Die Mühen des Rechts

justitiaWir alle leben in einem Rechtsraum – das Konstrukt der Regeln und Normen für das Zusammenleben. Ein Einblick, welche Berge des Rechts bestiegen werden müssen.

Der große deutsche Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel legte in seiner Schrift „Grundlinien der Philosophie des Rechts“ wesentliche Fundamente unseres heutigen Rechtsstaats. Hegels Lehre von der gegenseitigen Anerkennung als autonomes Subjekt gehören zu den fundamentalen Gedanken über den Rechtsstaat. Doch was heißt das und wie wird unser komplexes System und der oft als undurchschaubar empfundener Dschungel an Gesetzen zur Garantie angemesser Rechtswirksamkeit?

Hält man sich ein paar Zahlen vor Augen, wird deutlich, in welcher breiten und intensiven Weise im Land Recht gesprochen wird. Im Jahr 2014 behandelten die Amtsgerichte von Sachsen-Anhalt 210.454 Mahnverfahren, 23.840 Zivilprozesse wurden erledigt. In Familiensachen mussten 20.309 Fälle behandelt werden, darunter 4.581 Scheidungen, 9.076 Versorgungsausgleiche und 2.335 Unterhaltsentscheidungen für Kinder. In den Spruchkammern für Strafsachen ergingen 17.362 Urteile und Beschlüsse, 8.670 Einsprüche gegen Bußgeldbescheide mussten bearbeitet, 80.730 Vollstreckungsachen erledigt oder insgesamt 3.948 Insolvenzverfahren eröffnet werden. Hinzu kommen noch die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Dazu zählten 2014 insgesamt 55.918 Grundbuchsachen, für das Eintragen von Veränderungen oder Löschungen von Grundbuchrechten wurden 81.553 Fälle gezählt.

Die Verwaltungsgerichte erledigten 2014 über 3.319 Verfahren. Die Arbeitsgerichte behandelten 10.149 Klagen. An den Sozialgerichten zählte man im selben Jahr 20.234 erledigte Klagen. Außerdem gehören die erfassten Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaften ebenfalls zur Justizstatistik des Landes. Hier wurden bis Ende 2014 insgesamt 134.948 Ermittlungsverfahren erledigt. Die Zahlenkolonnen ließen sich mit Landes- und Oberlandesgerichten fortsetzen.

Wissen muss man auch, dass jedes Jahr beispielsweise am Amtsgericht Magdeburg über 20.000 Fälle neu dazukommen und dass es eine ähnlich große Zahl an laufenden Verfahren gibt. Mit erledigten, laufenden und neu anfallenden Rechtsfällen beträgt der zu bewältigende Aktenberg rund 60.000 Verfahren. Welche Arbeit, welcher Aufwand und wie viel Zeit hinter den nackten Zahlen stecken, wird daran kaum deutlich. Fast 800 Mitarbeiter arbeien an den Magdeburger Gerichten und der Staatsanwaltschaft, darunter sind 153 Richterinnen und Richter sowie 62 Staatsanwälte, die sich um die laufenden Ermittlungen kümmern. Rund 350 bei den Magdeburger Gerichten zugelassene Rechtsanwälte streiten und einigen sich für ihre Mandanten.

Wer einen Rechtsstreit nicht umgehen kann oder will, muss sich je nach Schwere und Komplexität seiner Sache oft auf eine lange Zeit bis zu einer richterlichen Entscheidung einstellen. Die übergroße Mehrheit der Verfahren und Prozesse läuft vor der Öffentlichkeit lautlos ab. Anders geht es bei spektakulären Strafverfahren ab. Da über Prozesse zu Gewalt- oder anderen schweren Delikten häufig in Medien berichtet wird, entsteht dadurch öffentliche Aufmerksamkeit. In der Berichterstattung findet man nicht selten aufgrund verwendeter Worte eine tendenziöse Vorverurteilung von Angeklagten bzw. werden die Vielschichtigkeit der Beweisaufnahme und die gesamten Umstände eines Prozesses kaum sichtbar. Der Volksmund wettert in der Folge schnell über zu milde Urteile und eine zahme Justiz. Es gilt jedoch stets zu bedenken, dass alles Recht vorrangig ein Schutz gegen falsche Anschuldigungen ist, egal ob im Straf- oder Zivilverfahren. Wer an diesem Grundsatz rütteln wollte, müsste damit rechnen, dass Urteile vielfach unangemessener ausfallen und möglicherweise öfter Unschuldige von Strafverfolgung betroffen sein könnten.

Manchen mag das Recht starr und unbeweglich erscheinen. Dies jedoch eine wichtige Garantie für Rechtsstabilität und -sicherheit. Wer zu schnell und zu oft Gesetzenänderungen anstrengt, schafft Verunsicherung, und zwar nicht nur bei Juristen, sondern auch bei Bürgern, die Orientierungen über Regeln verlieren. Recht ist immer wie der Regen am Abend. Der Tag bzw. das Geschehen muss schon vorbei sein, bevor es beurteilt werden kann und Regeln dazu aufgestellt werden können. Deshalb bedarf jedes Gesetz dauerhaft einer Prüfung für seine Funktionalität und Angemessenheit gegenüber dem realen Geschehen. Recht in die Zukunft konstruieren zu wollen, kann nur fehlschlagen.

Insofern beginnt sich eigentlich erst jetzt eine strukturierte und differenzierte Rechtssprechung über den digitalen Wandel unseres Lebens zu entwickeln. Bedenkt man, dass dadurch völlig neue rechtliche Bewertungen angestellt werden müssen und zugleich in welcher Dimension im Internet Informationen, Datendiebstahl und -missbrauch, Streitigkeiten, Persönlichkeitsrechtsverletzungen u.v.a.m. entstehen und in welcher Geschwindigkeit dies passiert, erhält man eine vage Vorstellung davon, welcher Regelbedarf erstens auf die Gesetzgeber und zweitens auf die Organe der Justiz zukommen werden. Die Mühen, Recht zu garantieren und immer wieder auszubalancieren, werden eher zu- als abnehmen. Zurück zu Hegel, es kommt bei dem Meer an Regelbarkeit eben vorrangig darauf an, wie sich Bürger mit- und zueinander verhalten. Die mehrheitliche Aktzeptanz und das Abwegen eigener Interessen sind genauso rechtsstaatliche Garantie. Verliert dieser Mechanismus, kann auch die Jus-tiz weniger Recht garantieren. (tw)