Wo steht Sachsen-Anhalt? Regierungschef Reiner Haseloff will ein dynamisches Land zeigen, ohne selbst Visionär zu sein.
Von Thomas Wischnewski
Hoffnung, Zuversicht und Visionen – solche Worte tragen Menschen in die Zukunft. Offenbar glauben Politiker, die Bedeutung dieser Vokabeln mit dem Verbreiten netter Floskeln erfüllen zu können.
Wie sonst ist die Häufung so inhaltsarmer Redewendungen wie „Wir sind auf einem guten Weg …“, „Wir haben viel erreicht …“ oder auch „Wir packen es an…“ zu erklären. Um das Licht im Anschein bester Entwicklungen zu zeigen, werden Euro-Summen und Zahlenkolonnen aneinandergereiht. Aus dem Zusammenhang gerissen, mögen sie gigantisch klingen und den Eindruck erwecken, die Regierung bewege Kolossales. So möchte man das Heimatland Sachsen-Anhalt als Perspektivregion begreifen und die Früchte aus dem Schaffen der meisten Bürger in guten Händen wissen, die den Ertrag gewinnbringend investieren. Doch sprechen Vergleichsdaten mit anderen Bundesländern oft eine Sprache, in der Mut und Optimismus unter Lethargie und Ideenlosigkeit erdrückt werden.
Als die Zeitschrift „Stern“ Mitte Juli die Ergebnisse einer Forsa-Umfrage zur Zufriedenheit mit den Ministerpräsidenten aller 16 Bundesländer veröffentlichte, reichten die Werte für Sachsen-Anhalts Landesvater Dr. Reiner Haseloff nur für den letzten Platz. Im „Stern“ lautete das Fazit zu Haseloff: „Seine Werte sind generell desaströs.“ 54 Prozent der Befragten sind mit der Arbeit des sachsen-anhaltischen Regierungschefs nicht zufrieden. Nur 38 Prozent gaben „zufrieden“ an. Kein Spitzenpolitiker eines anderen Landes sank unter die Marke von 40 Prozent. Kann ein Mensch, der für beherztes Handeln und kühne Entschlüsse stehen sollte, mit solchen Umfrage-Werten auf der Kapitänsbrücke stehen und das Ruder halten?
Der CDU-Landesverband sagt Ja. Die Partei hat Reiner Haseloff erneut zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl am 13. März 2016 gekürt. Kontinuität geht vor Wagnis. Dies könnte auch als Fazit für den politischen Kurs der Magdeburger Staatskanzlei herhalten. Auf der nationalen Bühne spielt das politische Spitzenpersonal aus dem Lutherland kaum eine Rolle. Ideen und kluge Einwürfe, die eine Debatte um ein Fortkommen der deutschen Gesellschaft bereichern, dringen einfach nirgends durch. Steckt dahinter das Motto „der Klügere gibt nach“ oder ist dies eher ein Indiz für schwache Führungseliten? Vorausgesetzt der Begriff Eliten ist hierbei überhaupt angemessen.
Ein paar Fakten: Auf der Guthabenseite Sachsen-Anhalts findet man Spitzenwerte innerhalb dynamischer Entwicklungen. So billigte man dem Land von 2008 bis 2011 einen zweiten Platz bei der Steigerung des verfügbaren Einkommens zu. Der direkte Einkommensvergleich in absoluten Zahlen zeigt jedoch, dass man in Sachsen-Anhalt den letzten Rang belegt. Wo wenig ist, kann etwas wachsen, möchte man sagen. Das Jobportal Stepstone untersuchte, wie hoch die Bruttogehälter in den deutschen Bundesländern sind. Platz 16 geht an Sachsen-Anhalt. Im Durchschnitt verdient man hier 38.309 Euro im Jahr. In Mecklenburg-Vorpommern beläuft sich der durchschnittliche Jahresverdienst auf 39.377 Euro. Übrigens sind es im Nachbarland Niedersachsen gut 10.000 Euro pro Jahr mehr. Auch die Arbeitslosenquote zeigt eine dynamische Tendenz. Von 2008 bis 2011 sank die Quote um 2,3 Prozent. Das reichte für einen zweiten Platz im Dynamik-Ranking. Nur relativiert sich dieser zweite Platz in absoluten Zahlen: Mit 9,8 Prozent (Stand Juni 2015) bleibt man hierzulande nur Vorletzter vor Berlin (10,5 Prozent).
Die Exportquote beträgt in Sachsen-Anhalt 27,8 Prozent. Vorletzter Platz vor Hamburg. Einen echten Spitzenplatz nimmt die Region zwischen Salzwedel und Zeitz im Bereich der öffentlichen Beschäftigten ein. Allerdings von unten gesehen. Auf 1.000 Einwohner kommen statistisch 34,4 Mitarbeiter im öffentlichen Dienst. In Berlin sind es 32,2 Beschäftigte auf 1.000 Einwohner.
