Mit dem DHB-Pokal haben die Handballer des SC Magdeburg erstmals seit neun Jahren wieder einen Titel geholt. Im Interview spricht Manager Marc Schmedt über die Gründe dieses Erfolges und die derzeitige Situation bei den Grün-Roten.
MAGDEBURG KOMPAKT: Ganz ehrlich, wie groß war denn der Steinbrocken, der Ihnen am Finalsonntag kurz vor 17 Uhr vom Herzen gefallen ist?
Marc Schmedt: Der ist gar nicht am Sonntag gefallen, da war ich relativ entspannt. Gefallen ist er einen Tag zuvor nach dem Halbfinalspiel gegen den Bergischen HC, wo wir uns als vermeintlicher haushoher Favorit erst in der Verlängerung durchgesetzt haben. Das war unsere letzte Chance, in einer durchwachsenen Saison noch etwas zu holen, uns wieder für das europäische Geschäft zu qualifizieren. Da hat man jedem angemerkt, wie angespannt er war. Der Druck war immens. Auch bei mir. Umso größer dann die Freude über den Pokaltriumph.
Zumal es für Sie in Ihren fast sechs Jahren als Manager der erste Titel überhaupt war – Ihr Trainer Bennet Wiegert und der sportliche Leiter Steffen Stiebler wussten ja aus ihrer Zeit als Spieler beim SCM, wie sich so etwas anfühlt.
Richtig. Und ich verhehle nicht, dass mich das mächtig stolz macht. Stolz auf das, was wir alle miteinander geschafft haben.
Also nicht nur ein neuer Titel für den Briefkopf?
Absolut nicht. Obwohl, ich kann’s ja zugeben, der neue Briefkopf ist schon in Arbeit. Aber ernsthaft: Nach der Champions League und der Meisterschaft ist der Pokal der dritthöchste Titel, den ein deutscher Klub erreichen kann. Aber es kommt noch mehr hinzu: der überwältigende Zuspruch, den wir nach dem Hamburger Final Four empfangen haben. Darunter war sogar ein Glückwunschschreiben des FC Barcelona (des erfolgreichsten Handballklubs der Welt, d, Red.). All das führt uns noch einmal deutlich vor Augen, welche Rolle dieser Klub in der Region und im gesamten Osten spielt. Ich denke, wir haben unsere Leuchtturmfunktion eindrucksvoll bestätigt.
Sie sprechen immer wieder von der „Marke SCM“, die es gelte, weiter gestärkt zu werden. Was muss man sich darunter vorstellen?
Sportlich zum Beispiel ein Erfolg wie der vom vorangegangen Wochenende. Ein vierter Platz in der Liga ist vergänglich, ein Pokalsieg bleibt. Der stärkt die Marke ungemein. Wir sind ein Verein, der von der Begeisterung seines Publikums lebt, von Emotionen, von seiner Verankerung in der Region. Wir sind kein Kunstobjekt. Die Marke SCM lebt ferner von einem stabilen Sponsorenpool und, wie gesagt, von seinem fantastischen Zuschauern.
Am Saisonende werden Sie einen Zuschauerschnitt von mindestens 6.200 haben.
Ja, das ist schon beeindruckend. Und das trotz Rang zehn in der Liga und den überragenden Erfolgen der Fußballer des 1. FC Magdeburg. Aber die Besucher wissen, bei uns erleben sie attraktive Veranstaltungen in einem hochemotionalen Umfeld. Das honorieren sie ganz offenkundig.
Noch vor acht, neun Jahren schlitterte der SCM zweimal knapp an der Insolvenz vorbei. Inzwischen haben Sie in der vergangenen Saison das, wie es so schön heißt, Negativkapital komplett abgebaut.
So erfreulich das ist, aber der Kampf geht immer weiter. Es ist unser Ziel, den SCM-Handball wirtschaftlich noch breiter aufzustellen und eine hohe Nachhaltigkeit anzustreben.
Da kommt der Pokalgewinn wie gerufen?
Natürlich ist es einfacher, eine Welle der Begeisterung und den hohen Zuspruch zu nutzen, um potenzielle Partner anzusprechen.
Wo viel Licht ist, da ist erfahrungsgemäß auch Schatten. In der Bundesliga rangiert der SCM, der im Dezember seinen Trainer ausgetauscht hat (Bennet Wiegert kam für Geir Sveinsson), derzeit nur auf einem enttäuschenden zehnten Rang. Nach oben scheint für den Tabellenvierten der letzten Saison nicht mehr viel möglich.
Natürlich sind wir mit dem augenblicklichen Stand nicht zufrieden. Und die Defizite werden wir nach Saisonschluss, das kann ich versichern, kritisch aufarbeiten. An den Schwachstellen muss weiter gearbeitet werden. Dennoch werden wir die Saison nach dem Pokalsieg nicht so einfach abschenken, sondern sie ambitioniert zu Ende spielen und sehen, wie weit wir uns in der Tabelle noch verbessern können. Das sind wir unserem großartigen Publikum einfach schuldig. Zumal mit Kiel, Berlin und Gummersbach noch attraktive Gegner auf uns warten. Ein weiteres reizvolles Ziel lautet: Wir wollen bei unserem Erzrivalen, den Berliner Füchsen, endlich einmal gewinnen.
