Vater und Sohn erlebten Siege und Niederlagen Seite an Seite. Zwei Fans und ihre sieben Brücken der Hoffnung und des Leidens. Jetzt wird gefeiert. Von Norman Seidler
Getränkt waren die Shirts von Stefan Hofmeister und seinem Sohn Dustin Oberheu. Getränkt, mit Schweiß und Tränen. Das 3:1 in Offenbach, dem Relegationsrückspiel zwischen den Offenbacher Kickers aus der Regionalliga Südwest und dem 1. FC Magdeburg aus der Regionalliga Nordost, es bot die blanke Dramatik.
Seit 1971 rennt Stefan Hofmeister zu seinem FCM. „Auf der Rückbank eines 613 bin ich bei meinem Vater mit zum Spiel gefahren. Wir hatten VIP-Karten, da mein Papa beim Spezialbaukombinat arbeitete. Ich wurde als kleiner Bengel unentgeltlich reingeschleust“, erinnert sich der heute 50-Jährige. Dustin ist 22 und Stefans Kind aus erster Ehe. Gemeinsam besuchen sie jedes Clubspiel. „Im Alter von acht Jahren erlebte ich meine ersten beiden FCM-Spiele. Es waren die Relegationsspiele zwischen Magdeburg und dem BFC Dynamo im Jahre 2001. Da ging es richtig zur Sache und es hat mich gepackt. Aber Papa war da witzigerweise nicht dabei. Wir haben gemeinsam den Abstieg des Clubs 2008 erlebt, als wir mit einem Tor die Qualifikation für die neue 3. Liga verpassten.“ Papa Stefan kellnerte über 20 Jahre und konnte nicht jedes Spiel seines Vereins verfolgen, da am Wochenende die Arbeit Vorrang hatte. Trotz allem ging es in den 90er Jahren in das Ernst-Grube-Stadion zum Club: „…vor überschaubarer Kulisse“, wie er ergänzt. Trotz allem hielt er die Treue, auch wenn der Profi-Fußball damals wie heute keine Rolle spielte.
Im Hier und Jetzt: Denis Mangafic haut den Ball in der 25. Minute in die Maschen – 1:0 für Offenbach. Das Hinspielergebnis ist neutralisiert, als Magdeburg mit 1:0 gewann. Dustin und Stefan packt Verzweiflung. Sieben Jahre vierte Liga stehen auf dem Spiel, 25 Jahre Amateurfußball. Das Gefühlskarussel nimmt an Fahrt auf, der Puls jagt in die Höhe – Offenbach feiert schon und drängt auf das zweite Tor.
„Nach dem St. Pauli-Spiel 2007, als wir den Aufstieg in die 2. Bundesliga um ein Tor verpassten, waren wir natürlich niedergeschlagen und gleichzeitig war es der Anfang in die falsche Richtung unseres Clubs“, sagt Stefan. Dustin, der dieses Jahr in die Bundeswehr eintritt, erlebte von Jung an die Viertklassigkeit und musste über sämtliche „Dörfer“ fahren: „Meine Kumpels und ihre Bundesliga-Clubs interessieren mich überhaupt nicht. Für mich gab und gibt es nur die alten FCM-Fans, die von den Europapokal-Schlachten der Siebziger und Achtziger schwärmen. Es macht mich traurig, dass ich das nie erleben durfte. Meine Erlebnisse sind Landespokalspiele in Wimmelburg, Punktspiele gegen Meuselwitz. Doch es gab auch Höhepunkte, wie den Landespokalsieg 2014 – das 3:0 bei Drittligist Halle.“
Papa Stefan zeigt ein breites Grinsen. Seit sechs Jahren ist er Autoverkäufer und erinnert sich an den Tiefpunkt in der Regionalliga, als Magdeburg 2011 den letzten und damit 18. Platz erreichte und dank einer Liga-Reform nicht absteigen musste: „Im Zuge einer FCM-Edition haben wir elf Autos beklebt, wovon nur ein einziges verkauft wurde. Das lag natürlich am sportlichen Misserfolg des Clubs. Es brach mir das Herz, diese Autos wieder entkleben zu müssen.“
32. Spielminute in Offenbach. Die Gegengerade peitscht die Mannschaft nach vorn, als der Club zu einer Ecke kommt. Fuchs schießt die Ecke, Bankert verpasst. Flanke Sowislo und am langen Pfosten kommt Abwehrmaschine Schiller an den Ball und präzisiert die Aufstiegsambitionen des 1. FCM – 1:1-Ausgleich. Der Gästeblock tobt, Papa und Sohn liegen sich in den Armen. Offenbach benötigt zwei Tore, um aufzusteigen.
