Wenn Glockenmelodien die Luft der Magdeburger Innenstadt erfüllen, ist Frank Müller dafür verantwortlich. Er spielt ein Instrument, von dem es in Deutschland nur 43 Exemplare gibt.
Von Tina Heinz
Etliche Treppen muss Frank Müller im Rathaus überwinden, geduckt unter Holzbalken den Dachboden durchqueren, Spinnenweben und Staub ausweichen bis er endlich sein Ziel erreicht – einen kleinen Raum im Glockenturm hoch über dem Magdeburger Marktplatz.
Dort kann er sich auf eine Holzbank setzen, die sich auf Höhe des Ziffernblattes der Rathausuhr befindet, und das Carillon spielen. Das aus dem Französischen stammende Wort bezeichnet ein Turmglockenspiel, das über mindestens 23 Bronzeglocken und eine Handspieleinrichtung verfügt. „Seinen Ursprung hat es in Belgien, den Niederlanden und Nordfrankreich. Dort gibt es in fast jedem Ort singende Türme“, sagt Frank Müller. Seit dem späten Mittelalter gehören sie zum Stadtbild. Allein in den Niederlanden gibt es heute laut Liste der World Carillon Federation 185 Glockenspiele. Deutschlandweit exis-tieren nur 47. „Allerdings ist das Carillon des Roten Turmes in Halle mit 76 Glocken das größte Europas“, erklärt der Magdeburger. „Leider interessieren sich nur noch wenige Menschen für das Instrument.“
In Magdeburg finden immerhin Glockenspielkonzerte statt. Besucher können dann im Innenhof des Rathauses sitzend den Klängen lauschen, die Frank Müller am Stockenklavier zaubert. Dort haut der Musiker nicht in, sondern auf die Tasten. Zwar sind diese wie bei einem Klavier angeordnet, doch der Abstand zwischen den Tasten ist größer und man muss beim Spielen einen Hub von fünf Zentimetern überwinden. „Das erfordert ein wenig Kraft und Ausdauer“, sagt der 54-Jährige schmunzelnd.
Das Magdeburger Carillon ist mit 47 Bronzeglocken bestückt und wurde 1974 als erstes in der DDR eingeweiht. Die größte Glocke wiegt 975 Kilogramm, die kleinste 10. Das Gewicht aller Glocken beträgt 6000 Kilogramm. Wenn Frank Müller am Stockenklavier die Tasten bedient, werden über Drähte und Winkelhebel die Klöppel der einzelnen Glocken in Bewegung versetzt. „Diese mechanische Verbindung ermöglicht ein dynamisches, ausdrucksvolles Spiel. Je kräftiger ich die Taste anschlage, desto lauter erklingt die Glocke“, schildert der Musiker.
Bereits bei der Einweihung entdeckte der damals 13-Jährige seine Liebe zu diesem Instrument. „Mein Lehrer an der Telemann-Musikschule ermöglichte mir, das Carillon auszuprobieren, weil ich schon Klavier spielen konnte.“ Auch als er nach dem Maschinenbau-Studium Magdeburg verließ, gab er das Instrument nicht auf. Vom Berliner Magistrat bekam Frank Müller das Angebot, im Französischen Dom und in der Nikolaikirche zu spielen. In Dänemark legte er sogar sein Glockenspiel-Diplom ab. „Heute stellt keine Stadt mehr einen Carillonneur an“, sagt Frank Müller etwas wehmütig. Aus Kostengründen werden diverse Melodien über eine elektronische Steuerung abgespielt, die der Magdeburger auf einer Speicherkarte erfasst hat. Zwischen 10 und 18 Uhr erklingen stündlich Bearbeitungen klassischer Werke, bekannte Volkslieder, Originalkompositionen für Carillon oder eigene Improvisationen in der Innenstadt. Trotz der Digitalisierung hofft Frank Müller, dass das eigentliche Spielen des Instrumentes nicht in Vergessenheit gerät.
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