Offener Brief des Vereins „Stadtbild Deutschland e.V. Ortsverband Magdeburg“ zur Debatte um die Bebauungsentwürfe von „Recona Holding“ bzw. „GSP“ für die Freifläche am Universitätsplatz in Magdeburg. „Stadtbild Deutschland e.V.“ ist ein bundesweiter Verein von Architekten, Künstlern und engagierten Bürgern, die sich für Schönheit und historisch verankerte Identität deutscher Stadtbilder einsetzen. Wir arbeiten mit zahlreichen Bürgerinitiativen und Kommunalpolitikern zusammen und wollen dadurch mithelfen, dass bei künftigen Bauprojekten mehr Sorgfalt auf gestalterischen Anspruch gelegt wird … In den letzten Wochen und Monaten wurde sehr engagiert um das künftige Aussehen einer Neubebauung der Ostseite des Universitätsplatzes (W. Rathenau/Listemannstr.) gestritten. Mitglieder verschiedener Fraktionen, aber auch zahlreiche Bürger und die Presse äußerten sich enttäuscht über die eingereichten Entwürfe der „Recona Holding“ sowie der „GSP“ und fordern Nachbesserungen an den bisher eingereichten Entwürfen. Diesen Forderungen schließen wir uns an … Dafür gibt es aus unserer Sicht folgende Gründe:
1. Den Entwürfen fehlt eine den Universitätsplatz gestalterisch belebende Dachlandschaft! Stattdessen haben sich die Architekten jeweils für schlichte Flachdächer entschieden. An dieser zentralen Stelle, schräg gegenüber dem den Platz prägenden Magdeburger Theatergebäude, ist ein solch schlichtes Flachdach unserer Meinung nach nicht angemessen. Flachdächer sind laut neueren Untersuchungen zudem auch ökologisch höchst fragwürdig, da ihre Haltbarkeit oftmals erheblich unter der von Schrägdächern liegt.
2. Beide Entwürfe weisen sehr einheitlich gestaltete Fassaden auf, die kaum Gliederungselemente und damit keine Abwechslung bieten. Solche glatten, gesichtslosen Fassaden wirken auf Betrachter und Passanten erfahrungsgemäß oft langweilig und trist! Hier könnte durch zusätzliche Fassadenelemente oder mehr Abwechslung bei der Fenstergestaltung mit wenig Mehrkosten ein wesentlich besserer Gesamteindruck geschaffen werden.
3. Insbesondere der Recona-Entwurf fällt durch seine stark eckige, kubistische Struktur auf. Die eckigen, schmalen Fenster dieses Entwurfs finden sich häufig an neuen Verwaltungsgebäuden und werden umgangssprachlich bereits als „Schießschartenarchitektur“ verspottet … Andere Möglichkeiten architektonischer Formensprache haben die Architekten hier offenbar gar nicht erst in Betracht gezogen!
4. Befürworter solcher kubistischer Entwürfe wenden gerne ein, solche „modernen“ Bauten seien bei der Bevölkerung beliebt und Kritiker würden nur ihre persönliche Abneigung verallgemeinern. Ist das tatsächlich so? Dazu gibt es neuere statistische Untersuchungen der TU Chemnitz (2014), die zeigen, dass solcherart „moderne“ Gebäude bei Mietern und Vermietern tatsächlich unbeliebter sind als z.B. gründerzeitlich geprägte Stadtviertel. … Daher sollte man auch bei Neubauten in Magdeburg versuchen, diese Mängel zu beheben!
5. Vor allem aber entsprechen die Entwürfe auch architekturtheoretisch nicht mehr dem aktuellen Standard anspruchsvoller, zeitgenössischer Architektur. Daher an dieser Stelle ein paar Worte zu dieser Problematik, die sich in vielen deutschen Stadtplanungsämtern und Architekturstudiengängen stellt: Die Uniplatz-Entwürfe orientieren sich zwar voll und ganz an den Prinzipien der sogenannten „Moderne“: eckige Formen, Flachdächer, Verzicht auf nahezu jede Form von Fassadendetails! Doch diese sich „Moderne“ nennende Architekturrichtung, die sich wiederum stark am 1919 in Weimar gegründeten Bauhaus orientiert, hat sich nun seit fast 100 Jahren kaum weiterentwickelt! Die einzige Weiterentwicklung bestand oft nur darin, die Formensprache eines Gebäudes immer stärker zu reduzieren, bis nur noch der Würfel als einzige Form übrigblieb! Eine Reduzierung der einst so reichen Architektursprache auf simple Würfelformen kann man aber wohl kaum als „modern“ im Sinne von „fortschrittlich“ bezeichnen! Wie nackt und seelenlos würden unsere Städte irgendwann aussehen, wenn nur noch solche tristen Würfel neu gebaut würden! Die „Moderne“, sagen Gelehrte, sei offensichtlich in einer Sackgasse angekommen, denn noch mehr reduzieren kann man nicht … „Wenn ich meinem Prof. einen klassizistischen Entwurf zeichne, bekomme ich Ärger, aber eine Kiste geht immer!“ so äußerte sich der Dessauer Architekturstudent Alexander Jäckel neulich. Kein Wunder also, wenn es auch später viele Architekten oder Wettbewerbsjurys nicht wagen, andere Wege zu gehen. Mehr und mehr Architekten … bauen wieder mit Schrägdächern, mit Dachgauben, sie fügen wieder akzentuierende Fassadenelemente ein, Gesimse, Risaliten, Eckbossen, Sprossenfenster usw! Doch sie kopieren diese Formensprache nicht einfach, sondern entwickeln sie weiter! So sieht „moderne“ Architektur unserer Meinung nach aus!
6. Solches Bauen muss nicht teurer sein, wie aktuelle Bauprojekte aus anderen Städten zeigen. Es stimmt also nicht, dass anspruchsvolleres Bauen in Magdeburg aufgrund vermeintlich geringerer Renditemöglichkeiten nicht infrage käme! Bauen in Wüfelform ist keineswegs Ergebnis knapper Kassen, sondern einer überholten Bauideologie!
Was in anderen deutschen Städten agemacht wirdzeigt die abgebildete Entwurfsskizze zu einem Bauprojekt in Berlin (Wohnprojekt „Klostergärten“ in der Klosterstraße 65 in Berlin-Mitte). Solche Architektur ist unserer Meinung nach auch für eine künftige Neubebauung von Grundstücken in der Magdeburger Innenstadt angemessen! Wir bitten daher den OB, den Ausschuss und die Gestaltungskommission, die bisher eingereichten Entwürfe mit ihren beschriebenen Mängeln zu überarbeiten, damit an dieser zentralen Lage das Stadtbild wirklich bereichert wird. Christian Noah und Manuel Reiprich, Verein „Stadtbild Deutschland e.V.“, Magdeburg
Terminhinweis: Der Ortsverband Magdeburg „Stadtbild Deutschland e.V.“ lädt zu obigem Thema am 7. Oktober, um 18 Uhr, zu einem Dialog ins „Cafe Central“ (Sternstraße 30).