Wirtschaftswissenschaftler, Finanzexperten und Politiker jonglieren mit Geldbeträgen wie Magier. Einige Menschen haben viel Geld, die meisten nie genug und immer hat es ein anderer. Über illusionäre Milliardenzauberei.
Von Thomas Wischnewski
Die Komplexität der Welt ist in einem menschlichen Geist nicht zu fassen. Warum schafft es die Menschheit, sich dennoch immer neue Gordische Knoten zu binden, deren Entwirrung dann unmöglich wird? Die Finanzkrise Griechenlands wirft eine Zahlenflut und ein Argument-Labyrinth mit gegenseitigen Schuldzuweisungen auf, die kaum die Ursachen des Problems sichtbar machen, sondern diese nur weiter in den Nebel treiben. Jetzt, da das südeuropäische Land pleite ist, steigt das Interesse für die Berichterstattung deshalb, weil es schließlich um das liebe Geld geht, das allem Anschein nach alles bestimmt, an dem Menschenleben und jedes menschliche Handeln gemessen werden. Zugleich wächst hierzulande die Angst, die eigenen Vermögenswerte könnten dadurch in Misskredit geraten.
Im Grunde muss man sich für alle finanziellen Gegebenheiten in der Welt das Phänomen Geld begreifbar machen. Nun existieren dafür ganze Wissenschaftszweige und Expertenmeinungen, die in ihren Überlegungen gleichsam zum Fazit kommen, dass man das weltweite Finanzsystem in seinen heutigen Auswüchsen nicht endlos weiterbetreiben kann und ein Zusammenbrechen unabwendbar sei. Warum halten wir also wider besseren Wissens an diesen Mechanismen fest und glauben, dass sich alles irgendwie zum Guten wenden würde?
Bekanntlich wurde Geld einst als universelles Tauschmittel installiert, zunächst in Form von Münzen. Später ging der Weg über Wechsel und Kassenanweisungen zum Papiergeld. Heute werden diese Scheine wie ein realer Wert entsprechend ihres angegebenen Aufdruckes als Tauschmittel eingesetzt. Allerdings ist die tatsächlich existente Bargeldmenge nur ein Bruchteil dessen, was wir heute alles als Geld begreifen. So gehören auch die auf dem Kontoausdruck angegebenen Zahlenfolgen dazu. Es sind die Beträge, die wir im Alltag zum Kauf einsetzen, die dem Geld eine unmittelbare Vorstellung von Wert vermitteln. Im Moment des Tausches von Geld gegen Waren oder Dienstleistungen erhält es den Eindruck eines realen Mittels. Doch was verbirgt sich hinter den Abermilliarden Währungswerten, die durch Staats-, Bank- und Börsentransaktionen getätigt werden, mit denen eben selten konkrete Produkte und Leistungen verknüpft sind?
Es wäre vermessen, zu behaupten, man könne an dieser Stelle die komplexen Finanzmechanismen umfassend erklären. Vielleicht tragen jedoch ein paar vereinfachte Darstellungen dazu bei, die übermächtigen Zahlenspielereien des Finanzsektors verständlich zu machen. Viele Menschen leben offensichtlich in der Vorstellung fort, dass die gesamte Geldmenge – Bar- und Kontengeld – irgendwie durch reale Vermögenswerte gedeckt seien. Blickt man jedoch auf die derzeitige, gesetzlich vorgeschriebene Mindestkapitalquote einer Bank, die in Deutschland bei 6 Prozent liegt, weiß man, dass die kreditgebende Bank für die Ausgabe eines Kredites in Höhe von 1.000 Euro nur 60 Euro Eigenkapital vorweisen muss. Schon daran wird deutlich, dass die ausgereichten Geldmengen der Kreditinstitute nie durch vorhandenes Kapital gesichert sind. Geld ist – vereinfacht gesagt – in dem Moment entstanden, wenn die Bank einen verfügbaren Betrag auf dem Konto eines Kreditnehmers ausweist. Kredite sind quasi einerseits die Versprechungen des Schuldners, den geliehenen Betrag in einer gewissen Zeit zurückzuzahlen, und andererseits die Erwartung des Gläubigers, dass der Schuldner sein Versprechen einlöst. Zum Zeitpunkt der Vereinbarung wird der gewährte Geldbetrag mit dem aktuellen Wert der avisierten Waren und Dienstleistungen bemessen.
