Dreimal Westfront und zurück
Welch ein Sturm nationaler Begeisterung durchbrauste damals Deutschland! Begeistert zogen wir in den uns aufgedrängten Krieg, stolz schritten wir einher in dem Gefühl, ein Deutscher zu sein. Alles Kleinliche, aller Parteihader, jeder Klassenunterschied verschwand, wir waren ein Volk. Der Reiche stellte sich neben den Armen, der Kopfarbeiter neben den Handarbeiter, bereit, ihr Bestes zu geben zum Wohle Deutschlands.
Und doch gab es schon einige, die sich drückten, drückten vom Dienst mit der Waffe, um ihr teures Leben zu schonen, die sich lieber in den Schreibstuben der Militärverwaltungen plagten, obwohl sie kräftig genug waren, ins Feld zu ziehen, die sich drückten vor den Beschwerden des Militärdienstes und sich reklamieren ließen. Die – wie sie sagten, um sich ihrer Familie zu erhalten – versuchten, auf alle mögliche Art und Weise, selbst durch Bestechung, in der Heimat zu bleiben.
„Pfui über die Buben hinter dem Ofen!“ Groß und unvergeßlich sind uns, die wir freudig zum Soldaten wurden, diese Zeiten. Mit bangem, und doch freudigem Herzen vernahmen wir die Erklärung des Kriegszustandes und der Mobilmachung. Meine Kriegsbeorderung als Ersatzreservist zum 15. Mobilmachungstag hatte ich in der Tasche, als ich auf der Hochzeit meines Freundes Walter Heusinger in Gardelegen die Kunde von der Kriegszustandserklärung vernahm. Laufend ertönte beim Hochzeitsmahle nach der ergreifenden Rede des Geistlichen der Sang „Deutschland, Deutschland über alles“, und diese Stimmung hielt das ganze Fest über an. Wir junges Volk mußten fast alle in den ersten Mobilmachungstagen fort, drum wollten wir noch einmal uns des Lebens freuen und ließen keine trüben Gedanken aufkommen. Todesahnungen durchzuckten wohl manchen, aber man kämpfte sie nieder. Ich selbst litt niemals an solchen. Ich wußte, daß ich den Krieg überstehen würde. Daß ich verwundet wurde, damit fand ich mich ab, aber kopfhängerisch bin ich deswegen nicht geworden. Der Tod auf dem Schlachtfeld hatte für mich keinen Schrecken, ich war ja Junggeselle, nicht verlobt, und fiel ich, so war nur ein Krieger weniger, aber ich fiel für Deutschlands Ruhm und Ehre. Deshalb wurde ich mit Begeisterung Soldat, zog mit Begeisterung ins Feld und hielt mit Begeisterung bis zuletzt immer in vorderster Linie aus. Ich hätte oft Gelegenheit gehabt, einen Druckposten beim Kriegsgericht oder dergleichen zu bekommen, wie es verschiedene meiner Freunde und Berufsgenossen taten, aber ich wollte zur Front, wollte alle Freuden und Leiden des Krieges miterleben, des großen Krieges, der uns ein größeres, freieres Deutschland schaffen sollte. Ich wollte, soviel als in meinen bescheidenen Kräften stand, mein Äußerstes tun zum Ruhme Deutschlands, wollte anderen, Wankelmütigen, ein Vorbild sein und sie mitreißen zum Siege. Das habe ich auch mehrmals, so zum Beispiel bei Tahure, Somme und Lens getan. Nicht um Ehren zu erringen tat ich es, sondern aus innerem Antrieb. Ich war nur schwächlich, schon 1911 bei meiner Meldung zum einjährig-freiwilligem Dienst war ich wegen allgemeiner körperlicher Schwäche nicht angenommen, aber der starke Wille überwand alle Schwierigkeiten und half mir alles ertragen. Der Geist siegte über den Körper. Leicht ist mir meine Ausbildungszeit, die im Eilmaß geschah, nicht geworden, aber Lust und Liebe half über alles hinweg, trotzdem ich auf die Vorzüge, die ich in meiner Stellung als Einjähriger hatte, verzichtete, nicht außerhalb der Kaserne wohnte und aß, sondern alles mit meinen