Ein Blick auf die Hochschullandschaft macht ebenfalls wenig Hoffnung. Im Universitätenvergleich der Bundesländer reicht der Index für den Forschungssektor leider nur für den letzten Platz. Im vorderen Feld befindet sich das Land nur bei der Studiendauer. Böse Zungen könnten jetzt interpretieren, das liege daran, weil die Studenten hier schnell wieder weg wollen. Leider ließe sich die Liste der unteren Platzierungen fortsetzen: Schulabgänger ohne Abschluss 12,3 Prozent (vorletzter Platz), Steuerkraft 1.055 Euro je Einwohner (Platz 14), Hartz-IV-Quote 10,1 Fälle auf 100 Einwohner (Platz 14/ Mecklenburg-Vorpommern 9,7 Betroffene auf 100 Einwohner). Wenigstens auf einen ersten Platz bei der Zahl der Einwohnerverluste kann Sachsen-Anhalt verweisen. Ermutigend ist die Tatsache nicht.
Nun darf das Leben landauf, landab nicht nur schwarz gemalt werden. Insofern mag man gut gemeinte Heilsbotschaften aus Mündern hiesiger Regierungsvertreter verstehen. Doch helfen sie wenig zur Überwindung. Potjomkinsche Dörfer halfen schon in der Geschichte nicht. Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit sind als Fundament für das Formulieren von Aufgaben und Vorhaben allemal besser als die Schönfärberei politischer Akteure. Illusionen finden langfristig kaum Anhänger.
Ein Land wie Sachsen-Anhalt unter den gegebenen Bedingungen zu entwickeln und die aktiven Menschen mit Ansporn zu füttern, mag ein kompliziertes Unterfangen sein. Wenn jedoch an der Spitze aufgehübschte Argumente vor kritischer Reflexion kommen, muss sich niemand wundern, dass sich eine wachsende Bürgerschar von Verantwortungsvertretern nicht vertreten fühlt. Im Gedächtnis der Gesellschaft hinterlässt die Regierungsklientel Spuren. Das Umfrageergebnis für Reiner Haseloff wird darin einen Erklärungsansatz finden. Die Fakten bleiben nämlich die Fakten, egal wie rosarot sie verbal eingefärbt werden.
Außerdem weben sich auch die charakterlichen Züge eines Menschen in die allgemeine Wahrnehmung. Wenn konträre Meinungen nicht zum gesunden Streit, sondern zu Vertreibung bzw. Entlassung führen, offenbart sich dadurch kein Bild einer starken, selbstbewussten Führungspersönlichkeit. Der Rauswurf der einstigen Wirtschafts- und Wissenschaftsministerin, Prof. Birgitta Wolff, könnte unter solcher charakterlicher Vermutung wie eine infantile Reaktion gewertet werden. Vor allem deshalb, weil der ziemlich farblose Nachfolger Hartmut Möllring anscheinend nicht als Aktzentsetzer auffallen darf.
Wer Entschlossenheit in einer Sache zeigt und sich kämpferisch auf einem Weg gibt, wird als Zugpferd wahrgenommen und kann in den meisten Fällen andere begeistern und mitziehen. Wenn jedoch Entschlossenheit mit Jähzorn und die Vertreibung von Mitstreitern mit Courage verwechselt wird, muss Hochmut als Motiv vermutet werden. Und es scheint kein Einzelfall in den Regierungszimmern der Staatskanzlei zu sein, dass sachliche Kritiker oder in bester Absicht handelnde Ratgeber persönlich abgewatscht, versetzt oder klein gehalten wurden. Ähnliche Züge hört man ab und an auch aus der Machtzentrale des Finanzministers Jens Bullerjahn. Letzterer hat über die vergangenen sieben Jahre derart viele Kompetenzen und Entscheidungsansprüche an sich gezogen, dass andere Ressortleiter ein wenig wie willfährige Marionetten wirken.
So bitter die Zahlen sein mögen und so traurig die Interpretationen über die Persönlichkeiten in den Schaltstellen ausfallen, die eigentliche Misere besteht darin, dass echte Eliten als Nachwuchstalente in der Politik kaum sichtbar werden. Haseloff und Bullerjahn – das Führungsduo von CDU und SPD – wollen beide die erste Geige spielen und zugleich dirigieren. Das verbietet sich in jedem Orchester. Wenn dann bei Auftritten im kleinen oder großen Kreis noch falsche Töne ins Spiel kommen, sollte man einen Besetzungsfehler vermuten. Dissonanzen beim Aufführen wirtschaftlicher oder sozialer Kennziffern, bei der Rekrutierung von Führungspersonal oder beim Versuch, Misslichkeiten zu überspielen, eignen sich trefflich, das Land im Akkord an letzte Plätze zu notieren. Den Takt gab der Ministerpräsident am 10. Juli zum CDU-Sommerfest vor seinen Parteifreunden an. Es gelte Rot-Rot-Grün zu verhindern. SPD-Spitzenkandidatin Katrin Budde führt mit dieser Präferenz einen Abgrenzungswahlkampf zum großen Koalitionspartner. Solche Verhältnisse hätten Sachsen-Anhalt schon einmal geschadet. Was hat dem Land wirklich geholfen, muss gefragt werden? Ein Therapeut zeigt dem Patienten den Weg aus der Krise. Wenn der jedoch keinen wirksamen Rat weiß, verliert sich jede Hoffnung.