Wenn in der Liga etwas auffiel, dann war es die Berg- und Talfahrt des SCM, die fehlende Konstanz. Über das Warum wurde viel gerätselt. Haben Sie einmal erwogen, einen Psychologen zu Rate zu ziehen?
Ich denke, in einer Mannschaftssportart ist das extrem schwierig. Wir können ja keine Gruppentherapie abhalten. Nichtdestotrotz muss jeder individuell mental an sich arbeiten. Ob er sich dazu externe Hilfe holt, muss er selbst entscheiden. Unabhängig von allem ist aber richtig, dass heute im Hochleistungssport immer mehr der Kopf, das Mentale entscheidet. Das hat nicht zuletzt das Hamburger Turnier bewiesen.
Ab Spätsommer heißt es dann wieder: neues Spiel, neues Glück. Mit dem Aufwind des Pokalsieges, wohin soll, wohin kann der Weg des SCM dann führen?
In einem Satz gesagt: Als SCM möchten wir regelmäßig zu denjenigen Klubs gehören, die ein solches Turnier gewinnen können – das heißt aber nicht in jedem Fall: gewinnen müssen.
Dabei setzen Sie sicher große Stücke auf Ihren neuen Trainer Bennet Wiegert, der nach nicht einmal fünf Monaten im Amt schon seinen ersten Titel eingefahren hat.
Natürlich. Es freut mich besonders, dass die Diskussionen, ob er mit seinen erst 34 Jahren einer solchen Aufgabe gewachsen ist, nun endgültig erledigt sind. Wir hatten und haben Vertrauen in ihn. Deshalb haben wir seinen Vertrag auch bereits vor dem Final-Four-Turnier um zwei Jahre verlängert und mit der Unterschrift nicht abgewartet, wie das Pokalfinale verläuft. Bennet ist der Richtige für die Mannschaft – das hätte ich auch gesagt, wenn wir das Halbfinale gegen den Bergischen HC verloren hätten. Natürlich braucht es seine Zeit, bis sich seine Spielphilosophie durchsetzt. Zumal er gleichzeitig an mehreren Stellschrauben drehen musste.
Nämlich?
Ohne ins Detail zu gehen, aber am körperlichen Zustand des Teams haben wir bereits in der Winterpause viel gearbeitet . Und einige Leistungsträger kamen erst im Januar aus Ihren Verletzungen zurück. Zudem brauchten Neulinge wie Finn Lemke, Michael Damgaard und Zeljko Musa eine bestimmte Anpassungszeit um Ihren Platz im Team zu finden.
Nun muss der Trainer in der neuen Saison wieder drei Neulinge einbauen, die diesmal allesamt aus Skandinavien kommen. Legt man einmal eine Stammformation von 15 Akteuren zugrunde, hat der SCM dann einen Ausländeranteil von 73 Prozent. Zufall oder Absicht?
Dahinter steht, das will ich unterstreichen, keinesfalls Absicht. Aber wir reden von der stärksten Liga der Welt, die auch die stärksten Gehälter zahlt. Das übt einen gewaltigen Sog auf ausländische Spieler aus, viele Spitzenleute wollen in diese Liga. Und es ist ja auch nicht so, dass der Zuschauer zuallererst danach guckt, ob es sich bei einem Spieler um einen Ausländer oder einen Deutschen handelt. Bei ihm entscheiden allein Leistung und Charakter. Das zeigen doch genügend Beispiele der Vergangenheit, so waren Joel Abati oder ein Bartosz Jurecki Publikumslieblinge, heute befindet sich ein Robert Weber in dieser Rolle. Und diese Spieler haben allesamt nicht in Buckau oder Cracau das Handballspielen gelernt.
Also sind Zugänge eine reine Frage des Preises?
Es ist einfach eine Frage des Angebots und der Qualität der einzelnen Spieler. Und es ist natürlich eine Frage des Verhältnisses von Preis und Leistung. Hinzu kommen noch bestimmte charakterliche Grundeigenschaften, die erforderlich sind, wenn man in der besten Liga der Welt spielen will. Um Missverständnissen vorzubeugen: Ein Nachwuchsspieler des SCM erhält bei uns das Prä, wenn er in der Lage ist, vom Sportlichen und von der Einstellung her eine entstandene Lücke zu füllen.
Nun hört man, dass für deutsche Spitzenspieler derzeit wieder extrem hohe Preise aufgerufen werden.
Das kann ich bestätigen. Wenn der Erfolg da ist, explodieren diese Preise regelrecht. Das war nach der WM 2007 so, und das ist nach dem Gewinn der Europameisterschaft 2016 kaum anders. Noch etwas anderes kommt hinzu: Du hast heute nicht mehr die Zeit, jungen Akteuren, die vielleicht sogar aus der 3.Liga kommen, ein ganzes Jahr oder mehr Eingewöhnungszeit zu geben. Da ist es schon besser, sie gehen, falls das möglich ist, den Weg über einen Zweitligisten. Oder sie holen sich bei einem anderen Erstligisten das nötige Rüstzeug, so wie das unser Torhüter Dario Quenstedt getan hat.
Abschließende Frage: Wenn Sie den SCM auf einer Prozent-Skala von 0 bis 100 einordnen sollten, wo würden Sie ihn derzeit sehen?
Bei 75 Prozent. Mit dem Potenzial für 90 Prozent.
Fragen: Rudi Bartlitz