Lügen, Täuschen, verdrehen, vergessen oder verdrängen – alles Begriffe, die von der eigentlichen Wahrheit wegführen oder sie gar verändern. Um einem Täter eine Straftat nachzuweisen, müssen Tatsachen mittels Sachbeweisen oder Zeugenaussagen zusammengetragen werden. Es geht um die eindeutige Identifizierung eines Täters. Das ist oft gar nicht so einfach, weil weder Polizei noch das später beurteilende Gericht die Straftat selbst erlebt haben.
Liegen keine oder keine hinreichenden Sachbeweise vor, muss man sich möglicherweise auf Zeugenaussagen verlassen, so lange der Täter kein umfassendes Geständnis ablegt. Doch nicht nur Täter sagen vor Gericht nicht immer die Wahrheit. Auch Zeugen fabulieren viel zwischen Dichtung und Wahrheit.
Dabei müssen die Aussagen noch nicht einmal vorsätzlich falsch sein. Viele zeugenschaftlichen Einlassungen vor Gericht oder während einer polizeilichen Vernehmung sind durch Wahrnehmungsdefizite gefärbt. Man kennt solche starken Sätze wie: Ich habe es genau gesehen… Ich war doch dabei … Trotzdem können zwei Menschen am selben Ort ganz andere Beobachtungen gemacht haben. Wir können uns nie sicher sein, ob jeder dieselbe Farbe gesehen hat. Und man muss stets wissen, dass unser Hirn in der Lage ist – oft gar nicht anders kann –, jede Erinnerungslücke selbstständig auszukleiden. Was wir erinnern, ist häufiger eine Illusion als wir denken. Stehen dann vor einem Richter im ungünstigsten Falle mehrere Beteiligte und alle beschreiben ein Geschehen anders, steckt jedes Gericht in einem großen Dilemma.
Der Wahrheit versucht man sich dann meistens mit der Annahme über die Glaubwürdigkeit der Aussagen zu nähern. Doch der Glaubwürdigkeit eines Zeugen auf die Spur zu kommen, ist eine extrem vage Prognose. Gerichte dürfen es sich nicht so einfach machen, wie es häufig unter dem Urteil der Volksmeinung geschieht. Da steht ein Angeklagter vor Gericht und die Allgemeinheit möchte ihm schnell die Schuld für eine schreckliche Tat aufladen. Der Groll ist groß und von überallher schreit es nach Sühne. Bleibt eine Tat jedoch nicht eineindeutig nachweisbar und ein Gericht kommt aufgrund weniger Indizien und einigen Zeugenaussagen, die vielleicht nicht hundertprozentig glaubwürdig erscheinen, zu einem relativ milden Urteil, dann werden Richter in der Öffentlichkeit scharf kritisiert und der Rechtsstaat wird infrage gestellt. Es gibt jedoch Instanzen und Einrichtungen, die Dichtung und Wahrheit viel häufiger unter die Lupe nehmen – und das sogar, ohne dass ein Betroffener davon weiß.
Geheimdienste nutzen bereits seit den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts ein Stimmanalyseverfahren, mit dem man hohe Wahrscheinlichkeitsaussagen über wahre oder unwahre Aussagen machen kann. Der amerikanische Dienst CIA nutzt das Stimmanalyseverfahren wahrscheinlich schon seit Ende der 70er Jahre. Gemessen werden dabei nicht hörbare Frequenzen der Stimmlippen, die Rückschlüsse auf einen inneren Erregungszustand zulassen. Dieser Ausschlag wird am Diagramm selbst dann sichtbar, wenn man sich gelassen und selbstbewusst geben möchte, sich also bewusst verstellt bzw. trainiert hat, sich zu verstellen. Der innere Erregungszustand kann nicht verborgen werden. Deshalb können aus dem Zusammenhang der geäußerten Aussagen hohe Wahrscheinlichkeiten für die Glaubwürdigkeit des Betreffenden abgeleitet werden.
Die modernen technischen Möglichkeiten lassen solche Messungen heute schon während eines Telefonats zu. Möglicherweise können solche Technologien irgendwann auch für Unternehmen oder für private Zwecke nutzbar sein. Man könnte theoretisch einen Partner schon mit einer entsprechenden App auf dem Smartphone bei einer Lüge überführen. Man darf sich jedenfalls ziemlich sicher sein, dass heute jeder Geheimdienst, auch die deutschen diese Glaubwürdigkeitsüberprüfungen verwendet. Im Übrigen werden die Aussagen sogar verlässlicher eingestuft als die Ergebnisse eines klassichen Lügendetektors.
Der deutschen Justiz bleibt der Einsatz solcher Mittel immer noch verwehrt. Zur Beweisführung dürfen sie nicht verwendet werden. Bei der Aufklärung von Kapitalverbrechen oder besonders scheußlichen Gewaltverbrechen, bei denen keine ausreichenden Sachbeweise vorgelegt werden können, hätte der Einsatz dieser Technik sicher Potenzial, um Täter- und Zeugenaussagen stichhaltiger überprüfen zu können. So lange solche Verfahren jedoch nicht genutzt werden können, wird vor Gericht ganz sicher weiter gelogen, dass sich die Balken biegen. Nur biegen sie sich eben nicht.
(tw)