Akademischer Streit ohne Ausweg

genderstreitHuhn oder Ei – Gene oder Kultur?

Was lenkt uns stärker, Umwelt oder Gene? Über die Frage wird schon lange gestritten. Doch anstatt das Problem mit unterschiedlicher Forscherkraft anzu-gehen, findet man nicht aus wissenschaftlichen Grabenkämpfen heraus.

In der Sphäre der Wissenschaft tobt ein pikanter Meinungsstreit. Seit geraumer Zeit kritisieren vor allem zahlreiche Naturwissenschaftler den mittlerweile stark expandierten Forschungszweig für Gender Studien. Dieser sozialwissenschaftliche Bereich zählt aktuell fast 200 Lehrstühle an deutschen Universität und Hochschulen. Im Selbstverständnis der Disziplin geht es darum, dass durch Kultur und Gesellschaft geprägte soziale Geschlecht einer Person neben seinem biologischen zu erfassen und zu beschreiben. Im Mittelpunkt des theoretischen Grundansatzes steht die Annahme, dass unsere Rollenbilder und wesentliche Verhaltensweisen der Geschlechter konstruktivistischen Ursprungs sind.
Konkreter lautet die Annahme dieses geisteswissenschaftlicher Zweiges, dass ein unterschiedliches Sozialverhalten der Geschlechter und deren Ausprägungen im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben vorrangig auf traditionell entstandene Rollenverständnisse und weniger auf biologische Unterschiede zurückzuführen sei. Die Gender-Wissenschaft ignoriert dabei nicht die biologischen Unterschiede der Geschlechter, sondern behauptet, dass viele Vor- und Nachteile eines Geschlechts und dessen rollenadäquaten Verhaltensmuster von Frauen und Männern Zivilisationsergebnisse unserer Kulturentwicklung sind und damit kaum durch natürliche Ursprünge zu erklären sein. Insbesondere Wissenschaftsvertreter aus Biologie, Genetik und Medizin kritisieren diesen Grundansatz. Naturwissenschaftler sehen eher die genetisch bedingten Unterschiede als Auslöser und Wirkmechanismen für geschlechterspezifisches Verhalten.
Irgendwie kommt der Disput der uralten rhetorischen Frage gleich, ob nun das Huhn oder das Ei zuerst da war. Im Prinzip könnte man die akademische Auseinandersetzung dort lassen, wo sie geführt wird, nämlich im wissenschaftlichen Elfenbeinturm. Allerdings haben Ansichten der Gender-Forscher längst Umsetzung in vielen Alltagsbereichen gefunden. Die sprachliche Differenzierung in möglichst korrekte weibliche und männliche Bezeichnungen ist dabei nur die Spitze des Eisberges. Viel tiefer dringen die sozialwissenschaftlichen Postulate mittlerweile in Bildungskonzepte und Verhaltensnormen vor. Qutenregelungen stehen über Eignung. Die Wahrung vordeklinierter Gerechtigkeitsfloskeln ebnen Karrierewege vielfach vor nackten Leistungs- und Intelligenzargumenten. Die Erscheinungen mögen sich daraus ableiten lassen, dass in Politik und wichtigen Verwaltungsebenen eher geisteswissenschaftliche Vertreter als solche aus Naturwissenschaftlichen Bereich sitzen. Gleiche unter Gleichen verstehen sich oft besser.
Einen der wichtigsten Kritikpunkte an den Gender Studies liefern sich die sozialwissenschaftlichen Experten selbst: Wenn der konstruktivistische Anteil für die Ausprägung von Rollenbildern und Geschlechterdetermination wirklich so groß ist, wie im Gender Mainstream behauptet wird, dann müssten sich auch gleichgeschlechtlich orientierte Menschen oder Inter- bzw. Transsexuelle in einem hohen Maß per sozial geprägtem Bild erklären lassen. Die Zuneigung zum gleichen Geschlecht würde eben deswegen weniger aus natürlichen Quellen gespeist als aus kulturellen. Wollte man diesem Ansatz der Gender-Wissenschaft wirklich folgen, müsste der logische Schluss erlaubt sein, dass eine gesellschaftlich Normierung und Konditionieren helfen würde, beispielsweise Homosex-ualität überwinden zu können. Eigentlich wäre dies die Autolyse der Gender-Wissenschaft. Initiativen und Verbände gleichgeschlechtlich fühlender Menschen bauen ihre Forderungen nach mehr Akzeptanz maßgeblich auf die Argumentationen von Gender-Wissenschaften. Die einstige traditionelle Ablehnung von Homesexualität in der Gesellschaft hat natürlich ihre Wurzeln in Unwissenheit und ist damit ein kulturelles Konstrukt. Nur wie sieht es eben dann mit dem Selbstverständnis von Schwulen und Lesben aus? Wie viel kulturkonstruierter Anteil – wie heterosexuellen gegenseitigen Geschlechtersichtweisen unterstellt – wohnt ihnen selbst inne? Das will offentsichtlich niemand wissen bzw. es könnte unlauter sein, danach zu fragen.
Die wichtigste Kritik am Streit beider Seiten muss daran festgemacht werden, dass sie im Forschungsgegenstand nicht zusammenfinden. Erst wenn man sowohl sozial- als auch naturwissenschaftliche Aspekte in die Erklärungen unserer gegenseitigen geschlechtlichen Sichtweise und Verhaltensmuster zusammenführte, entstünde wahrscheinlich ein angemesseneres Verständnis für die Phänomene wie Menschen mit- oder gegeneinander agieren. Die Physik hat im Bereich der Quantenmechanik ein gutes Vorbild geschaffen, wie man Naturerscheinungen im theoretisch vereinen kann. Dort schreibt man in den winzigsten Wechselwirkungen, die der Menschheit derzeit erklärbar sind, eine duale Natur zu. So können energetische Bausteine des Universums sowohl Eigenschaften von Wellen zeigen als auch die von Teilchen mit Masse.
Ein und dieselbe Sache von unterschiedlichen Betrachtungsweisen her zu deuten und vom jeweiligen Standpunkt aus eine „bessere“ Wahrheit zu verkünden, bleibt ewig ein hilfloses Unterfangen. Warum man an deutschen Universitäten die Untersuchungsrichtungen bisher nicht zusammengeführt hat, kann wohl nur mit der strikten organisatorischen Trennung geistes- und naturwissenschaftlicher Disziplinen erklärt werden. Wahrscheinlich wäre es schon schwierig, einem Vertreter eines Wissenszweiges den Lehrstuhl zu übertragen. Die lange Auseinandersetzung lässt es unmöglich erscheinen, dass der Geistes- unter dem Naturwissenschaftler arbeiten müsste oder umgekehrt. Jeder würde im Verdacht stehen können, die jeweils eigene Fachrichtung zu bevorteilen. Und so führt man den Streit nach der Deutungsherrschaft weiter. So ist eher das Ei zerbrochen, aus dem ein gesundes Huhn hätte schlüpfen können, als dass die Frage nach der Herkunft des Huhnes überhaupt beantwortet werden will.
Thomas Wischnewski