Frauen werden gerne als das starke Geschlecht bezeichnet. Aber worin drückt sich diese Stärke aus? Und was hat sich geändert, dass den Männern dieser Titel ab- und den Frauen zuerkannt wurde?
Von Tina Heinz
Frauen, despektierlich auch hin und wieder „Weiber“ genannt, gelten inzwischen als das starke Geschlecht. Um mit Country-Sängerin Loretta Lynn zu sprechen – beziehungsweise zu singen: We’ve come a long way baby. Wir haben es weit gebracht, denn das war natürlich nicht immer so. Heute ist von selbstbewussten Frauen die Rede, die für ihre Meinung eintreten und (theoretisch) die gleichen Chancen und Rechte haben wie Männer. Zumindest in unserem Kulturkreis.
Vor 150 Jahren sah das auch auf deutschem Boden noch ganz anders aus. Frauen waren den Männern untergeordnet, mussten ein bestimmtes Rollenbild erfüllen, das dem der guten Hausfrau entsprach. Zu Kaiserzeiten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bedeutete dies, Kinder (ja, Mehrzahl) zu bekommen, dem Mann zu dienen, seine Wünsche zu erfüllen. Wählen durften weibliche Personen damals nicht. Und auch bildungsrechtlich waren sie stark eingeschränkt – beispielsweise konnten sie in Preußen die schulische Laufbahn nicht mit dem Abitur abschließen.
Nach dem Ersten Weltkrieg wandelte sich das Blatt allmählich, was u.a. dadurch bedingt war, dass viele Männer im Krieg gefallen oder verwundet worden waren und die Frauen nun Sorge für die Ernährung und den Existenzerhalt der Familie tragen mussten. Zu Zeiten der Weimarer Republik wurde zudem allen Frauen, die älter als 21 Jahre waren, das Wahlrecht eingeräumt. Und auch in anderen Bereichen schienen sich die Damen von ihrer reduzierten Rolle als Hausfrau emanzipieren zu können.
Das Bild der modernen, selbstbewussten, berufstätigen und finanziell unabhängigen Frau wurde schon damals in den Printmedien proklamiert. Bis das jedoch in der Realität Einzug hielt, dauerte es noch etliche Jahre. „We’ve come a long way baby“. Inzwischen hat die Emanzipation Früchte getragen. Frauen dürfen sich heutzutage sogar (meistens und wiederum in unserem Kulturkreis) aussuchen, wen sie heiraten. Und das muss nicht mal in jedem Fall ein Mann sein.
Aber drückt sich die Stärke der Frauen allein darin aus, dass sie das erreicht haben, wofür sie lange Zeit gekämpft haben? Stärke ist ein facettenreicher Begriff und im Laufe der Jahrzehnte wurden zahlreiche positive Eigenschaften benannt, die dem weiblichen Geschlecht zugeschrieben werden. (Und nur um es an dieser Stelle schriftlich festzuhalten: Auch Männern werden viele gute Eigenschaften zugeschrieben, die sich im Idealfall mit den Stärken der Frauen ergänzen oder für beide gelten.)
Nach einer Umfrage der „Apotheken Umschau“ gelten Frauen als das stärkere Geschlecht, weil sie besser mit Schmerzen, Krankheiten, Schicksalsschlägen und dem Älterwerden umgehen können als Männer. Frauen gewöhnen sich zudem leichter an neue Situationen. Dass männliche Mitmenschen im Krankheitsfall als wehleidiger gelten, liege laut „Apotheken Umschau“ daran, dass sich das männliche Immunsystem nicht so schnell auf Infekte einstellen könne wie das weibliche. Daher würden Männer die jeweiligen Symptome als ausgeprägter und stärker wahrnehmen.
Andere Stärken lassen sich wohl weniger mit Biologie als mit der gesellschaftlichen Entwicklung erklären. Frauen gelten als kommunikativer, sie können besser zuhören, Kontakte pflegen, sich um andere kümmern, organisieren, im Team arbeiten, motivieren, die Familie zusammenhalten. Dieses Bild ist historisch gewachsen – die Frau als Mutter. Kindererziehung erfordert nicht nur Empathie, emotionale Intelligenz und soziale Kompetenz, sondern auch Organisationtalent.
Alles unter einen Hut zu bringen, gilt sicher als eine besondere Stärke des weiblichen Geschlechts – Zeit für alle anderen, Zeit für sich selbst – Beruf, Familie, Hobbys. Der Dalai Lama schrieb in seinem 2010 veröffentlichten Buch „Der Weisheit des Herzens folgen – Warum Frauen die Zukunft gehört“: „Will die Menschheit in Frieden leben, braucht sie die Liebe und das Mitgefühl, das Mütter ganz natürlich zum Ausdruck bringen. Diese Qualitäten sind bei Frauen stärker ausgeprägt als bei Männern, daher ist es an der Zeit, dass weibliche Werte jene männlichen Werte ablösen, von denen die Gesellschaft seit Jahrtausenden beherrscht wird.“
Was aber ist mit den Frauen, die sich – aus welchen Gründen auch immer – gegen diese von der Gesellschaft auferlegte Rolle sträuben? Sollte man ihnen nicht aus eben diesem Grund auch eine gewisse Stärke zusprechen? Oder mit Nina Hagen gefragt: „Warum soll ich meine Pflicht als Frau erfüll’n? Für wen? Für die? Für dich? Für mich?“