Kameraden mitmachte. So schrieb ich am 29. September 1914 an meine Eltern: „Meine zwei Bekannten, von denen ich Euch schrieb, sind beide verwundet, Werner hat einen Schuß durch die Hüfte bekommen und Gerd ist das Bein zerschmettert. Einige Wochen darauf ist er im Lazarett gestorben. Wer weiß, ob es mir nicht auch so geht. Aber deswegen lassen wir den Mut nicht sinken, sondern hauen feste drein. Uns peinigt jetzt die Ungewißheit, wann wir von hier fortkommen, hoffentlich kommt es bald. Gesundheitlich bekommt mir das Soldatenleben bis jetzt gut, ich bekomme ordentlich Muskeln. Hoffentlich ertrage ich es auf die Dauer. Schwer wird das Ringen gegen Frankreich, England und Russland ja werden, aber hoffen wir das Beste. Eine jede Kugel trifft ja nicht und wer so mit Lust und Liebe wie ich die Feder mit dem Gewehr vertauscht hat, wird wohl auch von dem Lenker der Schlachten behütet werden. Ist es mir aber bestimmt, verwundet zu werden oder zu fallen, so ist es nicht zu ändern. Es geschieht ja für das liebe Vaterland. Aber hoffentlich komme ich gut wieder und dann wird es schön.“ Gleich nach der Mobilmachung gab mir mein Vater ein paar selbstgemachte Schaftstiefel mit dem Wunsche, damit die Franzosen auf den Kopf zu treten. Die schweren nagelbeschlagenen Stiefel waren mir ungewohnt, aber ich suchte, mich an sie bis zu meiner Einziehung zu gewöhnen und trug sie alle Tage. Schweren Schrittes wuchtete ich umher und tat meinen alltäglichen Dienst als Hilfskalkulator beim Amtsgericht Magdeburg, ordnete meine Sachen, nahm Abschied von den Eltern und machte mich reisefertig. Ausbildung (August bis Oktober 1914) So kam der Tag der Einziehung zum Soldaten (15.8.1914) heran. Meinen Pappkarton zum Zurückschicken der Zivilsachen in der Hand, mit Verpflegung für einen Tag versehen, wie es der Gestellungsbefehl vorschreibt, wanderte ich zum Sammelplatz, dem Turnplatz am Sterngelände in Magdeburg. Wir wurden zusammengestellt und marschierten, zum ersten Male in Reih und Glied, durch die Stadt zum Bahnhof. Nach Dessau zum Landwehrinfanterieregiment 66 ging es. In der Friedrichkaserne des Anhalt. Infanterie-Regiments Nr. 93 wurden wir ausgebildet. Die Kaserne lag etwa 15 Minuten von der Stadt entfernt, hatte nach dort aber Straßenbahnverbindung. Nach der Einteilung in Korporalschaften konnten wir es uns in der Kaserne heimisch machen. Am nächsten Tag begann der Dienst. Sachen empfangen und dann sogleich am Nachmittag feldmarschmäßig antreten. Da war guter Rat teuer, keiner wußte, wie man es machte. Unser Gefreiter und Stubenältester, ein Dachdeckergeselle, lernte uns an und eifrig gings ans Werk. In der glühenden Augustsonne standen wir dann mit Gepäck den ganzen Nachmittag auf dem Kasernenhofe, und mancher fiel dabei in Ohnmacht. Dann umfing uns in den nächsten Wochen des Dienstes Gleichmaß. Nichts als Dienst, wir waren so beschäftigt, daß wir gar nicht auf andere Gedanken kamen. Früh ¾5 Uhr Wecken, wenn man Stubendienst hatte, Kaffee holen, Kaffee trinken, dazu Semmeln aus der Kantine, von 6–7 Unterricht, dann exerzieren auf dem Kasernenhof bis 11 Uhr. Nach dem Essen bis 2 Uhr Ruhe. Man lag auf Bett, schrieb Briefe oder schlief. Etwa 16 Mann waren auf einer Stube, manchmal mehr, manchmal weniger. Jeder hatte seinen Schrank zum Verschließen, die Betten standen immer zu zweien nebeneinander und übereinander. Zum Zudecken zwei Decken, man lag ganz mollig auf dem Strohkissen. Am Nachmittag nochmals Exerzieren, Turnen, Zielen. Dann Appell und abends 6 Uhr Parole. In