Reif für die Kulturhauptstadt 2025?

peter_schoenfeldMeinung & Debatte | Beiträge zur Bewerbung Magdeburgs als Europäische Kulturhauptstadt 2025
Prof. Dr. Peter Schönfeld

Gewinnen würde die Attraktivität der Stadt und das Lebensgefühl seiner Bewohner. Aber passt der kulturelle Ist-Zustand mit den Erwartungen an eine Kulturhauptstadt zusammen?

Seit etwa einem Jahrzehnt wird der Status „Kulturhauptstadt Europas“ jeweils an zwei verschiedene Städte gleichzeitig vergeben. In diesem Jahr sind es San Sebastian (Spanien) und Breslau (Polen). Kulturhauptstadt für ein Jahr zu sein, bereichert die ausgewählten Städte um noch mehr kulturelle Vielfalt und bringt auch eine Menge internationale Aufmerksamkeit. 2025 möchte Magdeburg eine der beiden Kulturhauptstädte  sein.
Zu Beginn des mehrjährigen Bewerbungsprozedere sollte eine unverklärte Bestandsaufnahme des kulturellen Ist-Zustandes stehen. Magdeburg wurde in den vergangenen Jahren an vielen Stellen zum Blühen gebracht. Beispiele dafür sind die wiederaufgebaute Johanniskirche, die sanierte Gründerzeit-Architektur (Hegelstraße, Hasselbach-Platz), der auf ehemaligem militärischen Boden geschaffene Elbauen-Park und Buckau, das schon viel von seinem früheren Schmuddelimage verloren hat. Und es sind natürlich auch die alteingesessenen und neuen Magdeburger und die 14.000 in- und ausländischen Studenten, die das äußere Erscheinungsbild des heutigen Magdeburgs mitprägen. Wie viel bunter und beschwingter ist jetzt das Leben in der Stadt, und das nicht nur an lauen Sommerabenden.
Da sind noch die steinernen Zeugnisse der eins- tigen Bedeutung Magdeburgs, wie der Dom, das Kloster Unser Lieben Frauen, der Fürstenwall, das von der italienisch-niederländischen Renaissance geprägte Rathaus oder die in Stille ausgegrabene Bastion Cleve. Ich möchte gar nicht daran denken, was passiert wäre, wenn es eine öffentliche Diskussion um das Für und Wider der Freilegung der Bastion Cleve gegeben hätte. Aber Magdeburg kann auch mit neuerer Architektur, wie der des His-torismus (früherer Justizpalast, heute Landgericht; Palais am Fürstenwall), des Jugendstils (Logenhaus der Freimaurer, Parkhotel Herrenkrug), der Neuen Sachlichkeit von Bruno Taut (Hermann-Beims-Siedlung) und des Sozialistischen Klassizismus (im Zentrum, auch als „Stalingotik“ oder „Zuckerbäckerstil“ bekannt), punkten. Und da ist ja noch ein anderes Juwel, die „Grüne Zitadelle“. Aber wie lange hat es gedauert, bis dieses letzte Werk von Hundertwasser mehrheitlich von den Magdeburgern als ein außerordentlich bereichernder architektonischer Farbtupfer für die Innenstadt angenommen wurde. Vielleicht ist es kein Zufall, dass Bruno Taut mit seiner farbigen Fassadengestaltung in den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts auch viel Kritik von den Magdeburgern erntete. Übrigens, Tauts Projekt „Bunte Stadt Magdeburg“ erwies sich später, ähnlich der heutigen Strahlkraft der „Grünen Zitadelle“, als ein zugkräftiger Werbefaktor für die Stadt. Zu dieser Aufzählung würde natürlich auch die Hyparschale gut passen. Leider wurde bisher noch kein überzeugendes Konzept entwickelt, das diese originelle Architektur, deren Merkmal eine selbsttragende Struktur ist, vor dem Siechtum bewahren könnte.
Es sind auch die subtilen Skulpturen von Heinrich Apel („Trümmerfrau“, „Albertus Magnus“, „Faunenbrunnen“) und der Skulpturenpark des Kunstmuseums Kloster Unser Lieben Frauen, die viel zum Flair der inneren Stadt beitragen. Und schließlich überraschen die gepflegten, in die Stadt integrierten Parkanlagen immer wieder Touristen.
