Olvenstedt? Olvenstedt! Was verbinden Sie mit diesem Stadtteil, dem nach wie vor ein eher negatives Image anhaftet? Die einen, die mit dieser „Ecke“ Magdeburgs nicht verwurzelt sind, denken an Platte, graue Fassaden, Betonwüste. Die anderen, die in dem 1979 eingemeindeten Bördedorf aufgewachsen sind, sagen, Olvenstedt sei ein wandlungsfähiger Stadtteil mit Einkaufsmöglichkeiten und zahlreichen Gelegenheiten, sich zu beschäftigen. Juliane Splitt von der Wohnungsbaugenossenschaft Otto von Guericke eG teilt eben dieses Empfinden. „Ich hatte eine schöne Kindheit in Olvenstedt. Es war immer etwas los und in unserer Umgebung gab es viele Familien mit Kindern in meinem Alter, mit denen ich einfach losziehen konnte.“
Die Wohnungsbaugenossenschaft ist fest mit Olvenstedt verwurzelt. 1955 unter dem Namen Arbeiterwohnungsbaugenossenschaft (AWG) „Aufbau“ ins Leben gerufen, wurde bereits 1958 die AWG „Aufbau-Olvenstedt“ gegründet. Seitdem hat man den Wandel des Stadtteils, der ab den 1980er Jahren in Alt- und Neu-Olvenstedt geteilt wurde, miterlebt und mitbestimmt – auch nach der späteren Fusion mit Genossenschaften in anderen Stadtteilen und der Umbenennung in „Otto von Guericke“. Ein Rückblick:
Die 50er: In den Nachkriegsjahren waren Heimkehrer, Umsiedler und Flüchtlinge auf der Suche nach Möglichkeiten, sich niederzulassen – doch die waren gering. Familien mit mehreren Kindern wohnten in untervermieteten Zimmern. Da dringend Wohnraum benötigt wurde, gründeten sich Anfang der 50er Jahre mehrere Magdeburger Arbeiterwohnungsbaugenossenschaften. Die zu dieser Zeit errichteten Gebäude wurden Stein auf Stein gebaut und waren geprägt von Sparsamkeit, Materialknappheit und einfacher Bauweise. Die Wohnungen waren oft klein und zweckmäßig, verfügten aber über ein eingebautes Bad und hatten Einzelofenheizungen.
Ende der 50er Jahre musste schnell zusätzlicher funktionaler Wohnraum geschaffen werden – es entstanden die ersten großen Bauvorhaben mit Typenprojekten und vorgefertigten Bauelementen. Familien, die ihre neuen vier Wände bezogen, nutzten für die Einrichtung noch vorhandene Möbel aus der Vorkriegszeit. Die jüngere Generation setzte auf den modernen Stil – wie etwa Nierentisch und Cocktailsessel.
Die 60er: Die größte Wohnraumnot nach dem Zweiten Weltkrieg war in den 60er Jahren überwunden. Die industrielle Bauweise erlebte einen Aufschwung. Waren die Jahre zuvor von einem hohen aktiven Teil an Eigenleistungen der Genossenschaftler am Bau ihrer eigenen Wohnung geprägt, wurden diese nun eingeschränkt. Eigenleistungen wurden vermehrt durch die sogenannten Feierabendbrigaden an den Außenanlagen, Spielplätzen und bei Reparaturen erbracht. Die Einrichtung der 60er Jahre zeichnete sich durch moderne, aber doch recht unauffällige und schmucklose Möbel aus. Vor allem Anbaumöbel standen hoch im Kurs, die nach und nach hinzugekauft werden konnten, um die Einrichtung zu ergänzen. Lieblingsstücke waren die Schrankwand im Wohnzimmer sowie Regale in Schleiflack mit Fronten.
Die 70er: Auch in dieser Zeit blieb die Wohnungsknappheit ein Kernthema. 1973 wurde ein Wohnungsbauprogramm der DDR beschlossen, das Voraussetzungen für eine höhere Bauleistung schaffen sollte. Die Zahl der neu erbauten oder modernisierten Wohnungen nahm daher sprunghaft zu. In vielen großen Städten entstanden Neubausiedlungen – in Magdeburg beispielsweise Nord, Neustädter Feld, Neu-Reform oder Neu-Olvenstedt. Das Hauptproblem der DDR-Wohnungswirtschaft blieb aber weiterhin der miserable bauliche Zustand vieler Wohnungen. Immerhin waren die Mieten niedrig: Sie wurden staatlich subventioniert und lagen zwischen 0,80 und 1,25 Mark pro Quadratmeter. Besonders Plattenbauten erfreuten sich großer Beliebtheit, denn hier gab es Komfort: fließendes Wasser, Zentralheizung, ein Bad mit Toilette und Badewanne. Die Individualität blieb jedoch auf der Strecke.
Die 80er: Das Wohnungsbauprogramm wurde auch in den 80ern konsequent fortgesetzt. Quantität statt Qualität war dabei die Maßgabe. Rationalisierungen führten zu schlecht schließenden Fenstern und Balkontüren, luftziehenden Thermoscheiben, zugesetzten Kaltwasserleitungen etc. Die Mängel ließen bei den Genossenschaftlern die Freude über eine Neubauwohnung schnell verfliegen. Anders bei den günstigen Mieten, die staatlich gelenkt wurden. Jeder Bürger hatte ein Grundrecht auf Wohnung, unabhängig vom Einkommen.
Die 90er: Nach der politischen Wende verloren zahlreiche Menschen durch die Schließung diverser Betriebe ihren Arbeitsplatz – eine Welle der Abwanderung setzte ein. Viele Menschen verließen die Stadt auch, um sich den Wunsch nach Wohnraum im Grünen zu erfüllen. Innerhalb von zehn Jahren verlor Magdeburg etwa 50.000 Menschen, was auch die Wohnungsbaugenossenschaften zu spüren bekamen.
Die 2000er bis heute: Die wirtschaftliche Lage der Genossenschaft stellte sich zunehmend schwieriger dar. Leerstand und Verschuldung wuchsen. Aus diesem Grund beschloss man ein Sanierungskonzept, um sich gesundzuschrumpfen. Mehr als 1.000 Wohnungen wurden abgerissen, bei gleichzeitigem Erlass von Altschulden. Im Zuge des „Stadtumbau Ost“ schuf die Wohnungsbaugenossenschaft Otto von Guericke neue Formen wie das betreute Wohnen in Neu-Olvenstedt oder Reihenhäuser in Alt-Olvenstedt. Der Plan zeigte schon bald erste Erfolge. Durch konsequenten Abriss hatte sich der Bestand zwar auf 6.281 Wohnungen stark verringert, doch auch der Leerstand konnte auf 6 Prozent reduziert werden.
Der Wandel, den Olvenstedt vollzogen hat, ist nicht zu übersehen. Neuer, individueller Wohnraum ist entstanden, nicht nur in Form von Einfamilienhäusern. Das Team der Wohnungsbaugenossenschaft setzt auf den Standort der Geschäftsstelle am Scharnhorstring – auch hier wird Wert gelegt auf Individualität, Komfort und Barrierefreiheit. So wie sich das Ich mit der Zeit verändert, muss auch die Genossenschaft mit diesen Veränderungen wachsen – immer wieder aufs Neue. Tina Heinz
*Quellen: Geschäftsberichte und Chronik der WBG Otto von Guericke eG