der ersten Zeit mußten wir schon um 7 Uhr abends im Bett liegen, da kam man gar nicht zum Ausgehen. Später kam man ab und zu in die Stadt – die Fahrt auf der Elektrischen war für uns Soldaten frei. Dort aß man Abendbrot, las die Zeitungen und Verlustlisten und trank dazu sein Gläschen Bier. Sonntags aß ich mittags in einem Gasthofe, sonst aß ich nur die sehr schmackhafte und reichliche Kost aus der allgemeinen Küche. Es gab viel Fleisch, auch so reichlich Brot, daß man es gar nicht schaffte. Sonntags gab es zum Beispiel Schweinebraten mit Kartoffeln und Preiselbeeren. Dazu noch alle 10 Tage 3,30 M Löhnung, im Felde 5,30 M. Als Vizefeldwebel erhielt ich alle 10 Tage im Felde 31 Mark Löhnung, als Leutnant monatlich 250 Mark im Felde und 220 Mark in der Garnison. An den Sonntagnachmittagen war alles ausgeflogen. Ich machte es mir dann in der leeren Kasernenstube bequem, holte mir einige Flaschen Bier, schrieb Briefe oder las. Eines Sonntags besuchte mich auch mein Vater, an einem anderen Sonntag (6. September) fuhr ich nach Magdeburg. Am 1. September 1914 wurden wir in Gegenwart des Herzogs von Anhalt vereidigt. Auf dem Kasernenhof war ein Feldaltar, mit Blattpflanzen geschmückt, aufgebaut. Rechts standen die Anhaltiner und 150 Ostpreußen, die am Abend vorher gekommen waren, gerade gegenüber einer Landwehr-Ehrenkompanie, links die Preußen. Der evangelische Prediger hielt eine Ansprache, dann wurden wir vereidigt. Der Herzog brachte dann das Kaiserhoch aus und unser Oberstleutnant das Hoch auf den Herzog. Dann hatten wir bis abends 9 Uhr Stadturlaub. Die oben erwähnten Ostpreußen waren tagelang auf der Bahn gewesen. Wir mußten ihnen unsere Löffel und Kochgeschirrdeckel borgen, damit sie essen konnten. Es waren Jüngere und Ältere, schon gediente Leute, die von den Russen aus ihren Wohnorten vertrieben waren. Ich sprach einen von ihnen, der Lehrer dicht an der russischen Grenze war und in der Kantine sein Mittagessen, saure Linsen aß. Er erzählte, dass die Russen die Dörfer überfallen und alle jungen Leute mitgeschleppt hätten. Wer nicht freiwillig ging, sei von den Kosaken verstümmelt worden, es seien ihnen Arme oder Zehen abgehackt. Auch 4 Schwestern vom Roten Kreuz seien von den Russen gefangengenommen, ihnen seien die Brüste abgeschnitten worden. Diese 150 Mann waren auch von den Russen gefangengenommen, sind aber durch deutsche Truppen wieder befreit. Unsere Ausbildung war scharf, alles ging im Eiltempo. Da mußte man oft die Zähne zusammenbeißen, um nicht schlappzumachen. Aber mit gutem Willen ging alles. Unser Ersatzbataillon Landwehr-Infanterie-Regiment 66 hatte 5 Kompanien, jede zu 500 Mann. Da herrschte Hochbetrieb. Bald ging es auch in die nähere und weitere Umgebung Dessaus, die schönen anhaltinischen Wälder wurden durchstreift, mancher Dauermarsch spannte unsere Kräfte aufs äußerste an. Einmal machten wir eine große Felddienstübung bis nach Aken, erkämpften dort den Elbübergang und setzten auf Fähren über die Elbe. Bald kamen die ersten Verwundeten zurück. Gespannt lauschten wir ihren Erzählungen von den Waffentaten und brannten darauf, selbst welche zu erleben. Meine erste Wache mit scharfgeladenem Gewehr hatte ich mit einem Gefreiten und noch zwei Mann auf den Schießständen am 28. September 1914. In stürmischer, regnerischer Nacht patrouillierten wir dort. Der Gefreite erzählte uns dann in der mollig durchwärmten Wachstube von seinen Taten im Felde, und wir dachten dann auf Posten darüber nach, wann auch wir in Feindesland sein würden.