Neue Medien: Wie das Parlament über sich selbst schwatzt.
Ein Parlament, Sitz gewählter Volksvertreter, sollte eine würdevolle Sphäre sein. Selbst, wenn im Innern des Gebäudes wegen Meinungsreibung manchmal hart und und konsequent gestritten wird, gehört es wohl zur guten Tradition, dass der Platz, an dem Gesetze für das Zusammenwirken und Funktionieren eines Landes initiiert, diskutiert und ins Leben gebracht werden, eine Aura des Respekts vermittelt.
Im Plenarsaal müht sich manch Abgeordneter der demokratischen Institution beispielsweise mit der Anrede „Hohes Haus“ eine solche Würde zu verleihen. Viele Jahre wurde so ein Bild auch nach außen transportiert und gepflegt. Jetzt scheint sich diese Würde mehr und mehr aufzulösen. Nicht etwa von Geisterhand, sondern eher aus einem Agieren der Parlamentarier und ihrer Fraktionsstäbe heraus. In der schönen neuen Medienwelt will natürlich jeder gern mitspielen und seinem geneigten Umfeld verdeutlichen, was da Wichtiges im Haus demokratischer Mehrheitsformung geistig und tatsächlich durchgeknetet wird. Auf Twitter und Facebook wird veröffentlicht, was das Zeug hält. Der interessierte Landtagsbeobachter ist in der Lage, bahnbrechendes Gedankengut und schätzenswerte Interpretationen über Gesprochenes oder Gesehens aufzunehmen. Daran wächst gewiss der Wert demokratischen Verständnisses. Während des ersten dreitägigen Sitzungsmarathons Anfang Juni twitterte z. B. der Grünen-Abgeordnete Sören Herbst „Mangelnder Respekt der #AfD vor Parlament & Mehrheit zeigt: sie sieht es tatsächlich nur als belanglose ,Schwatzbude’“. AfD-Fraktionschef André Poggenburg bekannte, dass ihm nach dem ersten Sitzungstag „der Hintern“ weh tue. Kristin Heiß von der Linkspartei fragt: „Warum spielt der Landtagspräsident bei der Regierungserklärung des MP auf seinem Handy herum? Neuer Highscore?“ Warum sie darauf herumtippt, erschließt sich dem Twitter-Leser leider auch nicht? Natürlich mischen Medien mit und bieten stets die neuesten Wichtigkeiten aus dem Debattenraum. Vera Wolfskämpf vom MDR twitterte: „Auf Nachfrage sagte @PoggenburgAndre es sei das Privileg der Opposition, dass man keinen Ausblick für das Land anbieten muss.“ Die Reihe so inhaltsreicher Qualitätsäußerungen ließe sich endlos fortsetzen. Die Frage, die heute gestellt werden muss lautet: War solches Geschwätz schon immer da, nur konnte es niemand bemerken? Oder: Verändert die neue Medienwelt die Persönlichkeitsstruktur von Abgeordneten hin zu mehr Sandkasten-Plapperer. Wenn wieder mehr Würde werden würde, sollte man in parlamentarischer Späre besser auf das Erzeugen von Netz-Seifenblasen verzichten. Eine Erkenntnis ist jedoch wichtig: Abgeordnete verhalten sich eben nur wie andere Menschen auch. Allerdings sollten sie nicht versuchen, anderen etwas anderes vorzumachen.
Thomas Wischnewski