PC-Spiele: Muße oder Sucht?

onlinesuchtComputer- und Online-Aktivitäten gehören für Kinder heute zum Alltag. Eltern bewerten das Verhalten ihrer Kinder nicht immer angemessen, verkennen aber auch innerfamiliäre Defizite, die das Potenzial einer Suchtgefahr bergen können.

Von Elke Tischer

Franz ist 15 Jahre alt als er das erste Mal etwas träge meine Praxis betritt. In unserem ersten Gespräch berichtet er, dass er am liebsten Computerspiele spielt, um sich die Zeit zu vertreiben. Er sagt, er könne dabei in eine andere Welt eintauchen, in der das eigene Können entscheide, ob er es in das nächste Level schaffe oder nicht.
Dieser Reiz, der Held zu sein und sein Schicksal in der eigenen Hand zu haben, mache für ihn das Spiel so attraktiv. Das Spiel am Computer gehört bei Kindern oft zu ihren Lieblingsbeschäftigungen. Die elterliche Idee von Freizeitbeschäftigungen ihrer Kinder ist jedoch häufig eine andere. Nicht selten haben sie die Vorstellung, dass ihre Kinder stets etwas Sinnvolles machen müssen und teilen hier in förderliche und wertlose Aktivitäten. Dabei fällt das Spielen am Computer häufig in die erste Kategorie. Doch Computerspiele gehören für Jugendliche mittlerweile zum Alltag. Warum also nicht mal den Raum öffnen für andere Betrachtungsweisen und warum nicht auch mal Kindheit als Zeit der Muße und des zweckfreien Spiels sehen, so wie Kant es tat, der im Spiel eine absichtslose Beschäftigung sieht, die lediglich der eigenen Muße dienlich ist. Oder Johan Huizinga und Roger Caillois: „Spiel ist eine freiwillige Handlung oder Beschäftigung, die innerhalb gewisser festgesetzter Grenzen von Zeit und Raum nach freiwillig angenommen, aber unbedingt bindenden Regeln verrichtet wird, ihr Ziel in sich selbst hat und begleitet wird von einem Gefühl der Spannung und Freude und einem Bewusstsein des ,Anderseins’ als das ,gewöhnliche Leben’“.
Aktivitätsräume und -angebote von Kindern werden häufig von Erwachsenen vordefiniert und betreut. Öffnungszeiten, feste Termine und Kontrolle durch Erwachsene bieten oft nur wenig Freiraum für spontanes und unbeaufsichtigtes Spielen. Vielleicht sind deshalb PC-Spiele so beliebt, weil sie auch die Möglichkeit zur Projektion eigener Wünsche oder Ängste bieten und mit ihren Themen und symbolischen Inhalten einen Spiegel für das, was Kinder in ihrem Inneren beschäftigt, darstellen. Vorsichtig formuliert, ist dies eine Funktion die auch Märchen innehaben. Und tatsächlich liegen mittlerweile Forschungsergebnisse vor, die durchaus positive Effekte des Computerspielens nachweisen. So werden beispielsweise exekutive Funktionen wie Planen und Handeln, die Aufmerksamkeitskontrolle und das räumliche Vorstellungsvermögen verbessert.
Wie bei allen anderen Dingen des Lebens auch ist bei Computerspielen das rechte Maß nötig. Denn nicht das Computerspiel als solches macht krank, sondern der falsche Umgang damit. Wie bei dem 15-jährigen Franz, für den das Spiel in der virtuellen Welt zu einer Verhaltenssucht geworden ist. Er reagiert mit hoher Aggressivität wenn ihm seine Eltern das Spiel verbieten. Auch bei schönem Wetter verlässt er nicht mehr sein Zimmer, trifft keine Freunde, wodurch seine sozialen Kontakte verkümmert sind. Das Spiel ersetzt die sozialen Interaktionen. Es kommt zu einer Entfremdung aus der realen Welt. Um dem entgegenzuwirken, ist es hilfreich von Anfang an klare Regeln und Zeiten zu vereinbaren, mit verabredeten Konsequenzen bei Überschreitung. Wenn die Wirklichkeit positive Reize bietet, wenn Kinder Aufmerksamkeit und Anerkennung auch durch ihre Eltern erfahren, ist das Entstehen einer pathologischen Computerspielnutzung eher unwahrscheinlich.

Die Autorin Elke Tischer arbeitet als niedergelassene Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin mit eigener Praxis in Hettstedt.