Das Mikrobiom: Ein unbekanntes Organ

Das Mikrobiom: unendliche Weiten und unbekannte Lebensformen, die noch nie ein Mensch zuvor gesehen hat? Das klingt nach einer sehr bekannten Science-Fiction-Serie. Science stimmt, Fiction jedoch nicht. Denn das noch ziemlich Unbekannte steckt in uns allen. Ein relativ neues Forschungsgebiet drängt sich nach und nach in den Vordergrund. Basis sind neue Techniken zur Identifizierung von Genen und Gensequenzen. Neue Ergebnisse aus Studien und Untersuchungen drängen unaufhaltsam in die Fachpresse. Da das zu Erforschende – ca. 100 Billionen Einzeller aus über 1200 Arten – unendlich erscheint, ist jedes Ergebnis nur ein Teil eines riesigen Puzzles, das leider noch nicht gänzlich verstanden ist. Und doch gibt es spannende und neue Erkenntnisse, die sich hoffentlich bald in neuen Therapien und Leitlinien durchsetzen werden.

Das Mikrobiom ist die Gesamtheit aller in uns und auf uns lebenden Mikroorganismen. Unterteilt wird in die verschiedenen Körperregionen, insbesondere: Darm, Haut, Mundschleimhaut und Vaginalschleimhaut. Der allergrößte Teil jedoch ist im Darm zu finden. Die Gesamtheit der Mikroorganismen macht bei einem Erwachsenen ca. 1,5 kg Gewicht aus. Die Funktionen, die die Mikroorganismen für unseren Körper übernehmen, sind so vielfältig und wichtig, dass man hier durchaus von einem Organ sprechen kann. Das Mikrobiom wird durch etliche Faktoren beeinflusst und ist für jeden Menschen individuell. Schon lange ist bekannt, dass das Mikrobiom uns Nahrungsbestandteile erschließt, die wir ohne mikrobielle Hilfe nicht zugeführt bekommen würden. Dafür verfügen die Mikroorganismen über eine Vielzahl von Enzymen. Der Speisebrei wird also nicht nur mechanisch durch unsere Zähne und chemisch von Speichel, Magensäure und Galle bearbeitet. Das Mikrobiom hat entscheidenden Anteil daran, was wir tatsächlich aus dem Speisebrei aufnehmen und was nicht.

Dazu kommt eine erstaunliche Syntheseleistung: so werden Folsäure und verschiedene Vitamine vor allem aus der B-Reihe hergestellt und dem Gesamtorganismus zur Verfügung gestellt. Noch wichtiger ist aber die Kommunikation mit unserem Immunsys-tem. So hält unsere Darmflora unser Immunsystem im Training. Unsere Körperabwehr lernt im Darm die Bakterien kennen, die andernorts schnell vernichtet werden müssen. Deshalb zieht sich unser Immunsystem größtenteils auch am Darmrohr entlang. Durch die Besiedlung des Darmes mit für uns mehrheitlich nützlichen Mikroorganismen wird auch die Ansiedlung von gefährlichen Bakterien verhindert. Unser Mikrobiom arbeitet dazu mit antimikrobiellen Mitteln, um sich vor anderen Bakterien zu schützen.

Jeder kann sein Mikrobiom beeinflussen. Prä- und probiotische Mittel wirken positiv auf die ein oder andere Fraktion des Mikrobioms. Präbiotika sind dabei Mittel, die die vorhandene Darmflora ernähren und somit maßgeblich unterstützen. Im weitesten Sinne spricht man hier von den sogenannten Ballaststoffen, also Stoffe, die wir Menschen so nicht aufschließen können; die Bakterien aber schon. Probiotika sind hingegen Mittel, die lebende Kulturen beinhalten und damit die Zusammensetzung des Mikrobioms direkt verändern. Auf der anderen Seite stehen die Antibiotika. Insbesondere Breitbandantibiotika reißen große Löcher in den geschlossenen Überzug aus Mikroorganismen in unserem Darm. Sind Durchfälle nach oder während einer Antibiose an der Tagesordnung empfiehlt sich auf jeden Fall die gezielte Wiederauffüllung mit Probiotika.

Das Mikrobiom ist an vielen Krankheiten direkt oder indirekt beteiligt. Nachgewiesen ist die entscheidende Rolle bei Ernährung und Fettleibigkeit. Auch häufig gestellte Diagnosen, wie z.B. Reizdarm sind auf eine Schieflage in der Zusammensetzung des Mikrobioms zurückzuführen (siehe hierzu auch Artikel in der Apotheken Umschau August 2016 B) und können langfristig mit Probiotikagaben therapiert werden. Auch sind Zusammenhänge zwischen den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen und einer gestörten Zusammensetzung des Mikrobioms bekannt. Hochinteressant sind die Zusammenhänge mit Krankheiten, bei denen man eine Verbindung nicht direkt vermutet. Hier sind vor allem psychische Leiden, wie z.B. Parkinson, Demenz oder Schizophrenie zu nennen.

Die Forschung auf dem Gebiet geht rasant voran. Mit jeder Studie und Wissensgewinn auf diesem Gebiet nähern wir uns auch neuen Therapieansätzen. Ohne Mikroorganismen ist der Mensch gar nicht lebensfähig. Wir brauchen unser Mikrobiom zum Überleben und verdanken ihm unser jetziges komfortables Leben. Die Erkenntnisse aus den Forschungen ebnen den Weg für neue Produkte: z.B. in der Akne-Therapie. Mit einer „lebenden“ Creme verfolgen Magdeburger Forscher den Ansatz, die krankmachenden Mikroben auf der Haut der Patienten gegen nicht-krankmachende Bakterien zu ersetzen. Das Produkt durchläuft aktuell die Zulassungsprüfung und kommt voraussichtlich im nächsten Jahr auf den Markt.

Die Therapie des Übergewichtes wird des öfteren neu erfunden. Auch der Versuch der Gewichtsreduktion durch Probiotika ist nicht gänzlich neu, nachdem eine Studie mit Versuchsmäusen veröffentlicht wurde, aus der hervorging, dass das Mikrobiom ein entscheidender Faktor bei der Gewichtsabnahme darstellt. Neu ist aber, daß es jetzt eine eindeutige Empfehlung gibt, das Mikrobiom mit Probiotika zu verändern, wenn eine Dysbalance des Mikrobioms für das Übergewicht verantwortlich zu sein scheint. Doch auch hier ist sicher: ein langfristiger Erfolg einer Reduktiondiät wird nur mit den Mikroorganismen ernährenden Präbiotika möglich sein. Ihr Apotheker Winfried Rüter