Der Begriff Gläubiger zeigt schon die Wertigkeit der gesamten Transaktion. Sie basiert darauf, dass einer dem anderen glaubt. Vertrackt ist nur, dass die nun erzeugte Geldmenge mit Zinsen belegt wird. Der Schuldner verpflichtet sich ergo nicht nur den Kreditbetrag zurückzuzahlen, sondern obendrauf noch die vereinbarten Zinsen. Da jedoch schon die zur Verfügung gestellte Geldmenge bis dato gar nicht existent war, muss die Frage lauten: Wie entsteht die Geldmenge für die zusätzlich zu zahlenden Zinsen. Die Antwort ist einfach. Da die Gelderzeugung permanent erfolgt, werden Zinsen ständig durch „nachwachsendes“, also „erfundenes“ Geld beglichen. Jedem mathematisch einigermaßen gebildeten Mensch wird deutlich, dass sich der Wert einer stets wachsenden, erzeugten Geldmenge vom Gegenwert realer Produkte und Leistungen entfernen muss. Unter diesem Prozess sind die andauernden Predigten nach mehr Wachstum zu sehen. Einzig der magische Motor der Geldvermehrung und Zinserfindung zwingt uns derart selbstzerstörerisch mit den Ressourcen der Erde umzugehen.
Klar wird jedem klugen Menschen auch, dass aufgrund des Auseinanderdriftens von Geldmenge und realem Wirtschaften kein Wert auf einer stabilen Messlatte zu halten ist. Alle fortwährenden Preissteigerungen und auch der Wertverfall von immobilen oder mobilen Waren hängen in diesem System wie Variablen eines variablen Glaubens, dass Versprechen und Erwartungen für etwas eingelöst werden könnten, was sich selbst nicht festhalten lässt. Deshalb ist es auch unabwendbar, ja sogar notwendig, dass innerhalb der Geldwirtschaft Kreditversprechen scheitern müssen. Da niemals aus der vorhandenen, erzeugten Geldmenge (hierbei ist die virtuelle Geldmenge gemeint) alle Schulden plus Zinsen zurückgezahlt werden können, muss genau in dem Moment jemand scheitern, der im System nicht mit neuem Geld versorgt wird. Genau das ist Griechenland nun passiert.
Fatal ist an der Situation, dass alle mit dem Finger auf die Griechen zeigen, ohne die Wirkmechanismen und die eigene Verantwortung zu benennen. Mit mathematischen Geldscheinwelten kulturellen Eigenheiten, Traditionen und Werten gerecht zu werden, könnte man – wenn es nicht so ernst wäre – als Taschenspielertricks bezeichnen. Man muss nur seine engsten Freunde betrachten und weiß sofort, wie unterschiedlich jeder davon persönliche Werte setzt und lebt, dass jeder Geld für eine andere Leidenschaft ausgibt und selbst die Höhe des dafür eingesetzten Betrages ist individuell. Und nun versuchen wir – übrigens nicht nur mit den Griechen – Wertmaßstäbe über Geldmengen zu vergleichen, die niemals vergleichbar sind. Die gesamte Entwicklung auf eine Fehlerzuweisung zu reduzieren, wird dem Geschehen nicht gerecht.
Im Grunde sind Kredite – also erzeugte Geldmengen – nichts anderes als eine Hoffnung, dass in der Zukunft eine Anzahl an Produkten und Leistungen entstehen würden, die dem Wertmaßstab zum Zeitpunkt der Kreditgewährung entsprechen. Wie jeder weiß, wird die Zukunft selten so, wie man sie sich denkt. Daraus resultiert: Erwartungen werden enttäuscht und Versprechen nicht eingelöst. Böse und schuldig sind natürlich stets nur jene, die den Erwartungen der Mehrheit nicht gerecht werden.
