss ich als Verantwortlicher, als Repräsentant des Vereins schon überlegen, was und vor allem wie ich etwas sage, muss einfach zurückhaltender sein. Das ist alles ein Lernprozess, dem ich mich auch gern unterziehe. Du bekommst sehr schnell mit, dass du nicht die Axt im Walde sein kannst.“

« Man sollte nehmen, man sollte geben. »
Wenn er etwas in seiner fast 15-jährigen Bundesliga-Laufbahn vermisste, dann dies: „Ich habe keine Titel gewonnen. Der einzige war wirklich der A-Jugend-DFB-Pokal mit dem FCM.“ Aber der zählte in der Welt der Bundesliga-Stars nicht wirklich. Ebenso bedauert der 19-fache U-21-Nationalspieler, nie eine Berufung ins A-Team bekommen zu haben: „Beim KSC war ich angeblich einmal nah dran, aber es sollte nicht sein.“ Und ein Wechsel ins Ausland? „Der hat sich einfach nicht ergeben, aber nach England wäre ich schon gern gegangen. Der Süden wie Italien oder Spanien war nicht so meine Sache, ich bin eher ein nordischer Typ.“  Als dann, fast zum Karriereende, doch ein Angebot aus den USA eintrudelte („Ich hatte das Ticket für einen Flug nach Columbo bereits in der Tasche“), machte eine Verletzung in letzter Sekunde einen Strich durch die Rechnung.
Von seiner Energie und seinem Kampfeswillen, die ihn einst zum „Eisernen“ werden ließ, hat Franz („Ein Teil von dem damaligen Maik steckt immer noch in mir drin.“) bis heute wenig eingebüßt. Jetzt arbeitet er mit ähnlicher Hingabe für seine Blau-Weißen. „Es ist im Leben doch so: Man sollte nehmen, und man sollte ebenso geben.“ Der FCM habe ihn vor 18 Jahren die einmalige Chance geboten, in den Leistungsfußball einzusteigen: „Ich weiß noch genau, wie der leider früh verstorbene Juniorentrainer Matthias Pape extra in den Harz nach Langenstein zu meinen Eltern gekommen ist, um mich zu bewegen, zum Klub zu wechseln. Wie man mir in Magdeburg einen Platz im Sportgymnasium besorgt hat, wie mir Trainer Eberhard Vogel als 19-Jährigen damals eine Chance gab und in jenes Team einbaute, das im DFB-Pokal mit dem Bayern-Rauswurf für Furore sorgte. Das habe ich alles nicht vergessen. Ich denke, jetzt ist es an mir, dem Klub, soweit ich es kann, einiges zurückzugeben.“
Bereits 2014 war FCM-Manager Mario Kallnik an Franz dran. Damals wollte man ihn noch als Spieler, als erfahrenen Leitwolf für die Jüngeren. Doch eine schwere Verletzung am rechten Knie (Kreuzband, Knorpelschaden) durchkreuzte die Absichten: „Ich wusste, ich war nicht fit. Und zu unterschreiben, nur um noch einmal für zwei Jahre abzukassieren, ein paar Euro abzuzocken, das war nicht mein Ding. Die Leute hätten zu Recht von mir Leistung gefordert. Die konnte ich einfach nicht mehr garantieren.“
Dafür klappte es im zweiten Anlauf. Als Kallnik den Abwehrrecken nach dessen Laufbahn-Ende ansprach, wurde man sich schnell einig. Franz hatte, nachdem er den Trainer-B-Schein erworben hatte, an einem  Düsseldorfer Institut ein Sportmanagement-Fernstudium aufgenommen. Das ließ sich prima mit einer Assistenz in der Geschäftsführung des Neu-Drittligisten kombinieren. Den FCM, sagt Franz im Gespräch mit Magdeburg Kompakt, habe er in all den Jahren in der Ferne („Der Bezug zur Region ist nie verlorengegangen“) nicht aus den Augen verloren: „Mir hat die Professionalität imponiert, mit der hier gearbeitet wird. Ich wollte gern dabei sein, wenn in Magdeburg etwas Neues, vielleicht sogar Großes aufgebaut wird. Ich will mich einbringen. Ich war bei Vereinen, die Geld hatten, und bei welchen, die keines hatten. Ich war Publikumsliebling, und ich wurde degradiert. Ich war bei Klubs, die um den Aufstieg gespielt haben, und bei welchen, die sich gegen den Abstieg gestemmt haben. Ich habe im Fußball so einiges durch.  Möglicherweise kann der Klub ein wenig von meinen Erfahrungen profitieren. Aus meiner Sicht ist es eine Win-Win-Situation.“
Nun ist er also dabei und mittendrin, den einst schlafenden Riesen FCM zu erwecken. In seine erste große Aufgabe, den Aufbau eines vereinseigenen Scouting-Systems, hat er sich – diesen Eindruck gewinnt der Außenstehende bereits nach wenigen Minuten – mit viel Engagement geschmissen. Wer sich ein wenig in der jüngeren Geschichte des Magdeburger Fußballs auskennt, weiß, dass die Talente-Sichtung und die Beobachtung des Marktes (also das Scouting), ganz sicher nicht, um es einmal wertneutral auszudrücken,  zu den Aushängeschildern des Klubs gehörte. Es ist noch gar nicht so lange hier, da war das Wort Scouting so etwas wie ein Synonym für das  Wort Cottbus. Das ist nun vorbei , und Franz kann als ehemaliger Bundesliga-Profi seine Kontakte spielen lassen. „Als erstes haben wir die Anbieter von Fußball-Datenbanken gescheckt und das für unsere Bedürfnisse beste System ausgewählt“, erzählt er. „Da hast du den gläsernen Spieler, erfährst und siehst nahezu alles von ihm. Nicht nur aus Deutschland, sondern aus 130 Ländern der Welt.“ Franz: „Ich bin zu Bundesligisten gereist, habe mich umgeschaut, deren Arbeitsweise studiert. Natürlich haben die eine ganz andere Manpower für das Scouting als wir, da sind zuweilen 15 Mann am Werk. Das können wir natürlich nicht, wir müssen realistisch sein. Also gilt es, die gewonnenen Erkenntnisse auf die Bedürfnisse eines Drittligisten herunter zu brechen. Da sind wir mittendrin, das heißt Manager, Trainerstab und ich in enger Abstimmung. Gleichzeitig haben wir auch eine Video-Datenbank angelegt.“

