Menschen mit geistiger Behinderung erreichen heute in größerer Zahl das Rentenalter als noch vor einigen Jahren. 2010 betrug der Rentneranteil in dieser Gruppe 16 Prozent. Im Jahr 2030 klettert ihr Anteil nach einer Schätzung der Bundesvereinigung der Lebenshilfe e. V. auf 47 Prozent. Eine Ursache dafür, warum es in der Vergangenheit weniger Senioren in diesem Bereich gab, ist auf das Euthanasieprogramm und die Ermordung von Menschen mit Behinderungen in der Zeit des Nationalsozialismus zu sehen. Eine andere findet man der gewachsenen Lebenserwartung durch den medizinischen und sozialen Fortschritt. Derzeit stehen Menschen mit geistiger Behinderung im Alter vor großen Problemen. Im gegliederten deutschen Sozialsystem erhalten sie selten erforderliche Hilfen und Förderungen. Oftmals gelingt dies nur mit kompetenter Assistenz und nach langwierigen Auseinandersetzungen mit den zuständigen Kostenträgern. Selbst im Erfolgsfalle sind die Ergebnisse selten individuell und bedarfsgerecht ausgerichtet.
In den stationären und ambulanten Angeboten rechnet man deshalb mit einem deutlichen Anstieg der Personengruppe 60+ bei geistig behinderten Menschen. Damit einher geht auch der Anstieg pflegerischer Aufwendungen. „Bisher ist man im Land darauf noch mangelhaft vorbereitet“, sagt die Geschäftsführerin der Magdeburger Lebenshilfe, Heike Woost. Lebenshilfe-Einrichtungen bieten Menschen mit geistiger Behinderung und ihren Fähigkeiten entsprechend Tätigigkeiten und eine angemessene Unterstützung im Alltag an.
In der Lebenshilfe Magdeburg ergriff man wegen dieser Entwicklung vor einigen Jahren bereits die Initiative für den Neubau einer entsprechenden Pflegeeinrichtung. Mit viel Mühe und zähen Argumentationen ist der Bau einer solchen Einrichtung endlich genehmigt worden.
Alterungsprozesse von Menschen mit Behinderungen verlaufen nicht anders als in der Gesamtbevölkerung. Sie stehen vor derselben Herausforderung, sich mit dem Ruhestand neuen Bedingungen anpassen zu müssen sowie zu lernen, sich mit gesundheitlichen und sozialen Verlusten auseinanderzusetzen.
Menschen mit geistiger Behinderung sind häufig ein Leben lang auf die Unterstützung ihrer Eltern angewiesen. Allerdings überleben nun immer mehr dieser Betroffenen die eigenen Eltern. Es existieren ganz selten weitere Angehörige die eine Betreuung fortleisten würden und eigene Kinder gibt es ohnehin nicht. Außerdem haben sie oft keine oder nur eine geringe Schul- und Berufsbildung. Familiengründungen oder Partnerschaften sind die Ausnahme. Die Biografie eines geistig Behinderten ist durch das Leben in Sondereinrichtungen geprägt. Hierauf reduzieren sich in der Regel auch alle sozialen Kontakte. Tatsächlich altersbedingte Veränderungen werden bei Betroffen oft nicht erkannt, weil sie als Teil der Behinderung angesehen werden. Das führt schließlich dazu, dass Hilfebedarf nicht erkannt wird und benötigte Unterstützung ausbleibt. Erworbene Kompetenzen gehen in der Folge schnell verloren. Solche Menschen bleiben ergo Zeit ihres Lebens auf eine institutionalisierte Unterstützung angewiesen. Das aktuelle Sozialrecht ist in diesem Bereich bisher wenig ausgestaltet.
Die Gesellschaft muss in diesem Bereich erst noch eine Sensibilität für das Thema entwickeln. Bei den unmittelbar Betroffenen, wie Angehörige, Betreuern und Pflegekräften ist die Problematik lange bekannt, aber im politischen als auch im Bewusstsein einer breiten Bürgerschaft gibt es bisher kaum Verständnis dafür. (tw)