Werfen wir einen Blick auf Deutschland. Die Bundesregierung will einen ausgeglichenen Haushalt vorweisen. Es darf nicht mehr Geld ausgegeben werden, als durch Steuern eingenommen wird. Natürlich klingt das Vorhaben für jeden nur allzu logisch. In der Finanzlogik bedeutet dies allerdings, dass wir keine Erwartungen mehr haben, dass künftig etwas Neues erzeugt werden würde. Nun tragen wir bereits zwei Billionen Euro Schulden vor uns her. Das heißt wir haben derart hoch und schnell in eine Zukunft an Leistungskraft und Warenproduktion investiert, für die bis heute gar kein angemessener Gegenwert erzeugt wurde, jedenfalls nicht im Maßstab der „vorhandenen“ virtuellen Geldmenge. Sachsen-Anhalt hat dasselbe Signal gegeben.
Politiker verkaufen dieses Wirtschaften als alternativlos und solide. Nach Maßgabe eines Menschen mit begrenzten Einkommensmöglichkeiten sind die Argumente natürlich mehr als einleuchtend. In der vorherrschenden Finanzarithmetik ist dies eher ein Bekenntnis für Hoffnungslosigkeit. Unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklungswahrscheinlichkeit vielleicht sogar folgerichtig, weil ein in Anzahl schwindendes Volk nicht unablässig mehr hervorbringen kann. Letztlich sind dies alles gedankliche Spekulationen über eben nicht definierbare Werte. Und dennoch kommen wir in unserem Verständnis nicht davon los, genau diese Hypothesen mit Geldmaßstäben zu bemessen.
An dieser Stelle wurden hilfsweise nur Finanzmechanismen skizziert und theoretisiert, wie sie uns im gesellschaftlichen und staatlichen Agieren begegnen. Die Auswüchse an den Kapitalmärkten, an denen Geld unter der reinen Idee gehandelt wird, dass daraus noch mehr Geld geschöpft werden kann, zeigt, wie absurd sich die Menschheit an die Geldschöpfungsmagie klammert. Das Messen des gesamten Lebens an Geldwerten ist derart pervertiert, dass wir uns untereinander aufgrund von mehr oder weniger Geldbesitz als besser oder schlechter betrachten. Das Heilen für Krankheiten und Unterstützung für Hilfsbedürftige an Geld gekoppelt sind. Im Grunde weiß jeder aufgeklärte Mensch, dass dies schwachsinnig ist und trotzdem nehmen wir die Erklärungen, was im Leben gehen sollte und was nicht, unter politischen Verkündungen widerspruchslos hin.
Schon vor Jahren bejammerte die Deutsche Nation einen verstärkten „Arbeitsplatzexport“ nach Asien. Günstigere Produktionsbedingungen ließen China und Indien zu den Werkbänken der einstigen Industriestaaten werden. Letztlich hat sich selbst jeder Kritiker an dieser Entwicklung beteiligt, wenn er hoffnungsvoll Geld bei der Bank anlegte, um daraus Zinsgewinne zu erhalten. Dieser arbeitsfreie „Zusatzlohn“ war ein Ergebnis für investiertes Kapital in Fernost.
Die wundersame Geldvermehrung ist der scheinheilige Zauber des Technologie- und Kommunikationszeitalters. In Sekundenbruchteilen werden Beträge durch Datenleitungen gejagt, für die es kein reales Äquivalent gibt. Broker, Investoren, Finanzjongleure drehen am wundersamen Geldglücksrad wie bei einer Lotterieausspielung. Jeder lebt in der Hoffnung, ein Gewinner zu sein. Verlierer werden unter der Illusion, gewinnen zu können, verdrängt.
Was kann man tun bzw. wie soll man mit dem Magiephänomen Geld umgehen? Solange eine Mehrheit dem System glaubt und mitspielt, wird sich nichts ändern. Man braucht also eine gesunde Portion Gelassenheit sowie eine kritische Sicht darauf, wie uns der Wert des Lebens in Zahlenkolonnen aufgerechnet wird. Und vor allem sollte man wenigstens den Wert des eigenen Lebens und die persönlich bedeutsamen Momente nicht unter das Diktat eines Geldwertes stellen. Im Kleinen begreifen wird das leicht. Warum geht das nicht mit Blick auf ein ganzes Volk. Den einseitigen Schimpftiraden in Richtung Griechenland sei gesagt, dass sie Beträge zurückfordern, die sie selbst nie hatten, die weder erwirtschaftet noch irgendwo gebunkert waren. Sie wurden einzig im Rahmen einer „Kreditvergabe“ erfunden.