Die Aura eines Künstlerlebens verfügt über enorme Anziehungskraft. Der Magdeburger Friedhelm Ruschak wurde davon einst in den Bann gezogen und zog als Musiker eigene Kreise. Eine Porträtzeichung über Lebenskreise zwischen Leinwand und Noten.
Von Thomas Wischnewski
Wir werden von der Vorstellung beherrscht, dass alles einen Anfang und ein Ende besitzt und dazwischen hat irgendwie alles seine Zeit. Doch dann mischen sich Wahrnehmungen über Wiederholungen ein. Kreise schließen sich und über alles legt sich plötzlich eine unergründliche Sinn-Sphäre. Als Friedhelm Ruschak als Teenager von der wilden, anderen Musik fern der Generation Erwachsener ergriffen wurde, hießen die Idole zum Beispiel „The Beatles“. Als Musiker ging es ihm später darum, den Sound des Rock’n’Roll weiter zu treiben. Vergangenes sollte Vergangenes bleiben. Zukunft liegt immer im Neuland. Man kennt Friedhelm Ruschak in Magdeburg. Er hat hier als Musiker Spuren hinterlassen und wird vorrangig als solcher gesehen. Doch in dem Mensch Ruschak steckt mehr als ein Klanggestalter und Bühnenakteur, nämlich vor allem solche Kreise, die sich erst durch manche Wiederbegegnungen zu schließen scheinen. 1948 wurde er in der Elbestadt mitten ins väterliche Sein eines Tischlers und die Mutterwelt einer Köchin geboren. Möglicherweise war die elterliche Lebenssolidität ein Ausgangspunkt, etwas ganz anderes, etwas zu tiefst Kreatives anfangen zu wollen. Und so lag sein beruflicher Anfang in der Fachschule für angewandte Kunst in Heiligendamm. In Innenarchitektur, Grafik-, Möbel-, Produktdesign und Schmuckgestaltung wurde man hier unterwiesen. Man lehrte den Studenten die Kunst des richtigen Zeichen- und Pinselstrichs. Die Hinwendung in das künstlerische Fach war für ihn eine zwiespältige Entscheidung. Am liebsten hätte er nämlich zugleich Musik studiert. Beides, Maler und Musiker zu werden, ging nicht. Die Magie von Musik musste jedoch wie ein festsitzender Stachel gewirkt haben. Kleinere Bandprojekte waren nach Heiligendamm stets existent. Es war etwas in Friedhelm Ruschak nicht zu Ende. Und der neue Anfang kam mit den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts. An der Telemann Musikschule drückte er wieder eine Schulbank. Kontrabass und Bassgitarre – Musiktheorie und Praxis eröffneten einen neuen Wirkungskreis. Als Friedhelm Ruschak 1982 seine erste Profiband „Juckreiz“ gründete, zog das nicht nur weite Kreise für sein Leben, es mag sich angefühlt haben, als würde sich einer davon wie zu einem Bogen einer Bestimmung schließen. Frank Schöbel vermittelte „Juckreiz“ mit Marion Sprawe (Gesang, Triola, Perkussion), Jürgen Rohmeis (Gesang, Keyboard), Friedhelm Ruschak (Bass, Gesang) und Jürgen „Ali“ Albrecht (Gitarre) zu Musikproduktionen nach Berlin. „Sticker aus Tallin“ und „FKK“ waren 1983 die ersten Hits der Magdeburger. Der gekannte Rock’n’Roll war indes etwas von gestern. Die Wurzeln des Rocks, die Bluesmusik, wollte Friedhelm Ruschak hinter sich wissen. Punk und New Wave – das waren die aufkommenden Stile. Die „Neue Deutsche Welle“ war der Ausgangspunkt des weiteren musikalischen Schaffens. Ein Stück Lebensgefühl sollte sich in den eigenen Texten und den Kompositionen widerspiegeln, und natürlich auch die künstlerische Eigenheit in der DDR-Ära, Botschaften in mehrdeutigen Sätzen zu verstecken. Auf dem Höhepunkt ihrer damaligen Karriere spielte die Band 350 Gigs in nur einem Jahr. „Juckreiz“ tourte durch die sozialistische Staatengemeinschaft und reiste in die russische Seele. Marion Sprawe ging bald eigene Wege. Der Spruch „Sex, Drugs und Rock’n’Roll“, der mit einem Rocker-Leben verbunden wird, klebte auch an Friedhelm Ruschak. Nächte waren länger als Tage. Wer jung ist, redet über Revolution und will die Welt aus ihren Angeln heben. Das gehörte ins enge DDR-Milieu, in das sich viele eingesperrt fühlten. Das „Café Lilliput“ am Breiten Weg war ein Magdeburger Treffpunkt fürs Reden, Planen und Rebellieren, zumindest unter Zigarettenqualm und Alkoholdunst. 