Mein geheimer Nachbar

Es gibt Nachbarn, die man nie sieht, nicht hört und doch immer da sind. Wir lassen sie sogar selbst ganz dicht an uns heran, ohne dass wir sie eingeladen haben. Sie liegen neben uns im Bett. Sie verfolgen uns auf Schritt und Tritt. Sie hören, was wir sagen, und lesen, was wir schreiben. Sie sind permanent da und erscheinen doch so entfernt. Als gelernter DDR-Bürger vermutete man einst, dass es unter den Nachbarn Spitzeln gibt, die jede staatlich feindliche Äußerung oder politisch unangemessenes Verhalten an die Stasi weitertrugen.

Und wenn man sich verdächtig machte, kam die Firma „Horch&Guck“ unheimlich heimlich und verwanzte die Wohnung. Schon hatte man unfreiwillige Nachbarn, die Leben und Gesinnung unter die Lupe nahmen. Heute braucht es keine anschwärzenden Nachbarn. Jeder Handy-Besitzer trägt die Wanze bei sich. Und diese kleinen, freundlichen Überwachungsgeräte offenbaren mehr als nur unflätige Bemerkungen. Sie zählen die Schritte, die man geht. Sie wissen zu jeder Zeit, wo man sich aufgehalten hat, verraten, mit wem man sich über was unterhält und was man so liest, sieht und hört. Man sagt so schön, wer sich nichts zu schulden kommen lässt, braucht nichts zu befürchten. Doch wer entscheidet darüber, was schuldhaft ist? Und bedenken Sie, dass jedes Bit und Byte ersetzbar und manipulierbar ist. Wissen ist Macht. Wer also alles über andere weiß, hat Macht. Die Verführung, diese Macht zu missbrauchen ist höher, als sich davor zu schützen. Auch wenn die geheimen Nachbarn keinen Lärm machen, nicht anklopfen und stören – sie sind immer da. Zum Schutz, wie uns so beteuernd versichert wird. Und wieder muss eine Frage gestellt werden: Wer entscheidet darüber, wer oder was geschützt werden muss? Die netten unsichtbaren Nachbarn sammeln alles über Sie. Ganz sicher werden sie das Wissen niemals gegen Sie einsetzen. Sind Sie sich da auch ganz sicher? Wer Bescheid weiß, dass sich eine wachsende Anzahl lieber Nachbarn etwas anderes wünschen als die Realität zeigt; und wenn jemand Macht hat, kann er die Regeln so ändern, dass die lieben Nachbarn vielleicht plötzlich nicht mehr so lieb sind, weil es die neuen Regeln so verheißen. Seien sie also auf der Hut vor den stillen Nachbarn, die Sie ständig begleiten. Denken Sie darüber nach, was Sie den Nachbarschafts-Apparaten anvertrauen. Denn die lieben Nachbarn passen gut auf Sie auf. Thomas Wischnewski