Rockmusik: Jungbrunnen für ein „ewiges“ Lebensgefühl

gerhard_paulRocker waren einst die jungen Wilden. Heute sind sie in die Jahre gekommen, geben aber das Lebensgefühl nicht auf. Gerhard Paul ist ein Vertreter dieser Generation.

Rocker sind die Typen aus den 60er und 70er Jahren. Sie sind unangepasst und tragen eine wilde Haarpracht. Gerhard Paul, Baujahr 1945, kommt aus dieser Zeit, und er gehört zu den Pionieren der Magdeburger Rockmusikszene. 1963 spielt er in seiner ersten Band, im selben Jahr formierten sich damals noch als studentisches Amateurprojekt die „Klosterbrüder“ (später „Magdeburg“). Drei Jahre später gehört zu den „Primanern“. 1980, bis kurz vor der Zwangsauflösung von „Magdeburg“ – einige Mitglieder hatten 1981 nach einem Fernsehauftrittsverbot einen Ausreiseantrag gestellt –, gehörte Gerhard Paul der legendären Formation an.

Die Musik bestimmt den Lebensfaden des Bassisten. Sein Instrument hat „Bass-Paule“ – so kennt man ihn in Musikerkreisen – nie aus der Hand gelegt. In den 90ern spielte er in mehreren Coverbands. Bei „Crossfire“ machte er sechs Jahre Station und seit einigen Jahren gehört er zur festen Besetzung der „Kellergeister“. Obwohl er im Oktober das 71. Lebensjahr vollendet, denkt Gerhard Paul nicht ans Aufhören. Musik und Bühne brennen sich offenbar wie eine Droge in die Seele eines Menschen. Als „Bass-Paule“ vor drei Jahren in neue Beschallungstechnik investieren wollte, kommentierte das ein gleichaltriger Kollegen mit den Worten: „Das lohnt sich doch nicht mehr.“ Gerhard Paul kaufte die Anlage trotzdem.

Gerhard Paul steht seit 1963 als Bassist auf der Bühne. Rockmusik ist für ihn Jungbrunnen.

Gerhard Paul steht seit 1963 als Bassist auf der Bühne. Rockmusik ist für ihn Jungbrunnen.

Seit etwa zwei Jahren liebäugelt er sogar mit der Anschaffung eines Motorrads vom Traditionshersteller „Harley Davidson“. Allein der Mangel an gleichgesinnten Mitfahrern hält ihn davon ab. „Die Maschine kann ich mir auch noch mit 80 zulegen“, sagt er. Man muss den Satz nicht wirklich ernst nehmen – obwohl „Bass-Paule“ stets für eine Überraschung gut ist – vielmehr ist er Ausdruck eines Lebensgefühls. Wer übrigens glaubt, der Rocker aus den 60er Jahren würde auch die Klischees dieser Zeit – Sex, Drugs & Rock’n’Roll – noch leben, irrt. Gerhard Paul findet man dreimal pro Woche im Fitness-Studio. Selbst die über 30 Kilogramm schweren Lautsprecherboxen trägt er immer noch selbst auf die Bühne als wäre das leichtes Zubehör. Bei Fieber, Frost und Sommerhitze steht Gerhard Paul auf der Bühne. Für Musiker gibt es keine Ausreden, einen Gig abzusagen. Da zähle nur Krankenhaus oder Tod, erklärt „Bass-Paule“ seinen Anspruch an Zuverlässigkeit. Wahrscheinlich ist diese Verlässlichkeit ein wichtiger Aspekt, warum Gerhard Paul auch heute noch als Musiker gefragt ist.

Vor 30 Jahren gab es keine Rocker, die im Rentenalter Bühnen unsicher machten. Natürlich steckt in der Persönlichkeit des Bassisten die eigene lange Geschichte und die treibt sicher maßgeblich den Stachel seiner Unruhe an. Vielleicht ist Musik machen aber auch ein Jungbrunnen. Für Gerhard Paul auf jeden Fall. Und wenn er doch einmal daran denkt, die Bassgitarre an den Nagel hängen zu wollen, kann sich ja immer noch eine „Harley“ kaufen. (tw)