Magdeburgs Wasserball vor dem Ertrinken?

WUM_HalleDer Magdeburger Wasserball ist Schwierigkeiten gewohnt. Zu DDR-Zeiten strichen ihm die Oberen die Förderung. In den letzten Jahren stellen permanente Hallen- und andere Probleme die Traditionssportart vor teils unlösbare Aufgaben. Man denkt sogar ans Aufhören. Eine Bestandsaufnahme.

Von Rudi Bartlitz

Magdeburgs Wasserball funkt SOS. So widersprüchlich es bei den als durchweg blendenden Schwimmern bekannten Ballwerfern auch klingen mag: Das Wasser steht der Sportart, die in Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt eine so große Tradition besitzt, im Wortsinn bis zum Hals. In diesem Sommer, so die Signale aus dem Verein Wasserball-Union Magdeburg (WUM), stellt sich die Gretchenfrage. Und die lautet diesmal eben nicht: Wie geht es weiter? Sondern: Geht es überhaupt weiter? „Die Ampel steht auf Gelb-Rot“, umreißt WUM-Pressesprecher Hans-Peter Knobloch im Gespräch mit Magdeburg Kompakt den Ernst der Lage.
Um die prekäre Situation zu verdeutlichen, muss der Blick ein wenig zurückgehen. Als dem WUM-Vorgänger SC Magdeburg  2003 – nach fast 30-jähriger Abstinenz im Hochleistungsbereich – als erstem ostdeutschen Team der Aufstieg in die Bundesliga gelang, hing der Himmel noch voller Geigen. Zufall war es seinerzeit jedenfalls nicht, dass gerade den Magdeburgern als Erste aus dem Osten dieser Schritt gelang. Mit Zuschauerzahlen schon in der 2. Liga, von denen andere Mannschaften über ihnen nur träumen konnten. „Das war früher auch so“, erinnerte sich Wolfgang Zein, eine der Galionsfiguren des hiesigen Wasserballs, seinerzeit im Berliner „Tagesspiegel“. Früher, damit meint der Routinier, der gerade seinen 70. Geburtstag gefeiert hat, die Sechzigerjahre, in denen die DDR-Wasserballer zur Weltspitze zählten. Es waren glorreiche Zeiten mit zweiten Plätzen bei der Europameisterschaft und im Europacup sowie zwei sechsten Rängen bei Olympia in Tokio und in Mexiko.
Die SG Dynamo Magdeburg war 18 Mal Meister der DDR und 8 Mal Pokalsieger, damit in beiden Fällen Rekordtitelträger. Weitere Meisterschaften gewannen der SC Aufbau, die BSG Aufbau Börde  (je 3) und Börde (1). Magdeburg war in Europa neben Budapest, Moskau und Belgrad eine Hochburg dieser Sportart, die bundesdeutschen Teams damals den ostdeutschen unterlegen. Spielernamen wie Wolfgang Zein, Jürgen Kluge, Hans-Georg Fehn, Siegfried Ballerstedt und Jürgen Schüler kannten damals nicht nur eingefleischte Fans.
Dann kam, wie aus dem Nichts, der jähe Schnitt! Olympia 1972 blieb für Zein und seine Mannschaftskameraden ein Traum. Der Grund: ein zynischer Beschluss der DDR-Sportführung mit Sprengkraft. Im sogenannten Leistungssportbeschluss der Ost-Sportführung von 1969 liest es sich so: „In den Jahren 1970 bis 1971 ist – nach umfassender politisch-ideologischer Vorbereitung – eine stärkere Konzentration auf die entscheidenden olympischen Sportarten vorzunehmen. Gleichzeitig ist die Förderung für Basketball, Hockey, Moderner Fünfkampf, Wasserball sowie alpinen Skisport einzuschränken.“ De facto war es das Aus für diese Sportarten. „Auch mir wurde damit sehr viel genommen“, sagte Zein. „Wir fanden uns dann später bei der SG Handwerk wieder zusammen, aus Spaß am Wasserball.“
30 Jahre lebte diese Sportart hierzulande in einer Art Diaspora, bevor man wieder ganz oben mitspielen durfte. Bis auf ein einjähriges Intermezzo konnte der SCM die Eliteklasse bis 2009 halten – auch dank ausländischer Spieler und Trainer (die natürlich bezahlt werden wollten). Denn, so sagen Insider, Bundesliga-Wasserball ist in Deutschland ähnlich dem Fuß-, Hand- oder Basketball heute ohne Ausländer nicht denkbar.