1989 wurde die Revolution Wirklichkeit und die DDR ein Kapitel der Geschichtsbücher. Auch Revolutionen ziehen ihre Kreise. Bis vor Kurzem gab es im einstigen Künstlercafé ein Porzellan Fachgeschäft, jetzt hängen hier die Insignien einer Bank. Enge Kreise fördern weite Wünsche. Vielleicht existierten in Friedhelm Ruschak solche Pole, zwischen denen er balancieren musste und die gar manchen harmonisch geschlossenen Kreis wieder aufrissen und zu einer inneren Unruhe führten, zu einer Art Getriebensein, einer Ahnung von Unvollständigkeit. Das Bekenntnis darüber, stets einen Drang gefühlt zu haben, von Magdeburg weg zu wollen, mag als Indiz für die unstete Kraft im Innern herhalten. Zeitweise unterhielt er Wohnungen in Magdeburg, Rostock und Berlin. Vielleicht klammer er sich an einen Hauch von Magdeburger Magie, an die Macht eigener Verwurzelung und gewachsene Bande zu Freunden und Teilzeitgeborgenheit. Die politische Wende in der DDR zog eine existenzielle für den Menschen Ruschak nach sich. Das DDR-System der Künstlervermittlung war mit dem Staat untergegangen. Friedhelm Ruschak war zu dieser Zeit Anfang 40, also genau im rechten Lebensabschnitt, in dem man aufbauend auf Erfahrung, erlernten Fähigkeiten und einem gesunden Wissensfundament noch einmal etwas Neues anfangen konnte. Der Bassist blieb dem kreativen, künstlerischen Metier treu und gründete eine Werbeagentur. Letztlich war es nur eine Wiederbegegnung mit dem einst erlernten Handwerk. Alles was fortan in sein Leben kam, war nicht unbedingt neuer, aber stets anders und doch von einer Kraft, die einen Menschen in Bewegung hält. Bewegung – das ist offenbar die Dauerbegegnung, die der Künstler unentwegt machen musste. Nach außen hielt ihn das extrem jung. Die Reife von heute 67 Lebensjahren stehen ihm nicht auf die Stirn geschrieben. Allerdings sorgte Friedhelm Ruschak auch selbst für eine Art jugendhaften Schalk, der ihm im Nacken zu sitzen scheint. Nähe zu jungen Menschen war ihm wie eine Bestimmung. Die Energie, die jungen Leuten innewohnt, besitzt etwas Ansteckendes. Ruschak ließ sich lange davon tragen und hielt Partys gern die Treue. Treuer noch begleitete ihn die Musik. Mit WARUSCHKA war längst ein neues Bandprojekt entstanden. Daraus keimte später das Musical „Die Fabrik“. Story und Komposition entwickelte Friedhelm Ruschak, den Text schrieb Dirk Heidecke. Mit dem Ensemble des Magdeburger Opernhauses konnte das Werk produziert und aufgeführt werden. Drei Spielzeiten lang, insgesamt 32 Mal, stand „Die Fabrik“ auf dem Spielplan. Für ein Theater wie das Magdeburger ist das eine Ungewöhnlichkeit. Der Erfolg des ersten Musicals zog die Idee für ein zweites nach sich. „Crystal Palace“ nannte er das nächste Werk. Die Musik floss aus eigenen Ideen, der Text entstand in Zusammenarbeit mit MDR-Journalistin Heike Bade. 2005, zum 1.200-jährigen Magdeburger Stadtgeburtstag, schrieb der Allround-Künstler das dritte Musical: „Der König kommt um 12“. Zwölf historische Persönlichkeiten, Kaiser Otto I., seine Frauen Editha und Adelheid, die Magdeburger Elbjungfrau, Dr. Eisenbarth, Till Eulenspiegel, General Friedrich Wilhelm von Steuben, Otto von Guericke, Hauptmann Igor Bjelikow, Ernst Reuter und Willi Polte drehen sich szenisch im Zeitreigen von zwölf Jahrhunderten. Obwohl Musicals den Zeitgeist bestimmten und weltweit Millionen Menschen in die Aufführungsorte zogen, blieb Friedhelm Ruschak ein Weitertragen seiner Stücke auf andere große Bühnen verwehrt. Thematisch hing am Stoff zu eng an