„Als ich Kind war, gab es in der Künette Gärten“

Rav_BiermannOtto Biermann (93) erinnert sich an das Leben im Ravelin: an Wohnungen, Schießstand, Gärten und seine Schlosserei.

Von Birgit Ahlert

Hier standen 12 Häuser, während des Krieges wurden alle weggebombt, bis auf eins“, erzählt Otto Biermann und zeigt mit seiner Gehhilfe auf die andere Seite der Künette. Der 93-Jährige war vom Sanierungsverein „Ravelin 2“ eingeladen worden, das Ravelin-Gelände zu besuchen und über dessen Geschichte zu plaudern. Er kann sich gut erinnern und weiß so manche Geschichte zu erzählen: „Dort war die Tischlerei Wolter, daneben Lebensmittel Hansch, der Sohn war Musiker von Beruf, die Eltern wohnten in Nummer 12. Dahinter haben sie einen Hühnerstall gebaut.“ Auch ein Kunsthändler aus der Leiterstraße hatte sein Lager hier, er verkaufte alte Uhren in den Westen, erinnert sich der Rentner.
Das Innere der Festungswallanlage wurde nach dem letzten Krieg zu Wohnungen umfunktioniert. Bis 1967 sind die noch genutzt worden.  Daneben entstanden Werkstätten wie die Schlosserei von Otto Biermann. Bis 1980 war er hier tätig, dann wechselte er in die Sternstraße. Wie sein Blick über das Gelände schweift, lässt Erinnerungen ahnen.  Ein Lächeln huscht über sein Gesicht, als er in über zwei Metern Höhe zwei Metallhalterungen entdeckt: „Die habe ich angebracht, um einen Unterstand zu befestigen.“ Seit 1990 war er nicht mehr hier. Zuvor hatte er selbst Interessierte über die Anlage geführt, auch Dia-Vorträge gehalten. Lächelnd dankt er Rüdiger Stefanek und Rudolf Kahl vom Sanierungsverein Ravelin 2, dass sie ihn noch einmal zu  seiner alten Wirkungsstätte gefahren haben. Allein zu Fuß hätte er den Weg nicht mehr geschafft. Bilder hat er dabei, Schwarz-weiß-Fotografien: „So sah es damals hier aus.“ Die Vereinsmänner sind begeistert. „Herr Biermann ist für unseren Verein wie ,Goldstaub’“, schwärmt Stefanek. „Geschichten aus erster Hand gibt es nur von Zeitzeugen, und die sind selten geworden.“
Als Junge hat er am Ravelin gespielt, erzählt Otto Biermann. „Ich konnte in die Künette gucken, da waren Gärten drin.“ Pech war, wenn es stark regnete, erinnert er sich, „dann war die Ernte hin“. Die Künette hatte keinen Abfluss. Besonders schlimm kam es 1978. Da stieg das Wasser nicht nur über den 3,50 Meter tiefen Graben, sondern bis in die Gebäude: „20 Zentimeter in der Werkstatt!“ Die nächste Erinnerung lässt seine Stirn in Falten legen: Hinter dem Ravelin, den Berg hinauf, fanden Schießübungen der Hitlerjugend statt. „Entschuldigen Sie“, sagt er leise, „aber das war nun mal so“.
Die Vereinsmänner machen mit ihm eine Rundfahrt, zur anderen Seite, in die Maybachstraße. DerZugang dort wird von einem Metallschieber gesichert. „Den haben wir damals provisorisch angebracht. Hält noch immer“, sagt Otto Biermann und schmunzelt. Wo heute der Verein eine provisorische Werkstatt hat, „war früher unser Lager“, erzählt er dann. Seinerzeit gelangte man über eine Klappbrücke dorthin. Die gibt es seit langem nicht mehr. Aber vielleicht bald wieder? Zumindest plant das der Sanierungsverein. Zuvor muss einer der Pfeiler wieder errichtet werden. Das soll originalgetreu passieren, dafür werden passende Steine organisiert. Der Senior lauscht der „Jugend“ und kommentiert ihr Vorhaben: „Erstaunlich, was Sie hier schaffen!“