Die Theater- und Musiklandschaft hat heute Farbe und Vitalität. Hervorragende Inszenierungen wechseln sich in schneller Folge ab, wie „Spur der Steine“, „Drei Groschenoper“, „My Fair Lady“, „Le sacre du printemps“, „Die tote Stadt“, „Die Fledermaus“, „La Boheme“, „Hello Dolly“. Auch das erst nach dem 2. Weltkrieg gegründete Puppentheater, ein Figurentheater (Spieler agieren mit Puppen auf der Bühne), ist schon lange ein geschätztes Kleinod in der Theaterlandschaft (z.B. „Der kleine Prinz“, „Buckauer Hofspektakel – Bier und Puppen“, „La Notte“). Eine vor Jahren angedachte Schließung des Puppentheaters wurde durch den breiten Widerstand der Magdeburger aufgegeben. Aufführungen kleinerer Theaterensembles (z.B. die des Theaters an der Angel und in der Festung Mark sowie im Moritzhof) finden mittlerweile ein treues Publikum. Im Musikleben hat sich einiges getan. Zu den herausragenden Veranstaltungen der klassischen Musik zählen die Telemann-Festtage, die im zweijährigen Rhythmus stattfinden. Hier gibt es zahlreiche Gelegenheiten, sich die Barockmusik Telemanns auf elektrisierende Weise zu erschließen.
Doch ist diese Bestandsaufnahme ausreichend, damit wir uns der Bewerbung um die „Kulturhauptstadt“ mit Selbstbewusstsein und Aussicht auf Erfolg stellen können? Gibt es noch schlummernde Reserven mit denen Magdeburg außerdem ins Rennen gehen könnte? Und, müssen Kommunalpolitiker und Kulturverantwortliche für dieses Projekt nicht auch innerlich „brennen“? Denn sie sollten ja eigentlich mit ihrem „Feuer“ auch die etwas schwerblütigeren Magdeburger zu Engagement für dieses Ziel aktivieren. Ich muss gestehen, hier beschleicht mich ein etwas gebremster Optimismus. Worauf gründet sich dieser?
1. Mitte der neunziger Jahre hatte Magdeburg die Chance eine Plastik („Points of Views“) von dem international renommierten Künstler Tony Cragg zu erwerben. Nach endlosen, zermürbenden Diskussionen des Stadtrates um den Standort der Plastik (Universitätsplatz), wurde das Projekt schlussendlich ein Trauerspiel und beerdigt. Dieses Versagen bleibt auch deshalb unverständlich, zumal bereits seit DDR-Zeiten Magdeburg das Zentrum der Kleinplastik war (Die „Nationale Sammlung Kleinplastik der DDR“ wurde 1976 gegründet.).
2. Meiner Erinnerung nach erhielt das Kuratorium, das sich für einen möglichen Wiederaufbau der Ulrichskirche engagiert hat, keine lokalpolitische Mehrheit. Eine öffentlich ausgesprochene, ideelle Unterstützung war kaum zu spüren. Eine Finanzierung vorausgesetzt, wäre der Wiederaufbau der Ulrichskirche ein identitätsstiftendes Projekt für die Magdeburger und ihre Stadt. Und nun wieder dieses blutarme Agieren des Stadtrates bei dem aktuellen Bestreben, wenigstens ein kleines Erinnerungsstück der Ulrichskirche, ein Portal, aufzustellen. Da fragt man sich mit Recht, warum gelingt es in Potsdam die Fassade des Hohenzollern-Stadtschlosses wieder zu errichten und in Chemnitz für die Privatsammlung eines süddeutschen Galeristen und Kunstsammlers (Alfred Gunzenhauser) kurzfristig ein Sparkassengebäude in ein Kunstmuseum umzuwandeln?