Im Januar 2009 übernahm die neugegründete WUM dann die SCM-Lizenz und damit die Wasserball-Geschäfte in der Elbestadt. Es ließ sich zunächst auch gut an, die Klasse wurde behauptet. Doch als 2011 wegen einer Sanierung die sogenannte Dynamo-Halle in Stadtfeld als Wettkampf-,  aber vor allem als Trainingsstätte langfristig ausfiel, offenbarten sich die Probleme des Vereins wie in einem Brennglas: Die sportlichen Leistungen stimmten nicht mehr, Spieler verließen den Klub, interne Querelen in der Führungsebene und andere nicht näher definierte Unstimmigkeiten und Unregelmäßigkeiten erwiesen sich als hartnäckige Blockierer. Die Spirale drehte sich unweigerlich nach unten. Im Resultat stieg WUM 2013 aus der ersten Liga ab. Mit einer neuen Führung – alle natürlich ehrenamtlich – wurde ein neuer Anfang gesucht. „Mit dem Vergangenen haben wir rigoros gebrochen“, sagt Knobloch heute. „Da verbindet uns nichts mehr.“ Und auch für die Zukunft wurden klare Ziele gesteckt „Wir wollten die Nachwuchsarbeit beträchtlich intensivieren und mit der Männermannschaft in drei Jahren wieder in der ersten Bundesliga anklopfen.“ Allen war klar, dass in einer Traditionsstadt wie Magdeburg ein Agieren in der zweiten Liga Ost auf lange Sicht nicht zu vermitteln war, zumal zur ersten Liga „im Niveau Welten liegen“, wie der Pressesprecher erklärt.
Schon nach einem Jahr in der 2. Liga ließ sich ein spielerischer Qualitätsverlust bei den Magdeburgern nicht mehr übersehen. „Es grenzt schon an ein kleines Wunder“, so Knobloch, „dass wir in der abgelaufenen Saison noch auf Rang vier einkamen.“ Denn mittlerweile türmte sich ein zweiter Problemberg vor WUM auf. Erst gab es bei der frisch sanierten Halle lang andauernde Schwierigkeiten mit dem neuen Dach, anschließend streikte die Wasseraufbereitungsanlage der inzwischen seit Wochen geschlossenen Halle. Knobloch: „Seit April ist an ein kontinuierliches Training nicht mehr zu denken. Zwar gibt sich die Stadt Mühe, uns Alternativen anzubieten, aber die sind zeitlich und vom Platz her teils für Hochleistungstraining indiskutabel. Auch unsere Nachwuchsabteilung leidet enorm unter dieser Situation.“
Unter den Spielern macht sich inzwischen Resig-nation breit. „Wenn schon nicht einmal das Training gewährleistet ist, welchen Sinn macht das noch?“, fragen sie. Knobloch: „Wie sollen wir sie denn motivieren, wenn nicht einmal die Grundvoraussetzungen stimmen. Mehr noch: Die Spieler, 70 Prozent von ihnen sind Studenten, bekommen keinerlei finanzielle Zuwendungen, zahlen für bestimmte Dinge sogar einen Eigenanteil.“
Da es so auf lange Sicht nicht weitergehen könne, planen Verein und Unterstützer (Knobloch: „Finanziell kommen wir derzeit gerade so über die Runden, haben keinen Groß-, dafür viele kleinere Sponsoren“) in diesem Sommer den Kassensturz. Der Pressesprecher: „Da kommt alles auf den Tisch. Natürlich wollen wir gern weitermachen, aber dazu müssen die Bedingungen stimmen. Die Nachwuchsarbeit ist für uns unverzichtbar, zumal wir da zuletzt einige Fortschritte hatten. Da wollen wir langfristig etwas aufbauen. Klar ist jetzt schon, dass es ein Projekt, nur mit einer ersten Männermannschaft weiterzumachen, nicht geben wird. Ebenso klar: Ein Rumdümpeln in der zweiten Liga ist nicht unser Ziel.“ Ähnlich formuliert es Präsident Silvio Schulle:  „Wir haben uns das Ziel gesetzt, wieder in die erste Bundesliga aufzusteigen. Doch unter den aktuellen Bedingungen können wir nicht weitermachen.“
WUM steht also am Scheideweg. Übersetzt auf das eingangs zitierte Ampel-Beispiel könnte das heißen: Die Signale stehen auf Rot-Gelb. Springen sie nun endgültig auf Rot – oder ist Gelb-Grün noch möglich? Das liegt nun ganz allein in den Händen der schwimmenden Ballwerfer.

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