„Die große Euphorie brach 2006 mit der Eröffnung des Stadions aus“, erklärt Dustin. Ob FCM-App, MDR-Aufzeichnungen oder die Tageszeitung. Alles wird mit Papa ausgetauscht und diskutiert. Der ist seit zwei Jahren Teil des Fanclubs „Ackerfront“: „Eine tolle Truppe, die zur Hälfte aus Fans besteht, die aus den alten Bundesländern kommen. Wir singen zusammen, stehen zusammen und freuen uns, alle Gesichter am Wochenende vereint zu sehen.“ Während es für beide FCM-Generationen kein Wenn und Aber gibt, ist die Relegation schon etwas ganz besonderes. Auch die eingefleischten Fans sind aufgeregt, da es für den Verein um alles geht.
36. Spielminute: Reimann mit weiter Bogenlampe auf Standard-Spezialist Hammann, der den Ball hoch hinein bringt. Der Kleinste köpft ein: Lars Fuchs zum 2:1 für Magdeburg. Der Gästeblock, über 2.200 Magdeburger, ist ein Tollhaus. Stefan und Dustin kullern Arm in Arm die Tränen. Das Tor zur 3. Liga ist offen, da der Gegner weitere drei Treffer benötigt, um Magdeburg zu egalisieren.
2008 standen Dustin und Stefan zusammen im Zentral-Stadion von Leipzig, als der FCM mit 1:0 gegen den FC Sachsen gewann. 2015, sieben Jahre später, stehen sie noch immer im Block. Arm in Arm, Seite an Seite für ihren 1. FC Magdeburg, der dank des dritten Treffers von Nicolas Hebisch in der 53. Minute die 3. Liga in Offenbach dingfest macht. Emotionen entladen sich wie ein Sprühfeuer. Schon verrückt, dass Papa und Sohn gleichzeitig das erste Mal zum Profi-Fußball ihres Vereines gehen werden. Der 1. FC Magdeburg ist ihre Leidenschaft. Sieben Jahre galt es, dem schlafenden Riesen die Treue zu halten. Dieser eine Tag, dieser eine Moment war es wert, Spott und Hohn zu ertragen und Woche für Woche Blau-Weiß zu leben. Dustin und Stefan sind Teil des Vereins, denn Magdeburg lebt seit je her Fußball und seine Tradition. Im 50. Jahr des Bestehens hat es der Verein geschafft. Drittligist 1. FCM. Duelle wie aus alten Oberliga-Zeiten stehen an: Hansa Rostock, Dynamo Dresden, Rot-Weiß Erfurt, Chemnitzer FC, Energie Cottbus und Hallescher FC. Die Elbestädter gehen das erste Mal seit Bestehen bundesweit auf Punktejagd. Stefan und sein Sohn Dustin werden ihren Verein bis nach Stuttgart, Wiesbaden, Köln oder Rostock verfolgen und gemeinsam in eine fußballerisch bessere Zukunft gehen. Denn die „dunklen Jahre“ sie scheinen nach sieben Dekaden überstanden zu sein. Hoffentlich für eine lange Zeit, denn der bezahlte Fußball gehört an die Elbe. Vater und Sohn werden zu jedem Zeitpunkt an der Seite des FCM stehen, denn beide sind sich einig: „EINMAL – IMMER!“