Bloß keinen Mainstream

kino-marktschloesschen-moritzplatzTrotz neuer Technik mutet das Studiokino am Moritzplatz recht urig an. Mit seinen gemütlichen Sitzen und den eigenwilligen, mit Zeitungsausschnitten gepflasterten Toiletten versprüht es einen gewissen Charme. Und genau dieser Charme ist vonnöten, wenn man sich Filme fernab des Mainstreams ansehen möchte. Das Haus, in dem heute Independent-, Arthouse, Low-Budget-Produktionen oder Dokumentarfilme über die Leinwand flimmern, hat eine abwechslungsreiche Geschichte hinter sich. Seit 1892 als „Marktschlößchen“ bekannt, wurden Anfang der 1920er Jahre erste kinematografische Vorstellungen gezeigt. 1925 untersagte jedoch der Stadtausschuss Kinovorführungen, Aufführungen von Theatervorträgen und Schaustellungen. Erst nach Behebung einiger baulicher Mängel wurden ab 1927 – bei einer Kapazität von 327 Sitzplätzen – wieder Filmbeiträge gezeigt.

Das Studiokino bietet heute 160 Gästen Platz. Die wohl enthusiastischsten und am regelmäßigsten vorbeischauenden Besucher sind die Mitglieder des Filmclubs der Volkshochschule Magdeburg. 2011 wurde er gegründet und lädt einmal pro Monat – immer freitags – Freunde des Non-Mainstreams ins Studiokino ein. „Programmkinos haben es aus finanzieller Sicht nicht gerade leicht“, sagt Heike Heinrich, die bei der Volkshochschule die Programmbereiche Kunst & Kultur sowie Gesundheitsbildung leitet und den Anstoß zur Gründung eines Filmclubs gegeben hat. „Wenn man sich die Magdeburger Kinolandschaft vor ein paar Jahrzehnten ansieht, so ist es ziemlich traurig, was heute davon übriggeblieben ist. Und aus diesem Grund war es für uns wichtig, eine Kooperation mit dem Studiokino einzugehen, um wenigstens eine kleine Unterstützung zu leisten.“ Auch andere Programmkinos der Region versucht Heike Heinrich einzubeziehen, indem Exkursionen in die Umgebung angeboten werden.

Der Filmclub hat derzeit 38 Mitglieder – von Studenten bis Senioren sind alle Altersgruppen vertreten. Wer Interesse hat, kann für zehn Euro eine Jahreskarte erwerben, für das Herbstsemester gibt es diese dann zum halben Preis. Der Vorteil daran ist, dass Inhaber der Filmclub-Card im Studiokino einen verringerten Eintrittspreis zahlen. Aber das war natürlich nicht das Hauptansinnen, als Heike Heinrich den Filmclub gründete. Die studierte Literaturwissenschaftlerin entdeckte ihre Leidenschaft für Filme vor etwa 15 Jahren. Mittlerweile gehören zu ihrer Privatsammlung mehr als 1.000 Bücher und ebenso mehr als 1.000 Filme. „Ehrlich gesagt, begeistern mich Bücher nach wie vor. Aber ich finde nicht immer die Zeit zu lesen. Einen Film hingegen kann man sich in zwei Stunden anschauen – und das ist für mich oft wie ein kurzer Urlaub.“ Allerdings, gesteht die Programmleiterin, gelinge es ihr beim Lesen besser, der Realität zu entfliehen. Ein Film wiederum spreche mehrere Sinne gleichzeitig an. Die Frage also, welches Medium sie bevorzugt, erübrigt sich. Ebenso die Frage, welches ihr Lieblingsfilm ist. „Ich kann sagen, was ich nicht so gern mag: seichte Liebeskomödien und Horrorfilme, die nur darauf aus sind, den Zuschauer alle fünf Minuten zu erschrecken. Aber im Allgemeinen schätze ich das britische Kino derzeit sehr, weil in den Filmen nichts beschönigt wird und die Briten darin ihre sozialen Probleme nicht verbergen – eine ganz andere Richtung als die, die der französische Film seit einer Weile eingeschlagen hat.“