3. Es hat auch den Anschein, dass sich die Kreativität der Magdeburger Museumslandschaft mit der Ausrichtung der verwandten Ausstellungen, „Otto der Große. Magdeburg und Europa“ (2001), „Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation“ (2006) und „Otto der Große und das Römische Reich“ (2012), vorerst erschöpft hat. Die beiden ersten Expositionen waren ein Besuchermagnet, sind aber nun Geschichte. Warum gelingt es Chemnitz und Halle, Städten deren Größe und wirtschaftliche Prägung mit Magdeburg vergleichbar ist, am laufenden Band Ausstellungen mit überregionalem Zulauf zu organisieren? Chemnitz war sehr erfolgreich mit „Picasso und die Frauen“ (2002), „Malerei aus Intention“ (Francoise Gilot, 2003), „Cranach-Ausstellung“ (2006), „Die Peredwischniki – Maler des russischen Realismus“ (2012), „Rosa Loy und Neo Rauch“ (2012), „Death and Disaster (Andy Warhol, 2015) und „Schmidt-Rottluf“ (2016). Dass Chemnitz (früher als „Little Manchester“ und „Rußchemnitz“ apostrophiert) trotz der Dominanz von Dresden und Leipzig bereits seit vielen Jahren eine so vielfältige und anspruchsvolle Ausstellungskultur entwickelt hat, ist auch einem personellen Glücksgriff der Stadt zu verdanken. Die Leitung der Kunstsammlungen Chemnitz liegt seit 1996 (und seit 2005 die Generaldirektion) in den Händen der Kunsthistorikerin und überregional hochgeehrten Ingrid Mössinger. Bei Halle fallen mir dazu die Ausstellungen „Pompeji“ (2012), „Krieg – Eine archäologische Spurensuche“ (2015) und „Magie des Augenblicks“ (2016) ein. Nebenbei gesagt, die in Halle gezeigte Ausstellung „Krieg …“, wirft doch auch die Frage auf: Warum hat sich Magdeburg nicht dieses Themas angenommen, denn unsere Stadt hat doch mit dem Massaker von 1631 („Magdeburgisierung“) und dem verheerenden Bombardement vom 16. Februar 1945 sehr leidvolle Erfahrungen mit dem Kriegsgeschehen?
4. Es war die Initiative eines Einzelnen, des damaligen Vorsitzenden der Wohnungsbaugenossenschaft „Stadt Magdeburg von 1954“, Rolf Opitz, Friedensreich Hundertwasser vorzuschlagen, einen Plattenbau im Hundertwasser-Stil umzugestalten. Ähnlich verhielt es sich mit dem Dommuseum. Hier hat die Wobau schließlich den Weg dafür geebnet, dass nach dem Umbau der ehemaligen Staatsbank der DDR, diese dem Dommuseum ein Dach bieten kann. Ich will aber auch nicht unerwähnt lassen, dass sich einige Unterstützer sehr für eine zungenbrecherische Namensgebung des zukünftigen Dommuseums engagiert haben.
Bei einem solchen kritischen Resümee darf natürlich nicht übersehen werden, dass die schmalen Finanzen des Landes und das komplizierte (kompetitive) Verhältnis zwischen Magdeburg und Halle den kulturellen Wünschen enge Grenzen setzt. Auch wenn gegenwärtig vielen unter uns die Schuhe für eine Bewerbung Magdeburgs um die „Kulturhauptstadt“ zu groß erscheinen mögen, den Versuch und die Mühe lohnt es allemal. Und noch eine Bemerkung. Seit 2014 überwiegen die Umzüge von West nach Ost. Die ständig steigende Attraktivität von Leipzig, Dresden und Berlin hat wesentlich Anteil an diesem Wendepunkt. Ist es deshalb nicht ein berauschender Gedanke, sich vorzustellen, dass Magdeburg zukünftig auch zu dieser positiven Bilanz beiträgt?

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Foto: Impression zur Ausstellung
im Kunstmuseum Magdeburg
XANTI SCHAWINSKY –
Vom Bauhaus in die Welt
21. Juni bis 25. September 2016
Xanti Schawinsky – Vom Bauhaus in die Welt vereint Arbeiten aus allen Schaffensperioden des Malers, Fotografen, Szenografen. Ausgehend von den avantgardistischen Ideen am Bauhaus illustriert Xanti Schawinskys (1904-1979) Werk die Begegnung mit einem Multitalent, das impulsgebend auf wesentliche Entwicklungen in der Vor- und Nachkriegsmoderne in Europa und Nordamerika wirkte. Die Ausstellung widmet sich seiner Zeit am Bauhaus und am Black-Mountain-College.