Berlin 2012. Ich habe am Nachmittag eine Lesung in der Altmark. Zur Lesung mit „Ala Aurea“ in der Berliner Landesvertretung von Sachsen-Anhalt komme ich fünf Minuten vor dem Termin. Ich kenne die beiden Damen noch nicht. Wir begrüßen uns und haben kaum Zeit für eine Absprache, gehen auf die Bühne und haben einen wundervollen Abend vor vollem Haus und einem begeisterten Publikum. Unglaublich. Am selben Abend wird die Idee geboren, diese gemeinsame Arbeit fortzusetzen. „Ala Aurea“ bestand an diesem Abend aus Maria Jonas /Gesang) und Susanne Ansorg (mittelalterliche Fidel und Glockenspiel), die das kleine Ensemble begründeten und hin und wieder weitere Musiker oder eben auch mal einen Dichter hinzubitten. Susanne Ansorg ist die künstlerische Leiterin des montâlbane-Festivals in Freyburg, eines Festivals für mittelalterliche Musik, das inzwischen wegen seiner hohen Qualität und seines Festcharakters zu einer der beliebtesten Adressen für Musiker geworden ist. Mit Susanne Ansorg sprach ich unlängst, weil ihr Ideenreichtum eine besondere Aura erzeugt.
Ludwig Schumann: Du hast Geige, Gitarre, Blockflöte, Klavier gelernt, Germanistik, Musikwissenschaft und Musikpädagogik studiert. Was hat der Impuls für mittelalterliche Musik?
Das ist bei mir durchaus etwas kompliziert. Ich habe immer schon gern Ensemblemusik gemacht. Als Arnstädterin komme ich aus einer thüringischen Kleinstadt. Dort spielte ich sowohl im Bezirksfolkloreensemble Erfurt thüringische Volksmusik mit Dudelsack, Mandolinen und Tänzern, spielte aber auch in einem Streichquartett und Jazz. Dann ging ich nach Leipzig und studierte Germanistik, Musikwissenschaft und Musikpädagogik auf Lehramt. Hier fand ich Robert Weinkauf, den jetzigen „Chef“ auf Schloss Goseck, der in meiner Seminargruppe war. Weinkauf wurde dann der Sänger von Ioculatores. Dieses Ensemble für mittelalterliche Musik gab es damals schon, allerdings noch unter dem Namen „Ensemble Fiedolin“. Veit Heller, heute Direktor des Musikinstrumentenmuseums der Leipziger Universität, gehörte dazu. Fiedolin hat zunächst Volkslieder gespielt. Sie griffen dann aber auf immer älteres Material zurück, bis dieses merkwürdige Interesse für alte und mittelalterliche Musik geweckt war.
Wie kamen die Musiker zu den Instrumenten?
Die haben die Musiker selber gebaut. Das Ensemble hatte nun Instrumente und Programm sich erarbeitet, aber die Fidelspielerin war ihnen abhanden gekommen. Robert Weinkauf wusste zwei Dinge von mir: Sie spielte Geige und sie suchte ein neues Betätigungsfeld. Er fand mich gut, nahm mich zu einem Konzert von „Fiedolin“ mit, stellte mich dort dem Ensemble mit den Worten vor: Das könnte unsere neue Fidelspielerin sein. Mich hatte die Musik des Ensembles von Anfang an auf eine ganz besondere Weise berührt. Der Hörer merkte, diese Musik gehört zu den Grundfesten unserer Kultur. Was mich aber interessierte, war der Umstand, dass man einen sehr persönlichen Zugang dazu haben muss. Das liegt daran, dass sie noch nicht in Stimmen aufgefächert ist. Du musst immer deins selber finden. Ich wollte nie Geigerin im Orchester werden. Ich wollte Musik machen, in der ich mich persönlich einbringen konnte. Hätte ich die mittelalterliche Musik nicht gefunden, wäre ich vermutlich beim FreeJazz gelandet. Ich mache nach wie vor auch improvisierte Musik. Ja, und so war ich plötzlich Mitglied in einer tollen Band, die noch dazu ein wunderbarer Freundeskreis ist.
Wie bist du dann nach Basel gekommen?