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Diese Aufnahme zeigt das heutige Studiokino im Jahr 1940. Mehr als 300 Besucher konnten sich damals kinematografische Vorstellungen anschauen. Foto: Stadtarchiv

Von ihren eigenen Interessen lässt sich Heike Heinrich bei der Auswahl der Filme für den Filmclub zwar auch leiten, sie versucht jedoch ein breites Feld abzudecken – sowohl in Bezug auf das Sujet, das Genre oder die Herkunft der Werke – und Filme nach Magdeburg zu holen, die vorher noch nicht in der Landeshauptstadt gezeigt wurden. „Vor zwei Jahren entstand die Idee, für jedes Semester ein Thema zu finden. Dabei haben die Mitglieder natürlich ein Mitspracherecht und dürfen unter mehreren Vorschlägen wählen, was sie bevorzugen“, erklärt die Programmleiterin. „Aktuell beschäftigen wir uns mit den Filmklassikern aus 20 Jahren Arthouse.“ Am 18. November steht daher „Das siebte Siegel“ von Ingmar Bergmann von 1957 auf dem Programm. „Der Prozess“ von Orson Welles aus dem Jahr 1962 wird dann am 16. Dezember im Studiokino zu sehen sein.

Vor jedem Film gibt Heike Heinrich für die Gäste – und dazu zählen auch Besucher des Studiokinos, die keine Mitglieder des Filmclubs sind – eine kleine Einführung. „Die kann ganz unterschiedlich ausfallen: Entweder erzähle ich etwas über den Regisseur, sage ein paar Worte zur Filmmusik oder ich weise auf die Kameraführung hin. Das wichtigste ist, ein Fenster in den Film zu öffnen.“ Im Anschluss wird dann diskutiert. Wem ist was aufgefallen? Wer hat was wie wahrgenommen? Sind die positiven oder negativen Kritiken für den Film berechtigt? „Und das war damals einer der Hauptgründe, weshalb wir den Filmclub ins Leben gerufen haben: Die Leidenschaft und die Begeisterung für diese Form der Kunst teilen und sich darüber austauschen. Im Vordergrund steht dabei nicht unbedingt, etwas über den Film zu lernen, sondern sehen zu lernen und Spaß daran zu haben.“

Sehen lernen – das war für Heike Heinrich anfangs auch neu. Doch inzwischen ist die Magdeburgerin, die Werke für die Filmbewertungsstelle in Wiesbaden beurteilt und Mitglied diverser Jurys ist, darin geübt. Und gerne würde sie dies auch gern an Kinder weitergeben. Denn warum sollten Erwachsene Kinder- und Jugendfilme bewerten? „Es wäre doch deutlich sinnvoller, wenn dies diejenigen tun, an die der Film auch gerichtet ist“, meint die Programmleiterin. „Es soll daher eine Jugendjury ins Leben gerufen werden und ich setze mich dafür ein, dass diese in Magdeburg etabliert wird.“ Aus diesem Grund sucht sie Kinder und Jugendliche im Alter von 10 bis 16 Jahren, die sich dafür interessieren. „Dabei lernt man auch einiges – beispielsweise andere Sichtweisen zuzulassen, konstruktive Diskussionen zu führen, Bewertungskriterien zu erarbeiten und Kritiken zu verfassen“, hebt Heike Heinrich hervor. „Und dies wäre ein weiteres Alleinstellungsmerkmal für Magdeburg. Ebenso wie die Tatsache, dass in Magdeburg im Rahmen des Deutschen Filmpreises Lola das einzige Vorscreening stattfindet.“ Schade nur, dass derlei Aspekte bei der Bewerbung als Kulturhauptstadt keine Rolle spielen… Tina Heinz

Für Informationen über den Filmclub und die Jugendjury steht Heike Heinrich per Mail (heike.heinrich@vhs.magdeburg.de) oder telefonisch (0391 / 53 54 77 18) zur Verfügung.