Zu: „Schule – vom Gestern ins Heute und wohin?; MAGDEBURG KOMPAKT, Nr. 51, 1. Juli-Ausgabe 2015
Seit einigen Jahrzehnten leidet unser Bildungssystem und bringt keine Elite mehr hervor, die Impulse für die eigene Nation, geschweige denn für die Welt setzt. Woran liegt das?
In Deutschland gibt es seit etwa 1600 Schulpflicht. Diese sollte anfangs zur Bildung führen. Heute ist das NICHT mehr der Plan. Der postmoderne Staat ist nicht an gebildeten Bürgern interessiert, sondern an funktionierenden.
Daß es in Magdeburg 69 Schulen mit verschiedenen Bezeichnungen gibt, kann als Buntheit gedeutet werden. Buntheit wäre gegeben, wenn es eine Schule für die Mohammedaner, eine für die Nationalkonservativen, eine für die Verhaltensauffälligen…, schließlich viele überparteilich-öffentliche Schulen gäbe. Allerdings aber schlägt das Fatum des linksliberalen Zeitgeistes bei allen Schulen durch, heißen die geistigen Väter nun Waldorf, Humboldt oder Weißnichtwie. Jede einst selbständig existierende Idee wird vom Zeitgeist versaftet. Waldorfkindern wird der Steinersche Grundgedanke einer heute als Esoterik diffamierten Anschauung der Dinge in der GESAMTHEIT genauso genommen, wie Humboldts Elitenbildung auf griechischer Grundlegung (altgriechisch lernen!) auf dem Altar der Nützlichkeit geopfert wird.
Die Mißstände sind erkannt. Die Politik reagiert: 500 Millionen Euro will Ostfalen in den nächsten sieben Jahren investieren. Nicht eben viel, zumal Hamburg 400 Millionen nur für 2014 locker machen konnte. Aber: immerhin! Doch das meiste Geld fließt in die energetische Sanierung der Schulgebäude, also in die Bauindustrie. Unter dem fadenscheinigen Grund, Schulen der Wirtschaft schon als Schule öffnen zu müssen – euphemistisch „dem Leben“ – werden in die Schulen Werkstätten gebaut, Computer und Superanzeigetafeln installiert und technische Ausrüstungsgegenstände herangeschafft, die bei geringer Halbwertzeit kaum oder wenig pädagogischen Nutzen bringen und zudem die Differenz Schule-Wirtschaft aushebeln. Würde durch bessere Gebäude die Lernbereitschaft bei den Kiddies wachsen? Kaum. Das aber ist der Plan. Marxismus: Quantität der Mittel schlägt in Qualität bei den Benutzern um. Ein Irrweg. Ein teurer.
Der richtige Weg ist, den Kindern VIELE Welten öffnen und nicht die Welt in die Schule holen wollen, was letztlich nur bedeutet, daß die Kinder in der Schule die Art Welt kennenlernen, die den Lehrkräften vorschwebt, die jede Ausbildung am Computer, Mikroskop oder in einer KfZ-Werkstatt theoretisch begleiten, also Praxis verschulen. Kauderwelschpädagogik. Besser aber ist es, die Kinder in der Schule NICHT nur das lernen zu lassen, dessen sie oder ihre übereifrigen Eltern später unbedingt zu bedürfen glauben. Woher sollen sie es auch wissen, was sie später mal brauchen können? Sie sind ja eben deshalb Kinder, weil sie es nicht wissen müssen. Zugleich aber muß es ein integraler Bestandteil der Schulzeit sein, Praktika in außerschulischen Lebensbereichen zu organisieren, mal einzeln (in KfZ-Werkstäten, Labors, Büros…), mal im Klassenverband (Apfelernte, Spargelzeit, Altenheime…) – fakultative und obligatorische Angebote. Das klingt nach Zwang und stößt Linksliberalen sicherlich sauer auf. Bleiben wir bei Zwangsvorstellungen:
Der Herausgeber dieser Zeitung glaubt (siehe MD Kompakt 07/2015, S. 11), daß es einen Gegensatz zwischen preußischer Erziehungsanstalt und einer transzendenten demokratischen Schule gebe und bestimmt diesen mutmaßlichen Gegensatz als Grund für das Tauziehen verschiedener Bildungskonzepte. Das ist natürlich großer Bockmist. Vielleicht dachte er an „Mädchen in Uniform“ (weibliche Elitenbildung) oder an die „Heiden von Kummerow“ (Volksschule) oder gar an die Universität Halle an der Saale (Beamtenausbildung)? Es gab nirgendwo bessere Schulkonzepte als in Preußen. Schließlich ist auch Humboldts Litauischer Schulplan eine preußische Erfindung, die erst Preußen, dann Deutschland zur Weltspitze in puncto Bildung führte, ganz ohne Privatschulanteil, den es dagegen in den Konkurrenzländern zuhauf gab. Auch der Reformgedanke konnte seinerzeit im Reich verwirklicht werden – Reformansätze sind kein Alleinstellungsmerkmal demokratischer Systeme -, denn die Reichsverfassung von 1867/71 garantierte jedem Lehrer das Recht, frei das zu unterrichten, was er eben für richtig hielt. Ein Lehrer war Beamter; ein Absolvent (Assessor) besaß das Recht auf eine Stelle. Wie geringer sind die Rechte heute! Heute wird dem einfach damit ein Riegel vorgeschoben, daß jemand, der Abschlüsse attestieren darf, zuerst einmal Direktor einer Lehreinrichtung gewesen sein muß. Zudem werden etliche Lehrer zuviel ausgebildet. Zugleich wird Lehrermangel beklagt. Lächerlich, wenn man weiß, daß im letzten Jahr ein Absolvent mit einem Staatsexamen von 1,4 keineswegs die Stelle bekommen konnte, die er haben wollte.
