Er kommt, wann er will. Er meldet sich selten an. Er zwickt, wenn ihm danach ist. Er ist kompromisslos und will gestillt werden – der kleine Hunger. Als Gewohnheitstier meldet sich die Nervensäge immer pünktlich zur Mittagszeit. Kein Wunder – als gelernter DDR-Bürger hieß es immer zur großen Schulpause nach 12 Uhr:
Raus mit der Bestecktasche (Messer, Gabel, Löffel aus Aluminium und ein Geschirrhandtuch) aus dem Ranzen und brav eingereiht an der Essensausgabe der Schule. Für mich als heranwachsenden Teenager, der immer mit einem riesigen Appetit ausgestattet war, ein Festmahl. Da waren die klassischen Nudeln mit einer Tomatensoße samt Jagdwurststückchen das Highlight. Schellfisch mit einer Dillsoße und Kartoffeln – lecker. Die Portion Senfeier wurde allerdings getrübt, denn die Rote Bete als Gemüsebeilage schmeckten nicht jedem. Schokopuddingsuppe mit eingebrocktem Zwieback – kennt heute kaum noch jemand. Die „Tote Oma“ – die Mutter aller deftigen Kantinengerichte oder die Gehacktesstippe mit Kartoffelbrei schafften den Sprung sogar in die heutigen Kantinen-Bestseller. Unbeliebt der Suppentag: Graupen-, Kohl-, Bohnen-, Linsen-, Rüben-, Gemüse-, Nudel- oder einfach Brühreiseintopf. Nicht immer trafen die Küchenfrauen die Geschmacksnerven der Kinder und Lehrer. Denn die mussten mit uns mitessen. Selbstverständlich im abgetrennten Aulabereich (heute VIP-Lounge), aber ohne Extrawurst. Obligatorisch dazu gab es zu jedem Essen den zu damaligen Zeiten allgegenwärtigen frischen Krautsalat, wahlweise gehobelt aus Rot- oder Weißkohl oder geraspelte Möhren. Süße Speisen wie Grießbrei und Milchreis mit Früchten und Apfelmus standen im Ranking immer ganz oben. Und wenn es im Sommer mal richtig heiß war, gab es die Obstkaltschale. Spinat mit Spiegelei, Schmorgurken mit Speck und die sich schon von weitem mit ihrem Geruch ankündigende gebratene Leber. Königsberger Klopse (heute heißen sie Kaliningrader Fleischkloß) oder auch mal einen Wurstgulasch – ich war immer satt. Denn ich hatte die Lizenz zum „Nachschlag“. War man als immer hungriger Schüler an der Essensausgabe besonders freundlich zu den Frauen mit den großen Kellen, gab es auch die benötigte zweite Portion. Gratis. Und dies alles für 55 Pfennig – pro Mahlzeit. Was jedes Essen abrundete, war das Kompott. Obst, Pudding, süße Quarkspeise. Das Kompott war ein unbedingtes Muss und Tauschware in der Aula unter den Schülern. Kompott gegen Hausaufgaben – die Kurse schwankten. Die DDR-Schulspeisung war nicht diätisch, sondern kräftig, garantiert nichts für Vegetarier und Veganer. Und es gab nur Total-Bekenner oder Total-Verweigerer. Einen Gewinner gab es jedoch immer: Die Schweine in der LPG, die sich aus der „Specki-Tonne“ – gefüllt mit den Essensres-ten aus der Schulspeisung – satt fressen konnten. Aber nicht mit mir.
Von den 55 Pfennigen musste man sich schnell verabschieden. Für das Geld konnte schon damals keiner kochen. Erst recht heute nicht. Was geblieben ist, ist der Hunger, der sich immer pünktlich zur Mittagszeit meldet. Und die Essensdüfte in den heutigen „heißen Theken“ und Kantinen, die mich immer an meine Kindheit erinnern. Der Mensch ist eben doch ein Gewohnheitstier.
Ronald Floum