Martin Luther verbringt einen Teil seiner Schulzeit in Magdeburg und trifft dort auf die „Brüder vom Gemeinsamen Leben“. Wer ist diese Bruderschaft?
Regeln, Verzicht und ein scheinbar festgelegter Weg jedes einzelnen. Das Mittelalter und ihre Bruderschaften weisen aus der heutigen Sicht einige Grenzen auf – wirken düster und starr. Doch wie gestaltete sich dieses Leben, von dessen Vorbestimmtheit Luther überzeugt war? Die Brüder vom Gemeinsamen Leben sind eine religiöse Gruppe, die ein Leben ähnlich dem von Mönchen führen. Allerdings müssen sie kein Gelübde ablegen. Es genügt, wenn die Mitglieder bei ihrem Eintritt in die Bruderschaft das Versprechen geben, in Keuschheit, Einmut und Gesellschaft zu leben. Ihren Ursprung hat die Bruderschaft Ende des 14. Jahrhunderts in den Niederlanden. Von dort aus beginnt die Verbreitung erst in Westdeutschland und dort aus auch in weitere Regionen. Nicht überall haben sie den Namen Brüder vom Gemeinsamen Leben. Je nach Region werden sie häufig auch als Kugelherren bezeichnet, angelehnt an ihr Gewand mit Kapuze.
Zunächst verdienen die Brüder einen Großteil ihres Lebensunterhaltes mit dem Abschreiben von Büchern. Anfangs noch per Hand, schwenken sie später auf den Druck um. Nachdem 1458 die erste Druckerei in Straßburg eröffnet, ist zehn Jahre später auch eine Klosterdruckerei existent. Durch diese Errungenschaft können die Brüder mit geistlichen und weltlichen Schriften großen Einfluss nehmen. Im Laufe der Zeit unterstehen die Brüder den örtlichen Pfarrverbänden und werden nachträglich vom Papst oder Bischöfen approbiert. Dadurch bekommen sie verschiedene Privilegien, wie die Erlaubnis zur Gründung von Schulen oder die Aufgabe der öffentlichen Seelsorge.
In Magdeburg, wo die Brüder seit 1482 eine Ansiedlung haben, bekommen sie den Beinamen Nullbrüder. Während 1488 in Braunschweig eine neue Münzordnung verabschiedet wird, in der Hoffnung einer Währungskrise entgegenzusteuern, gründen die Brüder vom Gemeinsamen Leben eine Schule, die Domschule zu Magdeburg.
Im Jahr 1496 stirbt Magdalena von Brandenburg, Prinzessin und Gräfin von Hohenzollern. Im selben Jahr kommt Martin Luther das erste Mal mit den Brüdern in Berührung. Der Dreizehnjährige wechselt auf die Domschule, heutige Möllenvogtei in der Nähe der Elbe, die einen guten Ruf aufgrund ihrer humanistischen Elemente im Unterricht hat. In dem einen Schuljahr, das Luther dort verbringt, widmet er sich der Vervollkommnung seines Lateins und dem Studium antiker Schriften.
Durch die Brüder vom Gemeinsamen Leben kommt Martin Luther in dieser Zeit auch mit der Devotio moderna (lat. „neue Frömmigkeit“) in Berührung. Die Devotio moderna ist eine religiöse Erneuerungsbewegung innerhalb der spätmittelalterlichen Kirche. Sie wird teilweise als Vorläufer und Förderer aller bedeutenden Reformen des 15. Und 16. Jahrhunderts, des nordwesteuropäischen Humanismus, der Reformation nach Luther und nach Calvin sowie der Gegenreformation gesehen. Die Liste derjenigen, die in ihrer Jugend mit der Devotio moderna in Berührung kamen, ist lang. Neben Martin Luther findet man auf so einer Liste auch Jean Calvin, Erasmus von Rotterdam und Nikolaus Kopernikus, um nur einige zu nennen.
Luther hat in ganz Deutschland im frühen Stadium seiner Reformation viele Anhänger unter den Brüdern. Nach Bruch mit dem Papsttum und der weiteren Ausbreitung der Reformation wenden sich jedoch viele von Luthers neuer Lehre ab.
Während der Deutsche Bauernkrieg vorrangig im Südwesten Deutschland wütet, kehrt Luther 1524 nach Magdeburg zurück und hält Predigten gegen das Klosterleben, weshalb das Bruderhaus große Einbußen in seinem Personal verzeichnen muss.
1528 werden nach einem Aufruf Luthers neben dem Ratsgymnasium in Goslar weitere Schulen nach den Prinzipien Luthers gegründet. Die Brüder vom Gemeinsamen Leben stehen in Magdeburg kurz vor ihrem Aus und können nur noch 20 Mitglieder verzeichnen. Dennoch behält Luther ein positives Bild von den Brüdern.
1532 stirbt Johann der Beständige und sein Sohn Johann Friedrich I. wird Kurfürst von Sachsen. Luther schreibt im gleichen Jahr über die Brüder: „Solche Bruderhäuser sind mit aus der Masse gefallen. Eure Lebensweise, die ihr nach dem Evangelium Christi lehret und lebt, ist gut und möchten doch einige solche Klosteranstalten vorhanden sein. Ich wage nicht viel zu hoffen, denn wenn alle so wären, so würde die Kirche allzuseelig in diesem Leben sein.“
1533, im Geburtsjahr Luthers Sohn, entrichten die Brüder in Magdeburg ihre letzten Abgaben an den Erzbischof. Im Folgejahr nehmen sie das Bürgerrecht an und treten unter den Schutz der Stadt. Von da an übernimmt der Stadtrat die Herrschaft über die Brüder. Kurze Zeit später geht der Fraterhof in den Besitz des Erzbischofs über. Inzwischen lebt nur noch ein einziger Bruder in der Kongregation.
Nichts währt ewig und auch die Brüder sehen irgendwann ihrem Untergang entgegen. Im Laufe der Reformation beginnt die Auflösung der Brüder-Gemeinschaften, bis sie im 17. Jahrhundert schließlich ganz verschwinden.
Für einige Jahrhunderte herrscht Stillschweigen um die Bruderschaften. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts entsteht eine neue Bruderschaft vom Gemeinsamen Leben in der Schweiz. 1975 kommt es nicht nur zu einem Kulturabkommen zwischen der Bundesrepublik und Kanada, in Baden-Württemberg gibt es nun auch wieder einige Klöster, die zu der Gemeinschaft der Brüder gehören. Nadine Janezky und Sophie Altkrüger