Die Antinomie zur preußischen Erziehungsanstalt soll die transzendente demokratische Schule sein! Das ist die Form der Schule, in der die Schüler darüber mitbestimmen, wer welche Note bekommt, wenn es überhaupt Bewertungen gibt, wer versetzt wird und ob heute unterrichtet oder baden gegangen wird. Transzendenz bedeutet Erkenntnis VOR ALLER Erfahrung. Demokratie bedeutet die Herrschaft des Volkes. Schule bedeutet Anleitung zum Unglücklichsein. Oder so. Eine transzendente demokratische Schule ist also eine Einrichtung, die davon ausgeht, daß der Zögling bereits VOR Betreten der Einrichtung alles bestens weiß und in den Prozeß der allgemeinen Willensbildung gleichberechtigt mit den Lehrkräften befragt werden kann. Am Ende wird der Lehrer benotet und aus der brennenden Schule verjagt. Es war schließlich Walpurgisnacht! – Vielleicht meinte Wischnewski aber auch nur Transparenz. Das würde bedeuten, daß die Eltern den Lehrern mitteilen, wie sie benoten, was sie behandeln sollen oder auch, wer die Schule verlassen muß, weil er nicht hineinpaßt.
Springende Punkte: Bezahlung und Persönlichkeit des Lehrers. Besitzt der keine, kann die schönste Unterrichtsform langweilig sein. Besitzt er sie, kann Frontalunterricht nicht nur interessant, sondern v.a. lehrreich sein. Das vom Staat ausgegebene Geld für die Ausbildung der Kinder fließt löwenanteilig in die Wirtschaft, die die Schulgebäude ausstaffiert und zu kleinen Palästen macht. Zugleich winkt der Staat Privatschulanträge durch, die kein den Bildungssektor ergänzendes pädagogisches Konzept besitzen, dafür aber mit 70-80 Prozent der üblichen Gehälter auskommen, dem Staat also Geld sparen. Wegen des Überangebots an zu oft nur oberflächlich ausgebildeten Lehrern gehen die an die schlechter bezahlten Fastfoodverbildungseinrichtungen, arbeiten jahrelang für einen Appel und ein Ei und haben selbst bei persönlicher Weiterentwicklung nur geringe Chancen, eine vollbezahlte Stelle zu ergattern. Liberalisierung des Bildungssektors. Die Pest.
Zum Schluß: Unser Bildungssystem ist schlecht. Keine Klarheit, keine Struktur. Es herrschen Zwang, Scheuklappendenken und Oberflächlichkeit vor, die durch den Ausruf, daß die Schule das Leben lehren soll, kompensiert wird, am Ende aber nur halbgare Abiturienten ausspuckt, die vieles sehr oberflächlich wissen und gelernt haben: wie sie ein Muster X anwenden müssen, um von Lehrer Y die und die Punkte/Abschlüsse zu bekommen.
Es ist zu raten, daß man das energetische Ausbaugedöns für die Schulgebäude zugunsten einer Besserbezahlung der Lehrer aufgibt, zugleich den Fokus auf Bildung und nicht Faktenvermittlung lenkt und schließlich den Schulen nicht nur mehr Freiheit bei der Anstellung von Lehrkräften, sondern auch Lehrfreiheit konzediert.
Robert-Christian Knorr, Magdeburg
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