An der Schola Cantorum Basiliensis habe ich dann mittelalterliche Musik studiert. Wir waren als Ensemble bereits kurz nach der Wende nach Basel gereist, um uns die Schule anzuschauen. Sie war uns natürlich, wie für jeden, der sich mit dieser Musik beschäftigt, ein Begriff. Jetzt endlich, dachten wir damals, können wir mal diese internationale Welt der mittelalterlichen Musik sehen. Das war die Zeit, als mein Studium zu Ende war. Ich hatte einen ziemlich guten Abschluss. Nun musste ich mich für das Referendariat bewerben. Weil aber nicht sofort eine Stelle frei war, hatte ich eine Zeit. Nun interssierte ich mich für diese Musik und beschloss, mich in Basel zu bewerben. Ich bestand die Aufnahmeprüfung. Nach einem halben Jahr haben sie mich gefragt, ob ich nicht das Diplom machen will. Das war ungewöhnlich, hatte ich doch kein Musikstudium absolviert, sondern war nur Musiklehrer.
Was war das Ergebnis des Studiums?
Zum einen habe ich gemerkt, dass ich mich auf der Bühne wohlfühle, dass ich Konzertmusikerin werden will. Nicht nur mit Ioculatores, sondern auch mit anderen Leuten. Zum anderen wurde ich mir gewiss, dass mein Interesse für Forschung und Wissenschaft im Bezug auf mittelalterliche Musik da ist. Beides geht gut miteinander zusammen, weil man für jedes neue Programm recherchieren muss. Man muss alle Notationen lesen können, alle Quellen, am besten auch in allen möglichen Sprachen firm sein. Das entspricht mir einfach. Ich mag gern gefordert sein. Ich bin froh darüber, weil ich einfach nicht der Mensch dafür bin, Orchestermusikerin zu werden.
„montâlbane“, das internationale Festival mittelalterlicher Musik: Wann und warum seid Ihr auf die Idee gekommen, das zu gründen?
Am Tag des Mauerfalls waren wir zu einem Konzert in Meißen. Da wir nicht nach Berlin fahren konnten, haben wir uns mit dem Pfarrer zusammengesetzt und haben gefeiert. Da wurde die Idee geboren: Jetzt können wir doch endlich die tollen Bands aus dem Ausland zu uns einladen. Machen wir doch ein Festival. Wenn du nie die Leute, die du verehrst, selber hören kannst, sondern nur von Alben kennst, dann willst du die mal erleben. Sebastian Pank, ebenfalls von Ioculatores, ist ein Mann mit Visionen. Er kam auf die Idee des Festivals. Er hat sich auch ausgedacht, dass wir uns in Goseck heimisch machen sollten. Dann haben wir als Ensemble das Festival eine zeitlang gemeinsam organisiert. Aber immer mit der Idee, dass es ein Fest und kein kommerzielles Musikfestival sein soll. Die Abende mit den Musikern und dem Publikum zusammen, nach den Konzerten, an denen man zusammensitzt bei Wein und Essen und es hat bis heute diese wunderbare Nähe von Musikern und Publikum.
„montâlbane“ findet vom 19. Juni bis 21. Juni 2015 statt. Was ist das Thema?
Das Programm heißt „Licht des Ostens“. Mittelalterliche Musik aus Osteuropa ist in diesem Jahr das Thema. Im Eröffnungskonzert am 19. Juni in der Stadtkirche Freyburg werden Orthodoxe Gesänge aus dem Alten Russland zu hören sein. Es gibt den Klang der Dörfer aus dem Südosten Estlands, es gibt Musik aus Polen. Also schaut einfach mal auf www.montalbane.de.
Dein montâlbane-Ensemble erhielt in diesem Jahr die Goldmedaille der „Straße der Romanik“?
Ja. Das Festival zieht ein internationales Publikum an. Wir müssen das lokale Publikum aber mehr ins Boot holen. Das ist schwerer als ein deutschlandweites oder gar europäisches Publikum anzulocken. Deshalb haben wir drei Leute, die auf Schloss Goseck leben, Robert Weinkauf, Sebastian Pank und ich plus Jörg Peuckert, Direktor der Neuenburg, das Ensemble gegründet, damit wir hier in der Region ein festes Ensemble haben. Momentan haben wir ein Repertoire der örtlichen Gregorianik der Mönche aus den Klöstern der Region. Der nächste Schritt wird sein, dass wir lokale Ensembles mit einbinden.
Sagst du noch etwas zu Ala Aurea?
Gern. Die Kölner Sängerin Maria Jonas und ich haben dieses Duo gegründet. Wir spielen auch mit unterschiedlichen Musikern, oder, in diesem Jahr und hoffentlich auch in den nächsten Jahren mit Dichtern, beispielsweise Ludwig Schumann, zusammen.