Außenblicke

271014PG_Wohnhaus_NachtPeter Althaus: Magdeburg – das war für mich immer die andere Stadt. Wenn man aus dem Süden Sachsen-Anhalts kommt, dann ist Halle der Fixpunkt. Magdeburg  kannte ich nur von Schulausflügen und Seminaren. Erstmals wirklich Zeit hier verbracht habe ich vor ein paar Jahren für einen Arbeitsaufenthalt und da hat es mir schon besser gefallen.

Das schöne Elbufer und der Elbauenpark, der beeindruckende frühgotische Dom und auch das Hundertwasserhaus verleihen Magdeburg Charme. Und wenn sich die halbe Stadt am Abend um den Hassel versammelt, dann trifft man Hinz und Kunz.  Auch die für damalige Verhältnisse überschaubare, aber recht fortschrittliche Kulturszene hat einen Eindruck hinterlassen.
Erst neulich las ich bei Zeit Online einen Artikel über Magdeburg und Zuschreibungen über  die Magdeburger. Die seien „unzugänglich und unhöflich“. Ich, als jemand aus dem Mansfelder Land, empfand das immer anders. Denn der „Mansfäller“ ist gewiss noch etwas schwerer „zugänglich“. Da kamen mir die Magdeburger recht freundlich vor. Und auch der Dialekt klang für mich – auch wenn ich das Mansfeldische sehr mag – stets etwas weltoffener. Als jemand der weit gereist ist, ärgert es mich zudem, dass der Osten als Reiseziel so arg unterschätzt wird. Darunter leidet auch Magdeburg. Denn welche Stadt kann sonst noch behaupten, der Sitz des  ersten deutschen Kaisers und der Geburtsort einer der bekanntesten Physiker zu sein?
Nur eines verwundert mich immer wieder: In Magdeburg wird gern gemeckert. Man ist im Allgemeinen in einer stetigen Unzufriedenheit über den Zustand der Stadt. Aber warum? Ich habe die Stadt in größeren Abständen gesehen und freue mich über die Entwicklung, die sie genommen hat. Es geht vorwärts in Sachsen-Anhalt und dafür ist Magdeburg ein gutes Aushängeschild.

Natali Siegling: Seitdem ich in Deutschland lebe, habe ich einige Städte kennengelernt. Mit meiner Familie, die deutsche Wurzeln hat, kam ich 1992 aus Kasachstan in die BRD. Zunächst wechselten wir häufiger die Städte – lebten u.a. in Augsburg und Neu-Ulm –, bis wir in Bippen, unweit von Osnabrück, ein neues Zuhause fanden. Doch in keiner dieser Städte habe ich mich so wohlgefühlt, wie in Magdeburg. Nach dem Abitur kam ich eher durch einen Zufall hierher und wollte gar nicht mehr gehen. Vor allem an ein Konzert im Herrenkrug kann ich mich noch erinnern – vielleicht war das ausschlaggebend für meinen Entschluss, hier studieren zu wollen. Dieser Facettenreichtum – im einen Moment läuft man durch die Plattenbausiedlung, im nächsten ist man von der Natur umgeben – hat mich von Anfang an begeistert.
Hier treffen so viele Welten aufeinander und dies findet man nicht in jeder Stadt dieser Größe. In der ersten Zeit bin ich oft Straßenbahn gefahren, habe die Menschen, die ein- und ausstiegen, beobachtet. Und auch wenn die Fahrt nur 15 Minuten dauerte, hatte ich das Gefühl, hier die komplette Bandbreite an Individuen anzutreffen. Von Göttingen kannte ich das nicht. Dorthin musste ich für ein Studienfach ausweichen, das in Magdeburg nicht angeboten wurde. Aber in Göttingen – das eine typische Studentenstadt ist – habe ich mich nie zu Hause gefühlt, weshalb ich auch nur die Wochentage dort verbrachte und an den Wochenenden stets nach Magdeburg kam.
In dieser Zeit habe ich auch sehr intensiv Veränderungen im Stadtbild wahrgenommen. Vor allem im Frühling, wenn ich nach fünf Tagen in Göttingen wieder hierher kam, war es überwältigend zu sehen, wie die Stadt erblüht. Aber auch heute tut mir die Abwechslung, die Magdeburg zu bieten hat, gut. Man kann sich gar nicht richtig an die Stadt gewöhnen, weil sie stets anders ist. Dennoch habe ich überlegt, mal für eine gewisse Zeit – nur für ein paar Monate – wegzugehen, nur um wieder zurückzukehren und Magdeburg neu zu entdecken.

Ayan Sengupta: Meine Zeit in Magdeburg ist leider fast abgelaufen. Noch im Juni werde ich als Postdoktorand nach Nottingham wechseln. In die Landeshauptstadt bin ich im August 2013 gekommen, um mich mit meiner Doktorarbeit am Institut für Psychologie der Otto-von-Guericke-Universität zu befassen. Damals wäre ich vermutlich froh gewesen, dass die Zeit so schnell vergeht, heute aber bin ich darüber sehr traurig.
Wenn man das Leben in einer Stadt wie Kalkutta, wo ich aufgewachsen bin, gewohnt ist, dann ist das Leben in Magdeburg eine große Umstellung. Und die Stadt hat es mir in den ersten Wochen wirklich nicht leicht gemacht. An den offiziellen Stellen, wo ich diverse notwendige Dokumente besorgen oder einreichen musste, wurde ich recht abweisend und unhöflich behandelt. Auch bei der Wohnungssuche ließ man mich spüren, dass ich hier nicht willkommen bin, was u.a. daran lag, dass ich mich nur auf Englisch verständigen konnte. Aber wenn ein deutscher Tourist nach einigen Tagen des Aufenthaltes in Indien nicht die Sprache der Einheimischen spricht, wird er doch auch nicht verurteilt…
So unangenehm die Erfahrungen in der Anfangszeit auch waren, meine Einstellung zu Magdeburg hat sich in den darauffolgenden Monaten grundlegend geändert, weil sich auch die Stadt geändert hat. Es sind kleine Dinge, wie beispielsweise englischsprachige Ansagen in der Straßenbahn, die den Wohlfühlfaktor – vor allem für Touristen aus dem Ausland – erhöhen. Man muss der Stadt eine Chance geben, sie und ihre Menschen kennenzulernen.  Denn vor allem die Bewohner machen das Leben hier lebenswert. Und ich habe in den fast drei Jahren meines Aufenthaltes die wundervollsten Menschen kennengelernt und großartige Freundschaften geschlossen. Vielleicht war es die Musik, die mir half, sprachliche Barrieren zu überwinden und so vielen interessanten und interessierten Menschen zu begegnen.
Darüber hinaus hat Magdeburg eine unglaublich gute Infrastruktur, was die Wissenschaft betrifft. Das war für mich als Doktorand natürlich von Bedeutung. Und viel wichtiger noch: Meine Tochter nach ihrer Geburt in guten Händen zu wissen. Sie kam im vergangenen Jahr hier in Magdeburg zur Welt und die Ärzte im Krankenhaus haben sich wirklich exzellent im sie und um meine Frau gekümmert. Das sind alles Eindrücke, die meine Zeit in der Stadt– trotz der Anfangsschwierigkeiten – zu einem unvergesslichen Erlebnis machen. Und für meine Magdeburger Freunde, denen ich so vieles zu verdanken habe, werde ich wieder hierher zurückkehren.