Abendlandschaft

schumannIch bin ein langsamer Leser. „Pferdefuß, der alte Teufel, hatte verpasst, sich beizeiten um einen Nachfolger zu kümmern. Das ihm gegebene Jahrtausend lief ab, und ihm machte eine beträchtliche Menge Kalk im Kopf zu schaffen. Er war in jeder Hinsicht steril.“ Mit diesen Sätzen begann der Hallenser Autor Dieter Mucke sein satirisches Märchen „Die Sorgen des Teufels“, erschienen im gleichnamigen Buch des Eulenspiegel-Verlages im Jahre 1979 und im Sammelband „Der Sänger im Schnee“ 2011 in der Edition Cornelius. Da geht der Teufel auf Brautschau und trifft die Sudelhexe, die ihm zum Verhängnis wird.
Muckes fantastische Geschichten bereiten einen geradezu göttlichen Spaß, zumal dann, wenn man sie zu entschlüsseln versucht, wobei jede Generation ihren eigenen Code zur Entschlüsselung gebrauchen kann. Die Geschichten haben sich über die Zeiten frisch gehalten. Selbiges gilt auch für die Gedichte, beispielsweise den 1983 erschienenen Band „Kammwanderung“; Liest sich das folgende Gedicht nicht, als wäre es am Wahlsonntag-Abend entstanden?

Stimmen
Seid friedlich
Die Kunst wird niedlich.

Es lebe die leichte Muse
Die schmierige alte Suse.

Wo wir uns finden
Wohl unter Tinten.

Der Amtsschimmel wiehert
Dass den Pegasus friert.

Die Spießer gedeihen
Wie die Morcheln im Maien.

Dieter Mucke war ein Dichter, dessen lästerliches Schreibwerk mir die DDR wohnlicher gemacht hat, eines Landes, das auch er als unwohnlich empfand. Dreimal wurde er zum Studienabbruch gezwungen. Dabei gehörte er zu denen, die, als Ernst Bloch noch in Leipzig seine Vorlesungen hielt, von der konkreten Utopie träumte, einer Utopie, die die Gesellschaft angetreten ist zu verwirklichen. Später fanden Mucke und viele andere junge DDR-Bürger sich in der Hoffnung wieder, welche die These vom „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ aufkeimen ließ. So erzählte er es in einem Interview anlässlich seines 80. Geburtstages. Alle diese Träume hatten in der DDR keine Zukunft. Muckes Stasi-Akte wuchs auf 2000 Seiten. U-Haft, Verhöre. Ja, auch Verbitterung war da zu hören. Für mich, der mit dem Schreiben begann, waren Dieter Muckes Erzählungen und Gedichte eine Offenbarung. Mucke selber verwies auf den Schriftsteller, dem er seine eigene schreibende Existenz verdankte: Der russische Autor Michail Jewgrafowitsch Saltykow-Schtschedrin schrieb seinerzeit satirische Märchen für Erwachsene, welche die zaristische Zensur als Kindergeschichten nicht ernst nahm. Das schien ihm der Schlüssel für das eigene Schaffen: „Die Stasi hat das nie begriffen.“
Nach dem politischen Umbruch blieben ihm der Aufbau-Verlag und der Eulenspiegel-Verlag verschlossen. Er publizierte nun beispielsweise im Projekte-Verlag Halle. Das reichte nicht, um den vor dem politischen Umbruch erreichten Bekanntheitsgrad zu halten. Dabei haben es Muckes Arbeiten verdient, dass sie wieder eine größere Öffentlichkeit finden. Was für eine wundervolle Geschichte weiß er von den Ameisenstaaten und deren Hochrüstung zu erzählen, die letztlich den ganzen Wald abbrennen und bei der Gelegenheit sich selbst vernichten. Wir haben seinerzeit Tränen gelacht. Heute liest man die Geschichte anders, ohne die damals gültigen politischen Bezüge, aber mit eben so viel (Schaden)-Freude. Wie gesagt, Dieter Mucke hat mir seinerzeit in der DDR so etwas wie eine geistige Heimat gegeben. Ich bin vom Bild des „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ nicht so schnell entzaubert worden wie er. Im Gegenteil, weil ich daran festhalten wollte, trieb es mich 1989 vor das Gewandhaus. Der Traum ist für mich auch noch nicht ausgeträumt, gerade jetzt in der Zeitenwende, in der der Neoliberalismus dorthin wandert, wohin er gehört: Auf den Müllhaufen der Geschichte. Die Wirtschaft lernt gerade, dass sie einem Irrweg aufgesessen war. Woran sie das merkt? Sie kann die Menschen nicht mehr zu Karrieren überreden. Der Optimierungswahn ist an seine Grenzen gestoßen. Auch das ist eine Lehre aus dem letzten Wahlsonntag. Ob das die Parteien schon begriffen haben? Die Kanzlerin wohl. Aber ob ihre Partei hinterherkommt? Die hiesige macht nicht den Eindruck.
Wie oft, wenn man Mucke liest, kommt man schnell ins Politisieren. Das war damals so. Das geht, scheinbar, immer noch. Er wird fehlen, dieser große Erfinder der Wahrhaftigkeit.