Prof. Dr. Anne Lequy, Rektorin der Hochschule Magdeburg-Stendal, zu überholten Klischees und deren Unsinnigkeit.
MAGDEBURG KOMPAKT: Gibt es aus Ihrer Erfahrung aus Ihrer Heimat in Deutschland Unterschiede in der Akzeptanz gegenüber einer Frau in einer Führungsposition?
Prof. Dr. Anne Lequy: Es fällt mir schwer, zu verallgemeinern und alle über einen Kamm zu scheren. Ich denke nicht, dass Frauen in Führungspositionen in Frankreich anders akzeptiert werden als in Deutschland. Vielleicht spielt sich der übliche (und üble) Machnismus in Frankreich offener ab, während in Deutschland solche frauenfeindlichen Bemerkungen eher hinter vorgehaltener Hand fallen. Am 4. Mai ist in der Tageszeitung Libération ein mutiger Artikel erschienen: Darin erzählen Politikjournalistinnen, wie sie von Politikern behandelt werden. Es geht meistens um weiße, ältere Männer, die ihre Macht auf diese Art ausführen und auch genießen. Sie beschreiben alltägliche Situationen, in denen sexuelle Belästigung offen stattfindet. Die aufsteigende Generation von Politikern tickt zum Glück schon anders.
Wie vereinbaren Sie Beruf und Familie? Gibt es gesellschaftliche Bedingungen, die für das Familienleben hinderlich sind?
Nur mit der Hilfe meines Partners gelingt es mir, Familie und Beruf zu vereinbaren. Zu den gesellschaftlichen Hürden, die für das Familienleben, genauer gesagt, für die berufliche Entwicklung von Frauen, hinderlich sind, gehört meines Erachtens das Ehegattensplitting, das das Hausfrauendasein steuerlich fördert. Das Ehegattensplitting ist nicht mehr zeitgemäß, ungerecht, und sollte schnellstens abgeschafft werden. Eine andere Hürde ist natürlich auch das nach wie vor unzureichende Angebot an ganztägigen und hochwertigen Kinderbetreuungsmöglichkeiten, vor allem in den westdeutschen Bundesländern. Da ist der Osten diesbezüglich klar im Vorteil.
Was macht in Ihren Augen heute eine starke Frau aus?
Selbstbewusst sollte sie sein, weder materiell noch moralisch abhängig sein von anderen. Die finanzielle Unabhängigkeit ist in meinen Augen ganz wichtig, weil sie das Fundament darstellt für den Rest. Das hatte Virginia Woolf schon erkannt, als sie „A room of one’s own“ schrieb („Ein Zimmer für sich allein“). Mit Hilfe des Staates, zum Beispiel durch Tagesbetreuung für Kinder, sollte diese starke Frau auch Karriere und Familie vereinbaren können. Diese starke Frau sollte auch in einer gleichberechtigten Partnerschaft leben, egal ob sie mit einem Partner oder einer Partnerin zusammen lebt.
Ist das Klischee vom sogenannten „starken Geschlecht“ heute überholt und wenn ja, warum?
Dieses Klischee ist für mich absolut überholt, weil man mittlerweile erkannt hat, dass die Leistung von Menschen, ihre Talente und ihre Fähigkeiten sich nicht allein durch ihre körperliche Kraft definieren lassen. Es ist sowieso unsinnig und auch gefährlich, Menschen in unterschiedliche Schubladen stecken zu wollen. Klischees helfen nicht, die Welt besser zu verstehen. Im Gegenteil.
Wenn Sie auf die Studierenden an Ihrer Hochschule schauen, kann man dann Unterschiede über Karrierewege von Frauen und Männern ableiten?
Natürlich ist die Studierendenschaft der Hochschule Magdeburg-Stendal keine Ausnahme, was Gender-Fragen angeht: Es finden sich nach wie vor mehr Frauen als Männer in den sozialwissenschaftlichen Fächern. Und mehr Männer als Frauen in den natur- und ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen. Wir versuchen an der Hochschule wir unseren Beitrag für mehr Bildungsgerechtigkeit zu leisten. Dazu gehört, dass man den Menschen unabhängig vom Geschlecht eine freie Berufswahl ermöglicht. Manche Männer arbeiten sehr gern und auch sehr gut mit Kindern beispielsweise. Sie sollten sich dafür nicht schämen, sondern selbstbewusst ihr Karriereziel anstreben. Frauen sollten in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik; Anm. d. Red.) auch Karriere machen können, ohne dass sie daran gehindert werden. Diese „Behinderungen“ sind oft unterschwellig – das fängt damit an, dass die Gesellschaft die kleinen Mädchen in Richtung „Prinzessinnen“ trimmt, während die kleinen Jungs „Piraten“ werden sollen. Die Botschaft dahinter: Frauen haben schön zu sein, Männer angriffslustig und tatkräftig. Ich wünsche mir mehr „Piratinnen“ und „Prinzen“.
Fragen: Nastasia Pape