« Hier haben alle ein blau-weißes Herz. »
Er gerät geradezu ins Schwärmen: „Hier haben alle ein blau-weißes Herz. Das macht unheimlich Spaß, da mitzuarbeiten. Genau, was ich mir vorgestellt habe. Ich bekomme Vertrauen und gebe etwas zurück.“ Es überrascht nicht, dass der „Jungspund“ mit so viel Metier-Kenntnis längst auch in die Kaderplanung einbezogen ist. Auf längere Sicht könnte er einmal, das ist mehr als ein Gerücht am Heinz-Krügel-Platz, so etwas wie der Sportliche Leiter beim FCM werden. „Man kann sich kaum vorstellen“, erzählt Franz, „wie die Erfolge der letzten Monate durchschlagen. Es trudeln täglich vielleicht zehn Angebote von Spielerberatern ein, die ihre Schützlinge im Verein unterbringen wollen. Das muss alles gesichtet und bewertet werden.“
Und wo bewegt sich der FCM in den nächsten Jahren hin? „Magdeburg ist eine Sportstadt. Das wusste ich schon, bevor ich 2001 nach Wolfsburg ging. Die Leute hier, das spürst du jeden Tag aufs Neue, haben Bock auf Sport. Die sind begeisterungsfähig. Die Euphorie ist beeindruckend. Wir haben ein Riesenstadion, und auch die dazugehörigen Nebenanlagen. Das ist ein Fundament, auf dem sich aufbauen lässt. Insofern sind wir kein normaler Drittligist. Nur, und das habe ich in der Fremde auch gelernt, man muss Geduld haben. Wir müssen unsere Strukturen weiter entwickeln. Stück für Stück. Mit der entsprechenden Demut. Irgendwann brauchst du, neben dem nötigen Geld, vielleicht auch mal das nötige Quäntchen Glück, um einen ganz großen Coup zu landen.“
Das Fazit eines Maik Franz („Ich bin prinzipiell Optimist“) lautet deshalb so: „ Zweimal haben wir schon einmal leise an die Tür zur zweiten Liga geklopft, 2007 und 2016. Magdeburg, das ist jedenfalls meine Erkenntnis nach einigen Monaten in der Stadt, bietet alles, um einmal in dieser Klasse zu spielen.“

Kompakt:

Maik Franz  wurde am 5. August 1981 in Merseburg geboren. Er wuchs in Langenstein bei Halberstadt auf und begann dort seine Karriere als Fußballspieler beim SV Langenstein. Von dort wechselte er 1997 zum VfB Germania Halberstadt, bevor er im Sommer 1998 zur Jugend-Abteilung des 1. FC Magdeburg ging. Mit der A-Jugend des Klubs gewann er 1999 den DFB-Junioren-Vereinspokal. 2001 wechselte zum Bundesligisten VfL Wolfsburg. Später war er für den Karlsruher SC, Eintracht Frankfurt und Hertha BSC aktiv. Er galt lange als einer der härtesten Bundesliga-Verteidiger. Am 15. Januar 2015 verkündete er sein Karriereende vom Profifußball wegen fortdauernder Kniebeschwerden. Der 34-Jährige arbeitet heute im Rahmen seines dualen Studiums „Sportmanagement“ beim 1. FC Magdeburg. Im März 2015 übernahm Franz die Reportagereihe „Iron Maik – Sport am Limit“ des Privatsenders Sky.