Das lange Vorspiel für einen kurzen Moment

10587643 - funny and strange young man eating grape

Welcher Typ sind Sie? Rezepte suchen, Zutaten auswählen und einkaufen, Gemüse schneiden und putzen, Fleisch würzen und einlegen, Beilage und Salat zubereiten, eine Vorsuppe ansetzen und ein Dessert vorbereiten. Tausend Handgriffe, ein riesiger Berg Geschirr aus Töpfen, Pfannen, Schüsseln, Tellern, unterschiedlichen Küchenwerkzeugen – ein ganzer Samstagvormittag vergeht, damit zum Mittag eine leckere Mahlzeit serviert werden kann.

Hier und da wird abgeschmeckt, nachgewürzt und verfeinert. Kerzen kommen auf die Tafel, das gute Silber liegt blitzblank geputzt auf dem schneeweißen Tischtuch. Und dann, wenn alles aufgetischt und perfekt angerichtet ist, wenn es duftet, sich die Augen nach dem Schmaus verzehren und sich Wasser auf der Zunge sammelt – dann kommt der Moment des begehrten Genusses. Aber was geschieht wirklich? Aromen ergießen sich über Geschmacksknospen, befeuern Sinnesnerven und führen zu Lobpreisungen für Kochkunst und Geschmacksverfeinerung, manchmal still in Gedanken, dann wieder herzlich in Worte gekleidet. Und das alles – von Anfang bis Ende – für die wenigen Sekunden, in denen das Erlebnis auf dem Gaumen stattfindet.

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Ein wenig erinnert der Genuss einer Lieblingsspeise an den Mechanismus der Liebe. Das gegenseitige Entdecken, das voneinander kosten, sich Ansehen und Bestaunen, ein langes Vorspiel bis zur körperlichen Vereinigung und plötzlich, nach einem kurzen Aufflammen der ganzen Lust, ist alles vorbei. Menschen sind die größten selbstverführenden Illusionisten – aber schön machen sie das, in der Erotik und beim Essen. Liebe und Lieblingsspeisen sind Verwandte unserer Seele. (tw)