Magdeburg. Über die Stadtgrenzen hinaus weckte das wenig Interesse. Die Begrenzung mag ihn enttäuscht haben. Ein Künstler lebt jedoch nicht nur von Ruhm und Erfolg, Enttäuschung und Scheitern wiegen genauso schwer. Von außen betrachtet, könnte man glauben, dass dieser Friedhelm Ruschak immer ein Leben führte, wie es sich andere gern erträumt hätten. Phasenweise stimmt das Bild wohl, aber der Blick wäre zu oberflächlich. Ein Kreis schließt sich erst, wenn man ganz viele Facetten eines Lebensweges kennt. Drei Söhne und eine Tochter gehören in das Leben von Friedhelm Ruschak. Der älteste Sohn, Gunar Ruschak, spielte als DJ in Clubs und arbeitete beim Musiksender MTV. Sebastian ist Architekt, Christina Lehrerin und Tom, der jüngste Sprössling, lebt in Frankreich und studiert ökologische Landwirtschaft. Man kann es nicht wissen, doch es scheint, als steckte in jedem der Kinder eine Wesensbegegnung mit dem Vater. Ob Friedhelm Ruschak sich in seinen Nachkommen wiederbegegnet, kann er nur selbst erkennen. Was nicht zu Ende ist, zieht weiter Kreise. Vor drei Jahren – für andere ist es das gesetzliche Ruhestandsalter – begegnete Friedhelm Ruschak seiner Anfangskunst wieder. Obwohl er als Grafiker immer zeichnete, war ihm der Malerpinsel abhanden gekommen. Eigene Bilder zu betrachten, alte oder solche, für die noch gar keine Leinwand geschnitten wurde, ist immer eine Begegnung mit sich selbst. Ruhe ist kein Begriff, der ins Leben des Tausendsassas Ruschak passt, selbst nicht, wenn die Endlichkeit des Seins fassbarer wird. Alles nach dem Leben ist Unfassbarkeit, möchte man meinen, doch das Unfassbare kann in jeden Tag platzen. Wenn sich die Wege von Menschen kreuzen oder Kreise schließen, geschieht dies häufig unter einem Zauber nicht erklärbarer Schwingungen und Bewegungen. Als Friedhelm Ruschak auf den Halberstädter Tom Posur trifft, der auf urtümlich eigene Weise den Finger-Style traditioneller Bluesmusik spielt, war das eine schwingende Wiederbegegnung mit den Wurzeln des Rock’n’Roll und dem Kontrabass. Das einst gelernte klassische Instrument hatte er viele Jahre nicht angefasst. Das Trio aus Jürgen Fox, Tom Posur und Ruschak suchte in Aufbruchstimmung schwelgend bald einen Schlagzeuger. Lutz Winkler, der zwei Jahre vor „Juckreiz“ die Band „Reggae Play“ gegründet hatte, kommt aus derselben Generation und wird vielleicht von einem ähnlichen „Lonely Planet“ angetrieben wie Friedhelm Ruschak. Obwohl sich beide stets als Kollegen achteten, hatten sie nie einen Nenner für eine Zusammenarbeit gefunden. Heute gibt es den sogar gegenseitig. Während Lutz Winkler beim Blues-Projekt die Schlagzeugsticks schwingt, hat er Ruschak im Gegenzug als Bassisten für ein anderes Musikprojekt verpflichtet, für die achtköpfige Band „Skanatiker“. Hier steht der 67-Jährige auch neben drei blutjungen Kollegen auf der Bühne und musste zunächst Noten-Tempi üben, deren schnelles Spiel eine Ewigkeit zurück lag. Es sind viele Kreise, die sich im Leben von Friedhelm Ruschak geschlossen haben. Möglich war dies sicher nur, weil er selbst wieder neue öffnete und gleichfalls offen für Begegnungen geblieben ist, für menschliche, musische, malerische oder inspirierende. Unter fortwährend entstehenden Kreisen mag Friedhelm Ruschak jünger im Geist sein als andere. Manche sehen in ihm vielleicht einen Rastlosen oder gar Zerrissenen. Aber er ist doch ein Ganzes, nämlich das Persönlichkeits-Kunstwerk seines Weges, das nicht linear zwischen Anfang und Ende begreifbar wird, sondern ausschließlich über seine unzähligen Kreise, die sich um alles gelegt haben.

Friedhelm Ruschak – Magdeburger Komponist und Bassist, Maler, Grafiker und Texter begegnet seiner künstlerischen Schöpferkraft immer wieder aufs Neue. Foto: Michael Kranz